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11. September – Die Spur nach Hamburg

11. September – Die Spur führte nach Hamburg

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Die Bilder vom 11. September gingen um die Welt. Die Spur der Attentäter führte nach Hamburg. (Archivfoto: dapd)
Der Verfassungsschutz war dran an den Terrorpiloten des 11. September. Doch er erkannte nicht, wie gefährlich die Männer aus Hamburg waren. Es ist die deutsche Last am 11. September.

Hamburg. 

500 Meter vom Harburger S-Bahnhof liegt zwischen dem katholischen Stensen-Gymnasium und der Kneipe Goeschen Eck ein bürgerliches Straßenstück. Hier und da lockern Balkonblumen die viergeschossige Bebauung der Marienstraße auf. Balkon- und blumenlos aber und weiß gestrichen ist die Fassade der Hausnummer 54.

Es ist ein Schauplatz der Weltgeschichte. Hier haben El Kaidas Attentäter die Selbstmordanschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 geplant. Ihre Angriffe kosteten etwa 3000 Menschen das Leben. Es folgten weitere Attentate, weitere Tote, der „Kampf gegen den Terror“, die Kriege in Afghanistan und Irak. Hamburg war „Planungsraum“ des islamistischen Terrors, der mit Beginn des 21. Jahrhunderts wuchtig auf die globale Bühne drängte.

Warum Hamburg? Lawrence Wright, Autor von „The Looming Tower“, beschreibt in seinem Buch über die Vorgeschichte des 11. September das Klima der Hafenmetropole um 1999: Eher britisch als deutsch. Sehr bürgerlich, sehr liberal. „Ein beliebtes Ziel für ausländische Studenten und Flüchtlinge, 200.000 Muslime unter ihnen.“ Aus den Erfahrungen der rassistischen Hitlerzeit heraus hätten die deutschen Behörden mehr das eigene Land und die eigenen Leute gefürchtet als Fremde. Die blieben – weitgehend, wenn auch nicht ganz – unbeobachtet in ihrem Tun.

Von Fanatismus ist erst wenig zu spüren

Mohammed Atta kommt 1992 in die Hansestadt. Er studiert am Harburger Technikum Stadtplanung. Sein Vater ist Anwalt in Kairo. Zunächst ist von Fanatismus wenig zu spüren, und er muss mit seinem Auftreten und den tiefen schwarzen Augen die Frauen beeindruckt, aber auch verwirrt haben: Konnte, wollte er mit ihnen überhaupt anbändeln? Die Wahrheit: Er hatte ganz andere Absichten.

1997 – die Israelis sind in den Libanon einmarschiert – findet sich in der Marienstraße eine Männergruppe zusammen, die die Wut über den Einmarsch eint. Längst befeuert durch radikale Prediger der Al-Quds-Moschee am Steindamm reift der Plan, sich für die Arroganz der Ungläubigen und des Westens zu rächen. Neben Atta sind da Marwan al-Shehhi aus den Emiraten und der Libanese Ziad Jarrah, der eine junge Medizinstudentin in Bochum liebt, ihr aber seine wahren Ziele vorenthält. Die drei werden vier Jahre später US-Flugzeuge entführen und Passagiere und sich in den Tod steuern. Ramzi Binalshib, der Koordinator, und Mounir Motassadeq un­terstützen wie Said Bahaji das Trio. Bahaji unterhält den Nachrichtenkanal in die Berge Afghanistans.

Bin Laden entschied: New York, nicht San Francisco

Dort hat El-Kaida-Führer Osama bin Laden entschieden: Den Angriff auf die Zentrale des Feindes wird die „Hamburger Zelle“ unternehmen, nicht eine zweite Gruppe in Asien. Und: Die US-Ostküste wird angegriffen. Der Plan, Los Angeles und San Francisco zu treffen, wird vertagt.

Einer in der Zelle ist Mohammed Zammar. Er ist das Ri­siko. Atta und seine Komplizen ahnen nicht, dass der Verfassungsschutz den korpulenten Deutsch-Syrer ab 1997 – und über ihn später auch Bahaji und Motassadeq – observiert und abhört. Aber die Staatsschützer versagen. Sie fin­den den roten Faden nicht, den Zusammenhalt der Zelle und ihre Absichten. „Zu einer Gruppenbildung lagen keine Informationen vor“, heißt es später im Prozess gegen Motassadeq. Erst am Tag nach dem Zusammensturz der Twin Towers, als 500 US-Ermittler in Hamburg einrücken und die Marienstraße 54 in Teile zerlegen, fällt deutschen Fahndern das Netzwerk auf. Es ist zu spät. Es ist die deutsche Last des 11. September.

Und die Ehefrau sitzt in Bochum

Die Vorbereitungen in der Hansestadt sind im Jahr 2000 abgeschlossen. Die Todespiloten reisen in Ausbildungslager der Kaida und dann in die USA, wo sie auf Sportmaschinen den Flugschein machen. Basiskenntnisse reichen, um eine Tonnen schwere Boeing in die Wolkenkratzer Manhattans zu steuern. Landen lernen ist nicht nötig.

Ziad Jarras Frau, die Ärztin Gülay in Bochum, hofft da noch immer, dass sein Gerede vom „Märtyrertod“ aufgeblasenes Gerede ist. Die Bilder aus New York zerstören alle Illusionen.