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Der traurige Held vom 11. September 2001

Der traurige Held vom 11. September 2001

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Foto: Thomas Spang

Harlem, New York. 

Hisham Tawfiq ist einer der Feuerwehrleute, die am 11. September 2001 ihr Leben riskierten. Er ist Moslem, schwarz und durch die Ereignisse bis heute traumatisiert. In den vergangenen Jahren musste er trotzdem zahlreiche Demütigungen hinnehmen.

Amerika ringt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 um seine Identität als offene Gesellschaft. Der Umgang mit der muslimischen Minderheit im eigenen Land wird zum Gradmesser.

Hisham Tawfiq (41) weiß nicht, ob er es schafft, an Ground Zero zurückzukehren. Den Ort, an dem der New Yorker Feuerwehrmann vor zehn Jahren 343 Kameraden verlor. Darunter seinen Freund Shawn Powell – ein Schwarzer und Muslim wie er. Hisham leidet bis heute unter dem Trauma, das die monatelangen Bergungsarbeiten am World Trade Center hinterlassen haben.

In seinem Kopf wiederholen sich die Erinnerungen an den 11. September wie eine Endlosschleife. Hisham sieht sich vor dem Schaufenster eines Elektronikladens stehen, in dem ein Fernseher flimmert. Gebannt verfolgt er die ersten Bilder im Fernsehen, die zeigen, wie American-Airlines-Flug 11 in den Nordturm einschlägt. Unwirkliche Szenen, die mit einem Anruf seiner Feuerwache in Harlem Realität werden. Kurz darauf rast Hisham mit seinen Kameraden die 6. Avenue herunter.

Die Türme liegen in Trümmern

Der Wagen erreicht Ground Zero kurz nach halb elf. Die Zwillingstürme liegen bereits in Trümmern. Hishams Zug löscht in einem der kleineren Gebäude nebenan. Gegen Mitternacht kursiert eine Liste mit den Namen vermisster Kameraden. Darauf steht auch sein Freund Shawn, der aus einem Feuerwehrhaus in Brooklyn ausgerückt war. Hisham versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen. Keine Antwort. „Ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert war.“

Nach Jahren der Therapie wäre eine Rückkehr an Ground Zero für den Veteranen des ersten Golfkriegs ein großer Durchbruch. Während Hisham daran arbeiten kann, muss er mit einer anderen Erfahrung leben. Von Kindesbeinen an lernte der Sohn eines Imams aus Harlem, „dass Rasse und Religion wesentliche Faktoren sind, wie Du in diesem Land behandelt wirst“. Umso mehr nach den Terroranschlägen der El-Kaida-Extremisten, die anti-muslimische Emotionen auslösten.

„Wir waren wie eine Familie“

Eine Welle, die in Hishams Wahrnehmung von Jahr zu Jahr wuchs. Als er auf dem Leichenfeld von Ground Zero nach Opfern suchte, sagte kaum jemand etwas über seine Religion. „Wir waren alle wie eine Familie.” US-Präsident George W. Bush besuchte demonstrativ eine Moschee. Er forderte Toleranz gegenüber der muslimischen Minderheit, die ein Prozent der US-Bevölkerung ausmacht.

Ein richtiger Impuls, den Bush mit seiner Politik später selber untergraben sollte. Die Vermengung von Osama bin Laden und Saddam Hussein, die Behandlung von Gefangenen in Guantànamo und der Folterskandal von Abu Ghraib trugen dazu bei, diese Botschaft zu verwischen.

Hisham spürte das am eigenen Leib. Die Gespräche im Feuerwehrhaus von Harlem nahmen immer unschönere Züge an. Weil sie seinen Namen „komisch” fanden, tauften ihn seine weißen Kameraden „Sam“. Eine von vielen Unfreundlichkeiten, die er im Alltag erdulden musste.

Die Spannungen eskalierten 2010 während des Streits um das muslimische Zentrum, das zwei Straßenblöcke von Ground Zero entfernt entstehen sollte. Die von erzkonservativen Gruppen angeheizte Kontroverse um das als „Sieges-Moschee” denunzierte Projekt motivierte Hisham dazu, erstmals an die Öffentlichkeit zu treten.

„Ich bin ein New Yorker Feuerwehrmann und ich war am 11. September im Einsatz”, stellt sich Hisham in einem Info-Spot der Bürgerrechts-Organisation CAIR vor. „Und ich bin ein Muslim.” Ein Auftritt in Uniform, den einige auf der Wache als Verrat begriffen. „Niemals zuvor habe ich so viele böse Blicke erhalten.”

All das schmerzt den Amerikaner, der bis heute sein Leben für das Land riskiert, das er liebt. Sein Vater, der in der 113. Straße eine Moschee gegründet hatte brachte ihm bei, geduldig gegen die Vorurteile anzukämpfen.

Kampf gegen Vorurteile

„Die Aufgabe ist gewaltig”, weiß Keith Ellison, einer von zwei muslimischen Abgeordneten im US-Kongress, der es für einen „enormen Fehler” hält, wie Politiker inzwischen mit der Minderheit umgehen, die einmal als besonders gut integriert galt. Ellison beobachtet wie Hisham, dass die Liste der Übergriffe immer länger wird. Seien es die Feindseligkeiten gegen die muslimische Gemeinde von Murfreesboro in Tennessee, die Koran-Verbrennung in Florida oder der Messerangriff auf einen muslimischen Taxi-Fahrer in New York.

Ob er sich als Muslim in den USA akzeptiert fühlt? „Ich weiß es nicht“, wägt Hisham zwischen den unterschiedlichen Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre ab: mehr Verständnis auf der einen, offene Diskriminierung auf der anderen Seite. „Ich arbeite mit einer Schaufel gegen einen Berg an Vorurteilen.“