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Musterung – Das Ende einer untauglichen Prozedur

Musterung – Eine untaugliche Prozedur endet

Berlin. 

Verteidigungsminister zu Guttenberg will die Musterung abschaffen. Also Schluss mit Husten und Simulieren in den Kreiswehrersatzämtern. Die flächendeckende Untersuchung junger Männer wäre künftig schlicht rechtswidrig.

Thomas Manns berühmtem Roman über den Hochstapler Felix Krull spielt die Hauptfigur der Musterungskommission nach allen Regeln der Kunst einen epileptischen Anfall vor – und kommt damit durch. Heutzutage bedarf es nicht mehr derartiger Verrenkungen, um der Aussicht auf lange Geländemärsche, Schießübungen und Strammstehen zu entgehen.

Politisch gewollt, kommt die Bundeswehr seit einigen Jahren den Dienstunwilligen durch immer strengere Tauglichkeitskriterien zuvor. In den vergangenen fünf Jahren wurde jeweils nur noch die Hälfte der Untersuchten für tauglich befunden. Zum Vergleich: Im europäischen Ausland liegt die Untauglichkeitsquote im Schnitt bei acht bis zwölf Prozent.

Ein Heer von latent Gebrechlichen?

Der falsche Eindruck, dass in Deutschland ein Heer von latent gebrechlichen Heranwachsenden existiert, wurde dabei genauso in Kauf genommen wie der Umstand, dass es eine lange Liste über bizarres Willkürverhalten in vielen Kreiswehrersatzämtern gibt.

Peter Zickenrott, der via Internet (www.untauglich.de) gegen Bezahlung junge Männer vor der Musterungsprozedur berät: „Ich kenne Fälle, wo Leute mit starkem Asthma gezogen wurden, während man topfitte Leistungssportler ausmusterte.“

Geht es nach dem Willen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), ist damit bald grundsätzlich Schluss. Er will die flächendeckende Musterung wehrfähiger junger Männer streichen. Für viele ein logischer Schritt. Die Musterung wäre bei einer Aussetzung der Wehrpflicht rechtswidrig, weil ihr Zweck, nämlich zu ermitteln, ob der Betreffende für den Grundwehrdienst geeignet ist, entfällt.

Eine Tradition, die 1957 begann

Käme es so, wofür einiges spricht, fände eine Tradition ihr Ende, die im Januar 1957 begann, als die ersten 100 000 Wehrpflichtigen in Deutschland gemustert wurden. Nicht immer sind die Erinnerungen daran angenehm.

So kursierten etwa Ende der 70er-Jahre Geheimtipps, wie der Arzt bei der Musterung von der eigenen Wehrdienstunfähigkeit überzeugt werden könne. Doch die Zeiten, in denen junge Männer ihren Blutdruck durch hastiges Starkkaffeetrinken vor der Musterung künstlich in die Höhe trieben oder verkatert und mit falschen Attesten vor den Doktor traten, um der staatlichen Indienstnahme zu entgehen, sind wohl vorbei.

Akne? Ausgemustert!

Weil die Truppenstärke der Bundeswehr von einst knapp 500 000 Soldaten auf heute noch 250 000 abgeschmolzen wurde, sind auch die Kriterien, die einen jungen Mann als untauglich für den „Dienst am Vaterland“ erscheinen lassen, vielfältiger geworden. Akne am Rücken zum Beispiel reicht für einen T5-Bescheid (ausgemustert!) aus, wenn sie dazu führt, dass das „Tragen der Dienstbekleidung und der jeweils geforderten persönlichen Ausrüstung“ nicht mehr problemlos gewährleistet ist. Laut Zentraler Dienstvorschrift 46/1 gilt zudem als untauglich, wer allergisch auf Sellerie reagiert. Nicht diensttauglich ist, wer keine Bienen- und Wespenstiche verträgt. Außerdem wird jeder nach Hause geschickt, der auf Malaria- oder Gelbfieberprophylaxe allergisch reagiert.

Insgesamt 83 Gesundheitsbereiche werden bislang noch bei der Musterung überprüft. Wer in nur einem Punkt untauglich ist, wird nicht angenommen.