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Gabriel hält den Umgang mit Neonazi-Opfern für „demütigend“

Gabriel hält Umgang mit Neonazi-Opfern für „demütigend“

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Die Terrorserie von Neonazis beschäftigt den NRW-Landtag. CDU-Politiker Armin Laschet zeigte sich betroffen angesichts der Opfer der Mordtaten, die sich von Polizei und Politik allein gelassen fühlten. Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hält den Umgang mit den Opfern für „beleidigend und demütigend“.

Düsseldorf. 

Mit selbstkritischen Tönen hat der nordrhein-westfälische Landtag über die Terrorserie von Neonazis debattiert. Mehrere Abgeordnete entschuldigten sich am Donnerstag in Düsseldorf im Namen der Politik bei Angehörigen und Anschlagsopfern für das kollektive Versagen der staatlichen Sicherheitsbehörden.


Der CDU-Politiker Armin Laschet rief angesichts der Terrorserie zum Kampf gegen den Rechtsextremismus auf. „Der Feind steht rechts“, zitierte der frühere NRW-Integrationsminister einen Ausspruch des Reichskanzlers der Weimarer Republik, Joseph Wirth.


Die Angehörigen der Opfer der Neonazi-Mordtaten hätten sich von Polizei und Politik allein gelassen gefühlt, sagte Laschet. „Diese Schicksale haben uns nicht erreicht. Das sollte uns nachdenklich machen und wir sollten uns eigentlich auch dafür entschuldigen.“ Laschet rügte, dass Ermordete von den Ermittlern in Zusammenhang mit Drogen und Kriminalität gebracht worden seien.

Mehrere Anschläge in NRW


Die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) soll im April 2006 einen deutsch-türkischen Kioskbesitzer in Dortmund erschossen haben. In einem Bekennervideo der NSU kommt auch der Nagelbombenanschlag in Köln vor, bei dem vor sieben Jahren 22 Menschen teils lebensgefährlich verletzt wurden. Zudem sollen die Neonazis für einen Sprengstoff-Anschlag in Köln verantwortlich sein, bei dem 2001 eine junge Deutsch-Iranerin schwer verletzt wurde.


Der FDP-Abgeordnete Horst Engel sagte: „Wir verneigen uns vor den Opfern und entschuldigen uns als Politik dafür, dass so etwas in Deutschland möglich wurde.“ Verwicklungen des Verfassungsschutzes mit dem „braunen Sumpf“ müssten aufgeklärt werden. Auch Innenminister Ralf Jäger (SPD) merkte an, die Sicherheitsbehörden müssten sich entschuldigen. Es dürfe keine „Symbiosen zwischen Behörden und Terroristen geben“.


Der Geheimdienst sei „tief in die rechte Szene verstrickt“, sagte die Linke-Abgeordnete Anna Conrads. Der Verfassungsschutz verhelfe „den Neofaschisten nicht nur zu Geld, sondern auch zu Legalität“. Auch in NRW habe es in vergangenen Jahren kriminelle V-Leute des Verfassungsschutzes in Dortmund und Solingen gegeben.


Die Linke-Abgeordnete Özlem Demirel kritisierte die Äußerungen des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily. Der SPD-Politiker hatte im Juni 2004 bereits einen Tag nach dem Bombenanschlag in Köln gesagt, nichts deute auf einen terroristischen Hintergrund hin. Eher handele es sich um eine Tat im kriminellen Milieu. In der Kölner Keupstraße leben vor allem Deutsch-Türken.

SPD-Chef Gabriel bestürzt über den Umgang mit Anschlagsopfern

Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel hat sich bestürzt über den Umgang mit den Opfern des Neonazi-Terrors in Deutschland gezeigt. Es sei „beleidigend und demütigend“, dass die Behörden den verheerenden Anschlag in Köln 2004 als eine Milieustraftat abgetan hätten, sagte Gabriel am Donnerstag beim Besuch des damaligen Tatortes, der Kölner Keupstraße. Man müsse sich schämen, „wie wir damals damit umgegangen sind“. Bei einem Anschlag durch Islamisten hätte der Staat anders gehandelt.

Bei dem Nagelbombenanschlag vor einem Friseursalon waren 22 Menschen verletzt worden. Die Tat wird inzwischen der Neonazi-Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugeschrieben.

Landtags-Geheimgremium schaut Bekenner-DVD der NSU an

Im geheimen Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Landtags haben Abgeordnete die Bekenner-DVD der rechtsradikalen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vorgeführt bekommen. Dies verlautete am Donnerstag aus Fraktionskreisen.

Behördenvertreter führten in der nichtöffentlichen Sitzung den Informationen zufolge aus, dass der NRW-Verfassungsschutz über keine Kenntnis von NSU-Aktivitäten an Rhein und Ruhr verfügt habe.

In der anschließenden Landtagsdebatte betonte Innenminister Ralf Jäger (SPD), dass die Neonazi-Szene bundesweit vernetzt sei. Rechtsextreme aus Thüringen hätten etwa an einer Demonstration in Dortmund teilgenommen.

Unterdessen bestätigte das Düsseldorfer Justizministerium, dass die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe derzeit in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf einsitzt. Zschäpe sei nach Köln verlegt worden, weil sie von dort aus zu den Vernehmungen des Bundeskriminalamtes in Meckenheim gebracht werden könne.

Offenbar bis zu hundert V-Leute in der NPD aktiv

Derweil wurde bekannt, dass in der NPD offenbar hundert V-Leute aktiv sind. Die Zahl liege heute „im oberen zweistelligen Bereich“ und damit noch höher als 2003, als bis zu 15 Prozent der Mitglieder in Landes- und Bundesvorständen der Nationaldemokraten für den Staat spitzelten, berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstagsausgabe) unter Berufung auf Berliner Sicherheitskreise. Diese „nennenswerte Zahl“, wie es weiter hieß, sei in führenden Koalitionskreisen bestätigt worden.

Ein von der rot-grünen Bundesregierung initiiertes NPD-Verbotsverfahren war im Jahr 2003 gescheitert, nachdem bekannt geworden war, dass die NPD mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Beweismittel für die Verfassungswidrigkeit der Partei wären vor Gericht daher nicht verwendbar gewesen.

Die Debatte um einen NPD-Verbotsantrag war nach der Aufdeckung der rechtsextremen Zwickauer Zelle erneut aufgeflammt. Ein Täter-Trio soll womöglich mit Helfern für die sogenannte Döner-Mordserie an neun Kleinunternehmern ausländischer Herkunft sowie den Mord an einer Polizistin in Heilbronn im Jahr 2007 verantwortlich sein. (dapd/afp)