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Iranerin fleht: „Wenn ihr nicht mehr hinseht, werden sie uns alle töten“

Für die Revolution opfern die Iraner viel – auch ihr Leben. Autorin Natalie Amiri, Produzentin Minu Barati und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal über die aktuelle Situation im Iran.

Iran
Proteste vor der früheren US-Botschaft in Teheran Foto: IMAGO / Pacific Press Agency

Frauen, die im Gefängnis vergewaltigt werden. Gefolterte, die sich nach ihrer Freilassung aus Verzweiflung das Leben nehmen. Eltern, die Angst haben, das Regime könne ihnen ihre toten Kinder wegnehmen.

Mindestens 455 Tote, darunter 64 Kinder. Tausende Verletzte. 18.000 Verhaftete. Das ist die blutige Bilanz aus acht Wochen Revolution im Iran. Einer Revolution, die das islamische Regime stürzen soll. Damit auch im Iran Männer UND Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Dafür sind die Iraner bereit, viel zu geben – auch ihr eigenes Leben. Wie viel sie opfern, was ihnen vom Regime angetan wird und wieso es so wichtig ist, dass wir alle ihre Botschaft verbreiten, machten am Mittwochabend Autorin Natalie Amiri, Produzentin Minu Barati und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal im Berliner Hotel Adlon deutlich. Den Rahmen dazu bot die Initiative „Frauen 100“.

Natalie Amiri berichtet von Gräueltaten im Iran

Journalistin Natalie Amiri berichtet seit Jahren aus Ländern, in denen sich gesellschaftliche Zustände zum Schlechteren entwickelten oder entwickeln. Afghanistan, Türkei, Ägypten, Syrien. Und dem Iran.

Natalie Amiri
Die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri sprach am Mittwochabend bei der Veranstaltung „Frauen 100“ in Berlin. Foto: Isa Foltin / Getty Images

„Ich habe das Gefühl, dass wir alle ein bisschen erschöpft sind, von den Krisen der Welt, die sich aufeinander aufbauen und ablösen und ineinander übergehen“, sagt sie. „Aber das, was im Iran gerade passiert, ist eigentlich etwas Wundervolles.“

„Es ist etwas ganz Großes und es ist etwas, das wir feiern sollten. Denn die Menschen erheben sich gerade gegen ein menschenverachtendes Regime – unter Einsatz ihres Lebens.“

Das iranische Regime verfolgt, vergewaltigt und tötet Andersdenkende

Sie erheben sich gegen ein Regime, das seit Jahrzehnten Gräueltaten an Menschen begeht. Produzentin Minu Barati hat iranische Wurzeln, weiß, was die iranische Regierung ihrer und so vielen anderen Familien angetan hat. Ihr Vater hat sein Leben der Exilopposition gewidmet. „Mit allem, was dazu gehört: den abgehörten Telefonen, den Morddrohungen. Er hat den Preis dafür gezahlt hat, seine Familie im Iran nie wieder zu sehen“, gibt Barati in einer emotionalen Ansprache preis.

„Ich habe diese schöne Erinnerung an Teheran aus meiner Kindheit. Aber seit diesem Zeitpunkt ist alles, was in meinem Leben mit dem Iran zusammenhängt, nur noch mit Verzweiflung, Schmerz und der weinenden Familie am Telefon verbunden. Wir haben meine Großeltern, meine Onkel, meine Tanten, meine Cousinen nie wieder gesehen. Mein Vater konnte seine Brüder und seine Eltern nicht einmal selbst beerdigen.“

Minu Barati
Filmproduzentin Minu Barati gab bei „Frauen 100“ preis, was das iranische Regime ihrer Familie antat. Foto: Isa Foltin / Getty Images

Ihr Vater hat, so Barati, sein Leben auf einem gepackten Koffer verbracht. Doch jetzt, seit Beginn der Revolution, verspüren Barati und ihre Angehörigen endlich wieder Hoffnung: dass ihr großer Traum doch noch wahr wird und sie mit diesem gepackten Koffer nochmal zum Flughafen fahren werden – und endlich wieder in den Iran fliegen können.

Diese Hoffnung, die so viele Jahrzehnte immer wieder im Keim erstickt wurde, hat nun eine Hochphase erreicht. Der Traum ist zum Greifen nah. Und das ist der Verdienst all der mutigen Iraner, die seit acht Wochen auf die Straßen gehen, gegen das Regime ankämpfen, sich nicht mehr unterdrücken lassen wollen.

Amiri berichtet, dass in Teheran Dreiviertel der Frauen kein Kopftuch mehr tragen: „Und die Sittenpolizei kommt nicht mehr nach.“ Ein Etappensieg, den die Heldinnen im Iran errungen haben. Denn, so viel ist laut Amiri klar: „Die Frauen im Iran sind keine Opfer – sie sind Heldinnen.“

Iranerin fleht: „Wir haben nur euch“

Eine dieser Heldinnen traf Amiri am Sonntag zu einem Interview am Münchner Flughafen. Sie war bei Protesten in der iranischen Stadt Rascht verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden. Amiri erzählt am Mittwoch im Hotel Adlon ihre Geschichte.

Nach ihrer Freilassung sei sie das erste Mal in ihrem Leben nach Europa geflogen. Zitternd verließ sie den Flieger und fragte Amiri: „Ist es vorbei? Kommt hier niemand mehr?“ Die Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie begann, die schrecklichen Erlebnisse in iranischer Gefangenschaft wiederzugeben. Von der Folter, den Schlägen, den Vergewaltigungen.

Diese Frau will die Welt daran teilhaben lassen, was ihr und so vielen anderen Heldinnen aktuell im Iran angetan wird. Sie will, dass jeder weiß, dass junge, teils minderjährige Frauen in den Gefängnissen vergewaltigt werden. Und währenddessen nach ihren Müttern schreien.

Sie schreien um Hilfe. Und sie brauchen auch unsere Hilfe. „Wenn ihr nicht mehr hinseht, dann werden sie uns alle töten. Und wir haben nur euch“, zitiert Amiri die mutige Iranerin.

Amiri appelliert an uns alle: „Wir haben das Privileg, hier frei zu sprechen. Wir können verbreiten, was im Iran passiert.“ Wir können der Schallverstärker sein.

Frauen100
Journalistin Shahrzad Osterer, Unternehmerin Verena Pausder, Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal, Journalistin Natalie Amiri, Produzentin Minu Barati (v.l.n.r.) Foto: Isa Foltin / Getty Images

Düzen Tekkal: „Jeder Einzelne muss ein Schallverstärker sein“

Eine Botschaft, die auch Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal teilt. Gegenüber dieser Redaktion macht Tekkal deutlich, dass jeder Einzelne von uns die mutigen, willensstarken Frauen und Männer im Iran unterstützen kann. Wir alle können ihre Botschaft „Jin, Jiyan, Azadî“ in die Welt rufen. (Anmerkung der Redaktion: Der kurdische Slogan „Jin, Jiyan, Azadî“ bedeutet „Frau, Leben, Freiheit“).

„Die größte Angst, die die Menschen im Iran haben, ist, dass das Interesse verschwindet. Und darum muss jeder Einzelne ein Schallverstärker sein. Damit diese Beiträge geteilt werden. So eine Revolution wird auch moralisch gewonnen. Es geht darum, den Menschen zu zeigen, dass sie damit nicht alleine sind. Ihre Botschaft darf nicht verhallen. Wir müssen gemeinsam den Ruf von ‚Jin, Jiyan, Azadî‘ in die Welt tragen.“