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Mindestlohn: Grünen-Politiker kritisiert Erhöhung – „Schlag ins Gesicht“

Auf Vorschlag soll der Mindestlohn nächstes Jahr um 41 Cent steigen. Sozialverbände forderten mehr. Auch Frank Bsirske kritisiert die empfohlene Erhöhung.

Auf Vorschlag soll der Mindestlohn nächstes Jahr um 41 Cent steigen. Sozialverbände forderten mehr. Auch Frank Bsirske kritisiert die empfohlene Erhöhung.
© imago images/Chris Emil Janßen

Kommissionsvorsitzende: Mindestlohn soll auf 12,41 Euro ab 2024 steigen

Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll ab 2024 auf 12,41 Euro steigen und auf 12,82 Euro ab 2025. Das empfahl in einem Vermittlungsvorschlag die Vorsitzende der von der Regierung eingesetzten Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld. Die Kommission konnte sich demnach nicht auf einen einvernehmlichen Beschluss einigen.

Seit 2015 gibt es den gesetzlichen Mindestlohn, zwei Jahre später wurde er zum ersten Mal um 34 Cent auf 8,84 Euro angehoben. Im vergangenen Herbst gab es dann einen deutlichen Sprung nach oben. Seit Oktober 2022 verdienen Beschäftigte 12 Euro pro Arbeitsstunde.

Auf Vorschlag der Mindestlohnkommission soll der Betrag zum 01. Januar 2024 um 41 Cent erhöht werden. Können sich Arbeitnehmer also künftig über mehr Geld freuen? Nein, findet zumindest der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion und frühere Verdi-Chef Frank Bsirske. Im Interview mit dieser Redaktion erklärt er die Gründe dafür.

Mindestlohn: „Lohnkürzung für Millionen“

Zum 01. Januar 2024 soll der Mindestlohn von 12 Euro auf 12,41 steigen – ein Jahr später dann auf 12,82 Euro. Wie bewerten Sie die Erhöhung?

Das ist eine drastische Reallohnkürzung für sechs Millionen Beschäftigte. Sowohl in der Höhe als auch in der Laufzeit ist das völlig inakzeptabel. Das stellt einen klaren Bruch mit dem europäischen Ziel dar, den Mindestlohn auf 60 Prozent des Median-Lohns der Vollzeitbeschäftigten zu bringen. Sie ignoriert komplett die enorme Belastung – gerade der Geringverdienenden.

Es gibt also eine bestimmte Gruppe, für die die Erhöhung kaum spürbar ist.

Ja. Denn durch die Preissteigerungsrate haben diese schon massive Reallohnverluste erlitten. Der Anteil, den Geringverdienende für Lebensmittel oder Miete ausgeben müssen, ist deutlich höher als bei Höherverdienenden. In dieser täglichen Lebenssituation ist eine solche Erhöhung, wie sie jetzt von der Kommissionsvorsitzenden empfohlen wird, wie ein Schlag ins Gesicht.

Arbeit darf nicht arm machen und nicht entwürdigen

Frank Bsirske

Die Mindestlohnkommission setzt sich aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und aus der Wissenschaft zusammen. Wie beurteilen Sie die Empfehlung des Gremiums angesichts der Besetzung?

Die neue Kommissionspräsidentin hat im Grunde ihre Arbeit mit einem Mehrheitsvotum dieser Preisklasse begonnen. Das verlässt den Weg der Konsensfindung, brüskiert Millionen Geringverdienende und die Gewerkschaften.

Mindestlohn: „Vorschlag für die Tonne“

Was bedeutet die Erhöhung für Menschen, die Mindestlohn beziehen?

Diese müssen den Gürtel noch enger schnallen, weil der Abstand zu der Preisentwicklung noch größer wird. Die Lebensbedingungen werden weiter erschwert. Mit dieser Entscheidung kommen sie jetzt wieder in einen Bereich, in dem das Armutsrisiko massiv steigt. Das ist etwas, was wir nicht wollen können. Denn: Arbeit darf nicht arm machen und nicht entwürdigen.

Im Oktober 2022 wurde der Mindestlohn entgegen der Empfehlung der Kommission erhöht. Wie wahrscheinlich ist eine erneute politische Festsetzung?

Die Politik muss sich die Frage stellen, ob sie es zulassen will, dass der untere Lohnbereich in den Bereich der Armutsgefährdung rein kommt. Ich glaube, dass wir das nicht wollen können. Deswegen sollte man überlegen, ob man das Ziel nicht anhand der europäischen Mindestlohnlinie vorgibt. Das ist eine Orientierung, die im Hintergrund dieser Fehl-Empfehlung, dieses Vorschlags für die Tonne, an Dynamik gewinnen wird und auch muss. Denn das, was für die nächsten Jahre programmiert worden ist, ist nicht akzeptabel. Das läuft auf Lohnarmut und Lohnarmutsrisiken hinaus, die in dieser Form nicht hingenommen werden dürfen.


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Sozialverbände forderten eine Erhöhung auf 14 Euro. Wie hoch sollte der Mindestlohn sein?

Die europäische Empfehlung setzt eine dynamisch wirkende Norm, unabhängig von konkreten Beträgen. Übersetzt würde das ungefähr 13,50 Euro bedeuten – also das, was von Gewerkschaften in dieser Diskussion nachvollziehbarer Weise und zurecht eingebracht wurde. Wenn man sich auf die 60 Prozent gesetzlich festlegen würde, bliebe das Mindestlohnniveau weiter von der Tariflohnentwicklung abhängig, allerdings ohne, dass es erneut in den Armutslohnbereich abrutschen könnte.