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In der Gemeinde Brieselang zeigt sich die Krise im Kleinen

In der Gemeinde Brieselang zeigt sich die Krise im Kleinen

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_DSC7186-039.jpg Foto: Reto Klar
Die Gemeinde Brieselang erlebt, was schon viele Orte erfuhren: viele Flüchtlinge auf wenig Platz. Ein Besuch im Alltag der Asylpolitik.

Brieselang. 

Durch das Krisengebiet von Brieselang schiebt sich ein Bagger. Die Reifen pflügen die feuchte Erde um, Holzlatten stapeln sich neben Containern. Ein Laster fährt vorbei an dem grünen Zaun aus dünnen Eisenstangen. Vor einigen Wochen, erzählen Anwohner, hätten hier noch Pferde gegrast. Ländliche Idylle in Brandenburg. Wegen der Ruhe sei man hierhergezogen, sagt eine Frau, die mit ihrem Terrier an der Leine vorbeispaziert. Die Pferde grasen jetzt ein Feld weiter.

Wo Bagger fahren, soll im Januar eine Traglufthalle für Flüchtlinge stehen, 72 Meter lang, 36 Meter breit, neun Meter hoch, umschlossen mit einer Plane, die ein Gebläse permanent aufpustet. Wie ein riesiger Schneehaufen wird die Halle auf der Wiese in Brieselang liegen. Für 300 Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Tschetschenien ist dann dort Platz. Wer genau kommt, weiß kurz vor Weihnachten in Brieselang noch niemand. Und das stimmt die Frau mit dem Terrier nicht gerade besser. „Ich habe ein mulmiges Gefühl.“

„Mulmiges Gefühl“

Das „mulmige Gefühl“ bekommt Wilhelm Garn oft per Brief oder E-Mail in sein Büro. Garn, CDU, ist Bürgermeister der Gemeinde, 50 Kilometer westlich von Berlin, mit gut 11.000 Einwohnern. Auf Garns Schreibtisch liegt ein dicker Ordner, „Asyl-Mail offen“. Alle noch unbeantwortet.

Am Anfang dessen, was alle nur „Flüchtlingskrise“ nennen, stehen die Kriege in Syrien oder Afghanistan. Dazwischen retten sich Menschen über das Mittelmeer. Am Ende stehen sie in Orten wie Brieselang, wo es eine Sparkasse gibt, Restaurants, eine Kegelbahn, aber kein Kino. Und bisher 127 Ausländer. „Wir schaffen das“, hatte Merkel gesagt. Garn findet die Haltung richtig. Aber vielleicht hätte die Kanzlerin vorsichtiger mit ihren Worten sein sollen. „Ich bin als Bürgermeister genauso Vorturner. Manchmal muss ich eben aufpassen, was ich laut sage.“

81 Flüchtlinge leben schon in der alten Jugendherberge in Brieselang, ein Gebäude wird gerade saniert, um weitere Menschen unterzubringen. Mit der Traglufthalle versorgt Brieselang dann rund 500 Flüchtlinge. Ein knappes Viertel aller im Havelland.

Reden, reden, reden

Die geflohenen Menschen treffen auf ein nervöses Deutschland. Auf ein Land, das viel und gerne hilft. In dem aber auch Sorgen und Hass wachsen. Brieselang ist ein sehr deutscher Ort am Ende des Jahres 2015. Und Garn ist im Moment im Dauereinsatz. Im Supermarkt, auf der Straße, am Schreibtisch. Er trifft verunsicherte Menschen, die fragen, warum so viele Flüchtlinge auf einmal nach Brieselang kämen. Wütende Nachbarn, die gehört hätten, dass noch eine zweite Traglufthalle gebaut werde. „Brieselang hat das Weltpatent für stille Post gepachtet“, sagt Garn. Und das Thema Flüchtlinge eignet sich gut für Gerüchte. „Jetzt kommen dunkelhäutige Menschen, die eine andere Sprache sprechen, in unsere Gemeinde. Wie wollen Sie einer Mutter mit einem drei Jahre alten Kind ihre emotionalen Ängste nehmen?“

Manches versteht Garn, menschlich zumindest. Anderes nicht. Eine Frau habe ihm geschrieben, dass der dritte Weltkrieg kurz bevorstehe. Bei all den „Kriegen“, bei all den „Massen“, die kommen. Sechs Seiten. Garn hat seine Waffe im Kampf gegen Gerüchte: „Reden, reden, reden“, sagt er. Zu Not auch mal „dämlich quatschen“.

Viel mehr als reden kann er aber auch nicht. Denn der Landkreis verantwortet den Bau, nicht seine Gemeinde. In seinem Krisenherd „Traglufthalle“ ist Garn ein Bürgermeister ohne Befugnis – kein guter Status in einem Ausnahmezustand. Deshalb ist unter Brieselanger Politikern Wut und Frust entstanden. Über die „katastrophale Informationspolitik“ durch den Kreis. Oftmals sei man nicht in Entscheidungen eingebunden. „Was ist mit den Baugenehmigungen? Was mit Brandschutz?“, fragt Garn. „So jeet dit nich.“

2200 Menschen an 25 Standorten

Andererseits können sie dafür in Brieselang schnell mit dem Finger in Richtung Landrat zeigen, der selbst unter Druck steht, 2200 Menschen an 25 Standorten unterzubringen. Und auch dort schwanken Informationen. Im Landkreis zeigen sie dann in Richtung Landesregierung. Und dort in Richtung Bund. Immer geht es darum, dass Kita-Plätze und Wohnungen fehlen, Geld sowieso. An einem Ende der Krisenkette steht Angela Merkel. Am anderen Wilhelm Garn.

Und auch der hat seinen Merkel-Satz: „Allet in allem sieht der Ort dit noch jelassen.“ Sein Berliner Akzent hat etwas Beruhigendes. Garn ist auch stolz auf seine Gemeinde. Früher engagierten sich wenige ehrenamtlich. Im Sommer kamen dann 180 Menschen zusammen, um Flüchtlingen zu helfen. Die Krise trägt das Politische zurück in die Provinz. Als sich ein Dutzend Neonazis im Ort versammelten, stellten sich ihnen 300 Brieselanger entgegen.

Brieselang ist ein typischer Ort abseits der Großstädte. Und doch ist er auch untypisch. Durch die Nähe zu Berlin wächst Brieselang jedes Jahr um etwa 250 Menschen. Ganz ohne Flüchtlinge. Viele Bewohner haben einen guten Job in der Bundeshauptstadt und pendeln abends zurück ins Eigenheim. Auch Anwälte und Ärzte helfen in der Willkommens-AG, sagt Christian Achilles. Die Willkommens-AG habe mehr Mitglieder als jede Partei im Ort. Dort sitzt Achilles für die Wählergemeinschaft „Bürger für Brieselang“. Und auch er hilft. „180 Leute, das ist ein mittelständisches Unternehmen.“ Frauen aus dem Ort betreuen Kinder geflohener Mütter, damit die zum Deutschkurs könnten. Sie helfen bei Papierkram und organisieren Fußballspiele. Brieselang konnte die Willkommenskultur mit 100 Flüchtlingen trainieren. Achilles sorgt nur eines: „Hoffentlich reicht die Kraft noch, wenn die Traglufthalle da ist.“

„Mit Übertoleranz kommen wir nicht weiter“

Eine, die viel Kraft hat, ist Christine Bruns. Die Lehrerin gibt Flüchtlingen Deutschunterricht. Und weil es am Anfang keine Lehrbücher gab, hat sie eines gebastelt. Sie sagt, dass sie noch nie so aufmerksame Schüler hatte. „Die Dankbarkeit der Menschen hat auch etwas Entwaffnendes.“ Wer Vorurteile habe, der baue sie im Kontakt mit Flüchtlingen ab. Deshalb hat Bruns ein Weihnachtskonzert in der Kirche veranstaltet. Deutsche und ausländische Kinder sangen gemeinsam. Schneeflöckchen, Weißröckchen.

Doch es geht nicht ohne Konflikte. Nicht in Berlin und nicht in Brieselang. Am Anfang habe sie manche Flüchtlinge wecken müssen, damit sie zum Unterricht kommen. Ein anderer Helfer erzählt, dass Frauen ihre Kinder betreuen ließen, dann aber nicht zum Deutschkurs gingen. Auch Spielzeug sei aus der Kindergruppe verschwunden. „Mit Übertoleranz kommen wir nicht weiter“, sagt Bruns. Man müsse helfen. Aber auch Leistung einfordern.

In der Nähe brannte eine Unterkunft

Haben sie zu wenig eingefordert? Das fragt sich manchmal auch Heiko Dünkel. Er steht vor dem vier Meter hohen Schutzwall. Die Bagger haben Sand zu einer Wand geschaufelt, wie ein Deich ohne Meer. Auf der einen Seite der Zaun, wo die Traglufthalle stehen soll. Auf der anderen Häuser. Auch Dünkels Haus steht dort. Er ist einer von 60 Nachbarn, die sich gegen die Halle zusammengetan haben. „Uns geht es darum, dass es bessere Standorte gegeben hätte. Und es geht uns um die Zahl: 300 Flüchtlinge in dieser Wohngegend sind nicht zumutbar.“ Sie wollen eingebunden werden als Nachbarn. Sie wollen ihre Ruhe.

Eine Nachbarin schlägt die Haustür zu, als man mit ihr über die Flüchtlinge sprechen will. Ein Mann sagt, er wolle erst einmal schauen, wer da komme. Syrer fände er ganz angenehm, von Albanern wäre er „nicht so begeistert“. Heiko Dünkel spricht ruhig und zurückhaltend. Er ist Anwalt, er weiß, wie Worte wirken. Er wisse, dass die Gemeinde Flüchtlinge aufnehmen müsse. „Deutschland hat sich lange aus der Affäre gezogen.“ Auch er helfe in der Willkommens-AG. Rechtsextreme wolle er nicht als falsche Verbündete.

Ohnehin ist bei Dünkel Schock und Wut in Pragmatismus gekippt. Die Halle wird gebaut. Mit Sondergenehmigung oft auch nachts, weil die Firma in Verzug ist, was Dünkel wieder wütend macht. Ein Anwohner hat nun gegen die Halle geklagt. In einem Nachbarort wurden Pläne für eine Halle gekippt. „Wir sind selbst unsicher, wie offensiv wir auftreten sollten. Wir wollen nicht, dass die positive Stimmung den Flüchtlingen gegenüber umschlägt in Hass“, sagt Dünkel. Im Sommer brannte im nahen Nauen eine Unterkunft, ein Brandanschlag. „So etwas wäre eine Katastrophe für Brieselang.“