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Zahl der Rotlicht-Sünder bei der Bahn auf Höchststand

Zahl der Rotlicht-Sünder bei der Bahn auf Höchststand

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Stopp-Signale werden bei der Bahn, statistisch gesehen, jeden Tag übersehen und überfahren. Foto: dpa
Bad Aibling ist kein Einzelfall. 470 Mal überfuhren Züge im Jahr 2014 auf Halt gestellte Signale. Das sind 25 Prozent mehr als im Jahr davor. Erst vor drei Wochen verursachte ein „Rotlicht-Sünder“ im Führerstand einer VRR-S-Bahn eine Kollision mit einem Mercedes.

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Steckte der Unglücksort nun tief in einem Funkloch oder nicht? Ganz gleich: Michael P. hat „menschlich versagt“. Der Fahrdienstleiter an der Bahnstrecke von Kolbermoor nach Bad Aibling ist wohl der Schuldige an dem Zugunglück, das am 9. Februar elf Menschenleben gekostet hat. Er hat auf der eingleisigen Strecke zwei sich entgegenkommenden Zügen freie Fahrt gegeben, obwohl das Signal bei Kolbermoor für den einen auf „Rot“ gestellt war.

Doch in Südbayern ist kein Einzelfall passiert. Stopp-Signale werden bei der Bahn, statistisch gesehen, jeden Tag übersehen und überfahren. Es kommt zudem öfter vor, dass die nach einer „Rotlicht-Sünde“ automatisch bewirkte Zwangsbremsung vom Personal einfach aufgehoben wird.

Zahl der Rotlicht-Verstöße um 25 Prozent gestiegen

Wie viele Rotlicht-Sünder sind bei der Bahn unterwegs? Der letzte Sicherheitsbericht des Eisenbahnbundesamtes nennt die Zahl der Verstöße im Jahr 2014. Jüngere Daten für 2015 werden offiziell nicht vor Juni vorliegen. Die Feststellung in dem Report hat es aber in sich. Sie deutet darauf hin, dass die Staats- und auch nicht wenige Privatbahnen hier ein Sicherheitsproblem haben.

In der „eingehenden Analyse der festgestellten Trends der jüngsten Vergangenheit“ heißt es: „Im Bereich der überfahrenen Haltesignale kam es zu einem deutlichen Anstieg um etwa 25 Prozent auf 470“. Das sind mehr als die Hälfte aller festgestellten „Störungen und Beinaheunfälle“. Es ist die höchste Zahl von Verstößen seit 2009, wie eine Auswertung der Sicherheitsberichte durch unsere Redaktion ergab. 2013 hatte es 368 Rotlicht-Überfahrten gegeben, 2012 genau 400. Man werde abwarten müssen, ob sich das als „Ausreißer“ darstelle oder als Trend bestätige, warnt der Bericht.

S-Bahn bei Remscheid hatte keine freie Fahrt

Der letzte Vorgang dieser Art, der zu einem Unfall mit Personenschaden führte, liegt gerade drei Wochen zurück. Betroffen: Eine S-Bahn des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR). Am Abend des 25. Januar rammte die S 7 zwischen Remscheid und Solingen auf dem Bahnübergang Blumental den Mercedes eines 78-Jährigen. Der Triebwagen war verhältnismäßig langsam unterwegs. So wurde der Autofahrer „nur“ schwer verletzt. Sein Auto ist schrottreif.

Obwohl erst alles nach einem Fahrfehler des Autolenkers aussah, der am Ende eines Staus auf den Gleisen stehen geblieben war, räumte das Eisenbahnbundesamt (EBA) wenig später ein: Auch im Zug sei womöglich einen Fehler gemacht worden. Die S-Bahn habe keine freie Fahrt gehabt. Der Führer des Triebfahrzeugs hatte ein Signal missachtet, das auf „Halt“ stand. Sein Zug wurde per Magnet zwangsweise gebremst. Dennoch hat er laut EBA „die Fahrt fortgesetzt“. Bis zum Crash.

Für Reisende ist die Bahn immer noch das sicherste Verkehrsmittel

Es gibt Blaupausen für so ein Fehlverhalten. Am 1. August 2014 überfuhr der Lokführer des Güterzuges vom Duisburger Hafen nach Sopron in Ungarn mehrere auf Stopp gestellte Haltesignale, gleich mehrfach hob er auch die Zwangsbremsung auf. Im Mannheimer Hauptbahnhof krachte sein Zug in den IC Graz-Saarbrücken. Zwei Waggons kippten um. 35 Fahrgäste wurden teils schwer verletzt.

Die drastische Steigerung der überfahrenen Halte-Signale muss noch in einem anderen Zusammenhang gesehen werden. Denn nicht nur die Zahl der schweren Bahnunfälle erreichte 2014 mit 333 einen lange nicht gesehenen Höhepunkt. Auch die Zahl der Unfalltoten im Bahnbereich stieg deutlich an – von 137 auf 160. Meist starben die Opfer auf Bahnübergängen. Doch zumeist trugen sie selbst die Schuld. Anders als in diesem Jahr war 2014 kein einziger Fahrgast unter den Toten. Für die Reisenden in den Zügen ist die Bahn nach wie vor das sicherste Verkehrsmittel, können die Chefetagen in den Eisenbahnunternehmen behaupten.

Michael P. aus Bad Aibling muss mit einem Strafprozess rechnen. Der 40-jährige Triebfahrzeugführer des S 7 zwischen Remscheid und Solingen ist inzwischen von seinem Arbeitgeber, der Abellio-Bahn, fristlos entlassen worden. Die Unfallermittler haben ihre Arbeit in beiden Fällen noch nicht abgeschlossen.