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Deutsche Studentin erlebt die Revolution in Kairo mit

Deutsche Studentin erlebt die Revolution in Kairo mit

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Foto: privat
Sie wollte nur in Kairo studieren, aber nun erlebt sie eine Revolution mit. Nadja Saoudi (22), Studentin aus Bremen, absolviert ein Auslandsjahr in Ägypten. Nadja wohnt mitten im Zentrum der Ereignisse, in der Nähe des Tahrir-Platzes. Sie hat die Not in Kairo erlebt – und sieht jetzt, wie der Umsturz die Menschen verändert.

Kairo. 

„In den Wochen vor dem Sturz von Mursi war die Stimmung hier extrem angespannt“, sagt Nadja Saoudi. „Die Leute gerieten zuletzt wegen Kleinigkeiten in Streit, manche prügelten sich sogar. Die sozialen Probleme wurden immer größer. Die Menschen stritten um Brot, um Benzin, um alles. Seit ein paar Tagen ist das anders. Ich erkenne die Stadt und ihre Menschen nicht wieder.“

Nadja studiert an der Hochschule Bremen International Management und Arabisch. In Kairo war sie ein Semester an der International University und macht seit März ein Praktikum in einer ägyptischen Firma. Hier ist ihre Geschichte:

„Es macht sich in diesen Tagen Festival-Stimmung breit in der Hauptstadt. Die Leute sind auffallend rücksichtsvoll, freundlich, lässig. Sie lassen anderen auf der Straße auf einmal die Vorfahrt, und jeder, vor allem Jüngere, zeigt sich als glühender Patriot. Ständig werden patriotische Lieder im Radio gespielt, auf den Straßen werden entsprechende Lieder gesungen, Fahnen werden gezeigt.

Not und Dekadenz prallen aufeinander

Ich sehe unglaubliche Gegensätze in dieser Stadt. Auf der einen Seite sind jene, die echte Not leiden. Menschen, die um ihr tägliches Brot kämpfen, Taxifahrer, die in langen Schlangen vor den Tankstellen stehen. Auf der anderen Seite gibt es eine unglaubliche Dekadenz. Wer Geld hat, der zeigt dies sehr offen. Der lässt sich vom Chauffeur fahren. Der gibt an einem Abend 5000 Dollar fürs Vergnügen aus. Manche Frauen tragen extrem kurze Röcke und Schuhe mit extrem hohen Absätzen. Die Not und die Dekadenz prallen in dieser Stadt voll aufeinander.

Als Frau ist es nicht immer leicht, sich in Kairo zu bewegen. Ich weiß nicht, ob zuletzt tatsächlich mehr als 90 Frauen auf dem Tahrir-Platz vergewaltigt oder belästigt wurden. Aber als Frau musst du dich hier behaupten. Viele Männer starren dich an, einige rufen dir hinterher. Man sollte nie langsam schlendern oder als Püppchen auftreten. Ich trage eine Sonnenbrille und ein Kopftuch und gehe im Stechschritt, damit keiner auf die Idee kommt, ich sei eine schwache Frau. Etwas Arroganz im Auftreten kann nicht schaden.

An Facebook führt kein Weg vorbei

Es ist schwer zu sagen, ob sich die Menschen in Ägypten eine Demokratie wünschen, wie wir sie kennen. Da gibt es jene, die glauben, arabische Länder seien gar nicht für die Demokratie geeignet. Andere wünschen sich vor allem einen starken Mann an der Spitze, der für Ordnung im Staat sorgt. Unter den Besserverdienenden und unter Akademikern ist der Wunsch nach demokratischen Verhältnissen sehr verbreitet. Es gibt also viele Meinungen, aber man kann nicht sagen, wohin sich Ägypten nun entwickelt. Die meisten Menschen eint im Moment die Abneigung gegenüber der alten Regierung. Die Unzufriedenheit, der Hass konzentrierte sich auf einen Menschen: auf Mursi. Der und seine Regierung sollten weg.

Für die demonstrierende Jugend ist Facebook das wichtigste Medium in diesen Tagen. Hier erfährt man, was passiert und was geplant ist. Es gibt viele Seiten, auf denen man sich informieren kann. Facebook ist für uns der beste „Live-Ticker“ für die Ereignisse in Kairo. Natürlich sind auch die Fernsehbilder wichtig. Vor dem Umsturz hatte ein staatlicher Sender sehr ausführlich über die Demonstrationen berichtet, und ein Sender der Muslimbrüder zeigte vor allem betende Mursi-Anhänger. Direkt nach der Rede des Armeechefs al-Sisi verschwanden die Bilder des Muslimbrüder-Senders. Er wurde einfach abgestellt, der Bildschirm blieb schwarz.

Diese gute Stimmung lässt keinen kalt, sie zieht dich mitten rein in die feiernde Menge. Es macht Spaß, auf der Straße zu sein oder mit dem Taxi umherzufahren. Man sieht auch viele Kinder und Familien auf der Straße. Wie gesagt: Es ist eine Art Festival-Stimmung. Was für ein Kontrast zu der angespannten Lage zuvor!“