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Kanzler und Minister mit NS-Vergangenheit

Kanzler und Minister mit NS-Vergangenheit

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Foto: Getty Images
Auf Anfrage des Linken-Politikers Jan Korte hat das Innenministerium zusammengetragen, welche Nachkriegspolitiker im Hitler-Deutschland Mitglieder der NSDAP waren. Die

Essen. 

Es ist wohl die Zeit für Vergangenheitbewältigungen. Schon das Auswärtige Amt unter dem Grünen-Minister Joschka Fischer, der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt haben in den letzten Jahren die braunen Flecken ihrer Nachkriegsgeschichte eingeräumt. Jetzt arbeitet sich die Bundesregierung an den NS-Verwicklungen ihrer Vorgänger ab. Sie macht es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des thüringischen Linken-Abgeordneten Jan Korte.

Auf 88 Seiten sagt sie in ihrer Dokumentation viel über die Alt-Nazis, die Anfang der 50er Jahre in die Behörden des demokratischen Deutschland einzogen. Allein im Auswärtigen Amt waren das fast 34 Prozent der führenden Beamten.

Sie berichtet über die Zahl der Ermittlungsverfahren, die 67 Jahre nach Kriegsende noch gegen nationalsozialistische Gewaltverbrecher geführt werden müssen – es sind über 93. Sie stellt fest, dass es für nichtjüdische Opfer der Gewalt in Russland, Italien und Griechenland ­keine Entschädigungen geben wird: „Keine Veranlassung, darüber nachzudenken“.

Ein Bundeskanzler und 26 Minister

Brisantes Kernstück der Arbeit ist aber eine Tabelle mit prominenten Namen. 27 sind aufgezählt, von einem Bundeskanzler und von 26 Bundes­ministern. Diese Politiker ­waren – teils von 1933 an, teils aber auch erst in den letzten Kriegsmonaten – Mitglieder der NSDAP: Christdemokraten und -soziale wie Kurt Georg Kiesinger, der 1989 verstorbene frühere Außenminister Gerhard Schröder, Richard Jaeger, Richard Stücklen und Friedrich Zimmermann.

Sozialdemokraten sind dabei, viele aus dem ersten Kabinett von Willy Brandt: Horst Ehmke und Herbert Ehrenberg, Erhard Eppler, Karl Schiller, Lauritz Lauritzen und Hans Leussink. Von der FDP sind unter anderem Hans-Dietrich Genscher und Walter Scheel aufgeführt.

Erstmals wird hier quasi „regierungsamtlich“ die Mitgliedschaft führender Politiker in Hitlers Partei festgestellt. ­Allerdings hat Hans-Dietrich Genscher eingeworfen, er ­habe seiner Aufnahme bei den Nazis nie zugestimmt. Auch die Bundesregierung weist ­darauf hin, dass „eine NSDAP-Mitgliedschaft, für sich ­genommen, wenig aussagt“. Prominente Einzelfälle wie Oskar Schindler und der Widerständler Ulrich von Hassell machten das anschaulich.

Zwei große Amnestien für verurteilte Straftäter

Vorsichtig spricht Berlin heute von „personellen Kontinuitäten“, die es gab – und dies nicht nur in oberen Etagen. Dies sei auch der „starken Gewichtung des Kriteriums der Verwaltungserfahrung“ geschuldet. Klartext: Es gab niemanden anders, um den demokratischen Staat aufzubauen.

War das der Grund, in den Kinderjahren der Bundes­republik über vieles hinweg zu sehen, sogar über Straftaten? In zwei großen Amnestien ­kamen Anfang der 50er Jahre 700 000 Inhaftierte frei, darunter waren rund 50 000 Nazi-Mittäter, die wegen Delikten wider das Leben oder Körperverletzungen verurteilt waren. Weitere 5200 Täter kamen trotz ­erwiesener „Ver­gehen und Verbrechen im ­Amte“ frei.

Anlass zur Debatte

Umfassend ist das Bild, das die Bundestags-Drucksache 17/8134 wiedergibt, nicht. Es gibt auch nur noch die Personalakten von 210 000 der fast eine Million Staatsdiener der Zeit um 1955. Anlass zur ­Debatte ist sie schon, und die Bundesregierung wünscht sie sich ausdrücklich.

Die entscheidende Antwort auf die braunen zwölf Jahre sei aber bereits gegeben: „Die Errichtung einer freiheitlich demokratischen Grundordnung“. Anders sieht es der Linke-Abgeordnete Korte, der die 62 Fragen zusammentrug: „Eine moralische Katastrophe“.