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Wie der Film Blackfish Mitleid mit Killerwal Tilikum erzeugt

Wie der Film Blackfish Mitleid mit Killerwal Tilikum erzeugt

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An orca swims with its calf at the Marineland animal exhibition park in the French Riviera city of Antibes, southeastern France, on December 12, 2013. AFP PHOTO / VALERY HACHE Foto: afp
Der Orca Tilikum tötete 2010 im Show-Tierpark Seaworld in Florida seine Trainerin. Der Kinofilm „Blackfish“ erzählt nun die Geschichte – es ist eine über Tierquälerei. Filmemacherin Gabriela Cowperthwaite zeigt den Zuschauern den tierischen Kommerzbetrieb.

Washington. 

Seit Keiko vor 20 Jahren über die Kaimauer und mittenmang in die Herzen von Millionen Kinobesuchern sprang, hat das Schicksal von Schwertwalen des börsennotierten Show-Tierparks „Seaworld“ nicht mehr solche Wellen geschlagen wie heute. Das erschütternde und walweise Kino-Doku-Drama „Blackfish“ hat in Amerika eine Unterströmung erzeugt, von der sich auch immer mehr Prominente mitreißen lassen. Sie zeigen dem Kommerz-Betrieb, der an seinen Standorten Orlando, San Diego und San Antonio im letzten Quartal knapp 120 Millionen Dollar Profit gemacht hat, medienwirksam die kalte Schulter.

Oscar für das Doku-Drama?

Erst zogen die „Barenaked Ladies“ ihre Teilnahme am begehrten Musik-Programm „Band, Bier und Barbeque“ zurück. Danach ­„Heart“, „Cheap Trick“, Trisha ­Yearwood und Joan Jett, die ihre Auftritte am Wasser-Bassin absagten. Letztere verbat zudem, dass ihre Hymne „I Love Rock ‘n‘ Roll“ weiter bei den „Shamu Shows“ intoniert wird. Seit auch Folk-Legende Willie Nelson erklärt hat, dass die Unterwasserkäfighaltung der Meeressäuger „überhaupt nicht in Ordnung geht“, liegt ein Hauch von „Free Willy“-Stimmung in der Luft.

Vielleicht genau das, was Gabriela Cowperthwaite im Sinne hatte, als sie genau recherchierte und rekonstruierte, wie und warum Dawn Brancheau (40) starb. Tilikum, ein vor Island gefangener Orca, war seinem inoffiziellen Drittnamen Killer-Wal auf fatale Weise gerecht geworden und hatte seine Trainerin vor den Augen des geschockten Publikums am blonden Haarschopf gepackt, unter Wasser gezogen und ertränkt.

Das Tier bringt 6000 Kilo auf die Waage

Das sieben Meter lange und 6000 Kilogramm schwere Tier war zur Tatzeit im Februar 2010 Wiederholungstäter. Bereits 1991 und 1999 bereitete Tilikum zwei Menschen ein nasses Grab, die sich in seinen Nahbereich gewagt oder verirrt hatten. Seaworlds Lobbyisten und PR-Strategen reagierten nach dem dritten Zwischenfall empfindlich und mit einer Einzelmeinung: Nicht die Kreatur, nicht die artungerechten Verhältnisse im 15 Meter langen, 22 Meter breiten und 4,5 Meter tiefen Becken-Gefängnis seien Ursache für das Unglück gewesen – sondern allein die Unachtsamkeit der Trainerin.

Dass bei Orcas, die in Freiheit am Tag bis zu 160 Kilometer im Familienverbund zurücklegen und 200 Meter tief abtauchen, in Gefangenschaft Langeweile in Aggression umschlagen kann, will der Konzern nicht hören. Passend: An „Blackfish“ beteiligen mit einem eigenen Standpunkt wollte sich Seaworld nicht. Lieber verdammte man Cowperthwaites Arbeit vorab als „irreführend und wissenschaftlich inakkurat“. Was die Filmindustrie nicht schreckt. „Blackfish“, auch in deutschen Kinos zu sehen, könnte 2014 in Los Angeles einen Oscar gewinnen.

Für John Hargrove, John Jett und Samantha Berg, alle drei lange bei Seaworld beschäftigt gewesen, ist die Haltung des früheren Arbeitgebers Realitätsverweigerung mit pekuniärem Hintergrund. Weil der Fang von Schwertwalen in den Weltmeeren verboten ist, Tierparks und Aquarien jedoch Nachschub benötigen, diene der seit über 30 Jahre inhaftierte „Tili“ als teure Samenbank. Trotz seiner unberechenbaren Aggressivität. 21-facher Vater soll er inzwischen sein. Dass weitere Kinder dazukommen, scheint wahrscheinlicher als isländische Medienberichte. Danach will Seaworld den Problem-Wal loswerden. Islands Fischereiminister liege ein Auswilderungsgesuch vor, heißt es. Und dass Tilikum in jenem Fjord ausgesetzt würde, in dem er vor über drei Jahrzehnten gefangen genommen wurde.

Gnadenhering im Wasserknast

Auch Keiko, der Hauptdarsteller aus „Free Willy“, wurde 1998 nach Jahren in einem mexikanischen Tierpark vor Island ins offene Meer verfrachtet. Die Integration in eine Orca-Pflegefamilie misslang. Ebenso der Versuch, dem späten Freischwimmer die Kunst der Nahrungsbeschaffung beizubringen. Keiko starb an Lungenentzündung. „Tili“, dem Mordswal, wird daher wohl eher der Gnadenhering im Wasser-Knast von Seaworld winken. Bis dahin wird er große Kunststücke und kleine Killerwale machen. Vielleicht singt Willie Nelson bald ein Lied darüber.