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Wirtschaftskrise trifft Pferde in Irland

Wirtschaftskrise trifft in Irland jetzt die Pferde

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Foto: WAZ
Sie sind manchmal bis auf die Knochen abgemagert: In Irland werden immer mehr Pferde und Ponys ausgesetzt. Ihre Halter können sich die Tiere nicht mehr leisten. Schätzungen gehen von bis zu 20 000 frei lebenden Pferden aus.

Essen/Münster. 

Diese Tiere sind ein Leiden auf vier Beinen. Zottelige Ponys, bei denen sich jede Rippe abzeichnet. Die Hüftknochen stechen hervor. Das Fell ist schmutzig und zerzaust. Diese Tiere haben noch Glück, denn die Tierschützer sind schon unterwegs. Sie wollen helfen, eilen zu diesen traurigen Gestalten auf einer Wiese in Irlands Hauptstadt Dublin. Während auf einer Schnellstraße daneben im Stadtteil Finglas der Verkehr rauscht, verteilen die Helfer Heuballen. Aus allen Richtungen traben Pferde herbei, der Hunger treibt sie an.

Es ist ein Drama auf vier Hufen, das sich auf irischen Golfplätzen, auf Müllhalden und neben Autobahnen abspielt. Einst geliebte Ponys und preisgekrönte Rennpferde kämpfen dort ums Überleben. „Diese Bilder sind kaum zu ertragen“, sagt Denis Lynch. Er ist ein Pferdekenner, Weltranglisten-Neunter bei den Springreitern. Der Ire trainiert seit 14 Jahren in einem Reitstall in Münster und verfolgt die Situation in seinem Heimatland mit Entsetzen. Den irischen Pferden geht es schlecht wie nie. Immer wieder muss die Tierschutzorganisation „The Irish Society for the Prevention of Cruelty to Animals“ (ISPCA) ausgesetzte Pferde einfangen. Die Tiere sind unterernährt, ungepflegt und am Ende ihrer Kräfte. Viele werden erst gefunden, wenn sie bereits verendet sind.

Dann geistert mal wieder eine Horrorgeschichte durch die irischen Medien. Wie die von den vier toten Pferden, die in den Büschen eines ehemaligen Golfplatzes im Städtchen Blarney im Süden des Landes gefunden wurden – wohl verhungert oder erfroren. „Die ISPCA wird kaum Herr der Lage“, sagt Lynch. Täglich werden die Helfer zu ausgesetzten Pferden gerufen. „Es gibt Fotos von einem verhungerten Fohlen auf gefrorenem Boden, vor den Hufen aufgescharrte Erde. Offenbar hat es mit letzter Kraft versucht, Futter zu finden“, erzählt Lynch.

Mehr als 100 Pferde befinden sich in der Obhut der Tierschützer. „Wir können die Pferde nicht länger in so großer Zahl aufnehmen“, sagt ISPCA-Chefinspektor Conor Dowling. „Unsere Kapazitäten sind erschöpft.“ Dabei warten noch tausende Tiere auf Hilfe. Schätzungen zufolge sind es 20 000 ausgesetzten Pferde, die durch die irische Landschaft irren. Die Tierschützer können gar nicht jedem Hinweis auf ein verwaistes Pferd nachgehen.

Wie kommt es zu diesem Drama? Wie kann es sein, dass tausende Pferde plötzlich überflüssig werden? Aus Irland stammen einige der besten Turnierpferde der Welt. Pferde galten hier als Statussymbol. Wer ein Pferd besaß, war angesehen. In Zeiten des wirtschaftlichen Booms konnten sich auch Durchschnittsverdiener ein Reitpferd leisten. Andere schlossen sich zusammen und kauften Anteile an einem Tier, das sie dann auf die Rennbahn schickten. Pferde als Investition. Züchter hatten Hochkonjunktur.

Dann kam der Crash. „Plötzlich wurden die Tiere nicht mehr gefüttert, man konnte sich den Stall und den Tierarzt nicht mehr leisten. Sie wurden bei Nacht auf eine Wiese gefahren“, sagt Lynch. Seitdem streunen herrenlose Pferde auf Golfplätzen herum, suchen in Wohnsiedlungen nach Futter und rennen in Panik über die Autobahn. Und weil es in Irland bisher keine Pflicht gibt, Pferde mit einem Mikrochip zu markieren, weiß niemand, wem die wilden Tiere gehören.

Pferd gegen Handy, Vorgarten statt Stall

Andernorts verscherbelt man die Pferde schon für ein Handy, Hauptsache weg, so teuer ist der Unterhalt geworden. Sie werden schon von Kindern und Jugendlichen in den winzigen Vorgärten ihrer Großstadt-Wohnsiedlungen gehalten. Denis Lynch will helfen. Er will gesunde Pferde nach Deutschland und in die Schweiz bringen und sie an Reitställe vermitteln. „Dort können sie als Schulpferde einen guten Job machen und sich ihr Futter selbst verdienen“ – und damit in den irischen Notunterkünften Platz machen für neue Notfälle.