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Finanzämtern entgehen Millionen

Finanzämtern entgehen Millionen

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Foto: imago/Westend61
Der seit 2015 bundesweit höchste Grunderwerbsteuersatz in NRW trifft vor allem private Immobilienkäufer. Große Wohnungskonzerne können die Abgabe dagegen vermeiden.

Essen. 

Die Milliarden-Deals auf dem deutschen Wohnungsmarkt sind Mieterschützern schon lange ein Dorn im Auge. Ob Deutsche Wohnen AG in Frankfurt, Vonovia in Bochum oder die beiden Vorgänger-Unternehmen des neuen Dax-Konzerns aus dem Ruhrgebiet, Deutsche Annington und Gagfah – stets sorgen sich Mieterschützer und Sozialexperten um die wachsende Marktmacht der Immo­bilienriesen. Sie fürchten den ­Vorrang des Profits vor dem gesellschaftlichen Wert bezahlbaren Wohnraums.

Die Konzentration im Immo­biliensektor, der Handel mit Wohnraum im ganz großen Stil – all das richtet jetzt zusätzlich den Blick auf eine andere Praxis der Branche, die von vielen zunehmend als ungerecht empfunden wird. Denn anders als private Wohnungs- und Eigenheimkäufer, die beispiels­weise in NRW den bundesweit höchsten Grunderwerbsteuersatz beim Kauf einer Immobilie an den Fiskus abführen müssen, gelingt es großen Wohnungskonzernen und Profiinvestoren, die ungeliebte ­Abgabe auf den Kaufpreis über den Weg des sogenannten „Share Deals“ vollständig zu umgehen.

Gemeint ist ein – im übrigen ­völlig legales – Verfahren, bei dem es formal nicht um den Erwerb von Immobilien geht, sondern um den Kauf eines Unternehmens, selbst wenn die Übernahme großer Immobilienbestände zentraler Zweck des Geschäfts ist. Voraussetzung für den „Share Deal“: der Käufer erwirbt nicht mehr als knapp unter 95 Prozent der Anteile des Übernahmekandidaten. Auf diese Weise wurde schon die Immobilien-Hochzeit des Jahres 2015 zwischen der Mülheimer Gagfah und der Deutschen Annington am Fiskus vorbei eingefädelt.

Experten gehen davon aus, dass dem Land NRW durch den Zusammenschluss der beiden Revier-Gesellschaften zum größten Immo­bilienkonzern Deutschlands rund 200 Millionen Euro Grunderwerbsteuer durch die Lappen gingen.

Noch mehr könnten es werden, falls es dem inzwischen zu Vonovia umfirmierten Konzern gelingt, wie geplant die Mehrheit am größten Konkurrenten Deutsche Wohnen AG zu übernehmen. Auch dabei will Vonovia erreichen, dass nicht mehr als 95 Prozent minus 10 000 Stück Deutsche-Wohnen-Aktien den Besitzer wechseln. Ansonsten drohe dem Konzern, dass „die Grunderwerbsteuer, die im Falle eines vollständigen Erwerbs der Deutsche Wohnen AG einschließlich aller ihrer Tochtergesellschaften entstehen würde, einen mitt­leren dreistelligen Millionenbetrag erreichen könnte“, wie es in einem dieser Zeitung vorliegenden internen Papier des Konzerns heißt.

Auch für den Fall, dass mehr als 95 Prozent der Anteilseigner der Deutschen Wohnen AG ins Vonovia-Lager wechseln, hat der Bochumer Konzern vorgesorgt. Die „überschießende Anzahl von Deutsche-Wohnen-Aktien“ soll dann eine Londoner Niederlassung des Bankhauses J. P. Morgan kaufen – gegen Provision.

Inzwischen beschäftigt das ­Thema auch die Politik. Die steuerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lisa Paus, hält eine Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes für dringend geboten. „Es ist zu überlegen das Gesetz so zu ändern, dass auch bei sogenannten Share-Deals ein fairer und gerechter Anteil an Grunderwerbsteuer gezahlt wird. Gerade große Unternehmen sind dazu in der ­Lage“, sagte Paus dieser Zeitung. Privilegien für milliardenschwere Hedgefonds bei der Grunderwerbsteuer seien überflüssig. Auch das Land sieht die bestehende Regelung kritisch und will „mögliche ­gesetzgeberische Handlungsoptionen zur Ergänzung des Grunderwerbsteuergesetzes prüfen“, teilte ein Sprecher des NRW-Finanzministeriums auf Nachfrage mit.