Veröffentlicht inVermischtes

Reiner Hänsch: „Hatte in meinem Leben sehr viel Glück“

Reiner Hänsch: „Hatte in meinem Leben sehr viel Glück“

Rainer Hänsch.jpg
Foto: Michael May IKZ

Er redet für sein Leben gern, sagt der Letmather Sänger, Buchautor und Neu-Comedian Reiner Hänsch. Aber könne auch gut mal schweigen, wenn es eben nichts Wichtiges zu sagen gibt. Er spricht ganz locker über Letmathe, Leute und den lieben Gott und passt doch blitzgenau auf, dass da hinterher nichts in der Zeitung steht, worüber man (oder er) sich ärgern müsste. Ein Gespräch mit einem rustikalen Feingeist.

Mir ist bei der Vorbereitung aufgefallen, dass wir uns bei unseren sehr gelegentlichen Treffen zwar duzen, dass wir aber eigentlich gar nicht viel voneinander wissen. Zum Beispiel weiß ich noch nicht einmal genau, wie alt Du eigentlich bist.

(jault auf) Das muss ich sagen?

Ich bitte drum.

Ich wundere mich ja selber, dass ich so alt geworden bin, wie ich jetzt bin. Dass da vorne tatsächlich eine „Sechs“ steht. Das kann ich auch nicht begreifen. Viel weiter bin ich aber auch noch nicht. Aber es ist in der Tat erstaunlich, dass man plötzlich so ein Alter hat. Früher waren das ja in unseren Augen alles alte Leute. Sechzig ist ja heute wie vierzig. Ich habe aber auch heute nicht das Gefühl, dass ich sechzig bin.

Du kommst aus Letmathe, hast auch in Düsseldorf gearbeitet, schreibst über das Sauerland und lebst jetzt an der Küste.

Eine Sonderform von Weltbürger.

Du lebst in Friesland, unweit des Jadebusens. Ist das wie Sauerland ohne Berge?

Im Grunde ist alles so wie das Sauerland. Will sagen: ich lebe auf dem Land – und da ist es eben so. Die reden natürlich anders, aber die Menschen sind doch irgendwie alle gleich. Und eigentlich auch alle nett, wenn man sie erst mal näher kennenlernt. Und Blödmänner gibt es ja leider überall.

In wieweit kann ein Menschenschlag Kreativität beeinflussen?

Da glaube ich irgendwie nicht dran. Entweder man hat das Gefühl, man müsste was Kreatives anstellen, Lieder schreiben, Gedichte schreiben. Oder Bücher. Oder malen. Oder man hat das nicht.

Und wenn man als Kreativer selber in so einer Umgebung lebt? Kann der sprachlich eher zurückhaltende Ostfriese einen da auch runterziehen?

Das ist ja ein Vorurteil, dass zum Beispiel der Friese maulfaul ist. Oder dass der Sauerländer stur ist. Das kann ich so gar nicht feststellen. Wenn ich da oben die Bauern sehe, die mein Haus umkreisen, dann sind das doch die gleichen netten Menschen, die hier unsere Sauerländer Misthaufen umkreisen. Und das Schreiben über diese Menschen hängt eigentlich nur von einer eigenen Betrachtungsweise ab. Du guckst dir so Typen an und denkst: Au, den merke ich mir mal. Der ist witzig. Oder, der ist cool. Oder ist was Besonderes. Darüber machst Du mal was. Man muss nur richtig hingucken und sich für die Menschen interessieren.

Manche Autoren gehen zum Schreiben in die Einsamkeit der Berge. Oder auf eine Insel.

Das ist immer so die Idee vom kreativen Menschen, der am liebsten auf einem Leuchtturm sitzt. Ich persönlich setze mich in mein kleines Büro, an meinen Rechner und fange an zu tippen. Manchmal gucke ich auch aus dem Fenster, aber ich kann nicht sagen, dass ich das brauche. Manchmal gucke ich auch gar nicht raus.

Bist Du nicht auch vom Wetter abhängig? Manchen kommen die besten Ideen, wenn es draußen aus Eimern gießt. Oder in der Abendsonne. Mit einem Glas Rotwein?

Also bei dem Rotwein wäre ich schon mal ganz vorsichtig. Wenn du das am anderen Tag liest, dann denkst du: Das mit dem Rotwein war keine gute Idee.

Und bei der Ton-Studioarbeit?

Es schadet. Du bist einfach nicht mehr so gut, machst Fehler.

Also noch mal zurück zum Tag des Reiner Hänsch.

Wenn ich schreibe, setze ich mich um neun Uhr oder halb zehn vor die Kiste und fange an zu schreiben. So lange es geht. Bei schönem Wetter ist das natürlich auch schon schwieriger. Da will man ja auch mal raus. Zum Beispiel ans Watt. Wasser gibt es ja da oben nicht. Nur Matsche. Wenn Freunde kommen und sagen, sie wollen ans Meer, dann sage ich: Meer? Na ja, woll’n mal gucken… Aber noch mal, schlechtes Wetter kann ich eigentlich nicht leiden.

Das Gegenmittel?

Ich bin, so oft es geht, in unserem Haus auf Ibiza.

Weil da auch die Kreativen wohnen.

Nee, weil da fast ganzjährig, selbst jetzt, schönes, angenehmes Wetter ist. Da arbeite ich natürlich auch.

Bist Du ein disziplinierter Mensch?

Eigentlich schon. Wenn ich mir was vornehme, versuche ich schon, es auch auf dem geraden Weg zu erreichen. Und ich bin einer, der auch nicht aufgibt. Wenn es irgendwo einen Knoten rauszufummeln gibt, dann sagt meine Frau: Das ist was für Dich. Und da hat sie auch Recht. Ich bin Steinbock. Noch Fragen?

Passt zu dieser Disziplin der Eindruck aus der Distanz: Reiner Hänsch der Lebenskünstler!?

Ab einem gewissen Alter darf man sein Leben ja schon mal rückblickend betrachten. Und da könnte manch einer wirklich sagen: Hänsch? Das ist tatsächlich ein Lebenskünstler. Was hat der eigentlich so gemacht? Schule? Hat er! Studiert? Hat er auch. Was denn? Sozialwissenschaften. Aha, und dann? Dann hatte er eine Kneipe. Ach, du lieber Gott. Und dann? Dann hat er Musik gemacht. Ogottogott! Damit war er aber sogar mit im Fernsehen, hat ein paar schöne Preise gewonnen und viele Platten verkauft. Und dann wollte er plötzlich nicht mehr und ist in die Werbung gegangen. Nach Düsseldorf. Was ich ja in meinem ersten Buch „Rotzverdammi“ auch beschrieben habe.

War der Weg in die Werbung eine massive Wende?

Vielleicht. Ich erinnere mich noch genau daran. Wir saßen zusammen und hatten gerade „Zoff“ begraben. Zu früh übrigens, wie ich heute finde. Damals dachte ich anders. Steinbock eben. Es ging mir alles zu langsam. Zu diesem Zeitpunkt hatte mir auch mein Sparkassenberater bereits tief in die Augen geschaut, weil das Konto längst nicht so schwarz war, wie es sein sollte. Das war so eine Schlüsselszene damals: Ich sagte meinem Bankberater: Was soll ich machen? Arbeiten? Und der Mann fand: Das ist gar keine schlechte Idee! Die Freundin von unserem Bassisten sagte damals: Geh doch in eine Werbeagentur. Da suchen sie Typen wie dich. Du bist ein Texter.

Erste Anlaufstelle?

Die Agentur Grey in Düsseldorf, später BBDO. Die Größten der Branche. Der Kreativchef war gut drauf, hat gesagt, ich solle vorbeikommen und meine Unterlagen mitbringen. Ich sagte: Ich habe keine Unterlagen! Da hat er gelacht und gefragt: Was hast Du denn gemacht? Musik? Dann bring’ deine Schallplatten mit. Damit konnte er zwar auch nicht viel anfangen, aber er fand es wohl ganz witzig und hat gesagt: Dann nehmen wir den mal!

Ich dachte, der Sauerländer ist für einen Werber viel zu gerade strukturiert? Oder zu realitätsnah?

Viele machen sich vielleicht auch ein falsches Bild von so einer Agentur. Im Grunde genommen ist das einfach harte Arbeit. Natürlich halten sich viele von Anfang an für genial, aber so einfach ist das nicht. Da musst du Dich richtig quälen, wie in dem jedem anderen Beruf auch.

Ist denn für den Letmather oder Sauerländer Düsseldorf am Ende doch so etwas wie emotionales Ausland?

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Iserlohn und Düsseldorf. Aber das ist ja keine andere Welt. Und gerade in der Werbeszene kommt man schon mit spannenden Menschen zusammen. Auch mit – sagen wir mal – Wichtigtuern, die sich für ganz was Großes halten, weil sie mal einen Werbefilm über Kloreiniger gedreht haben. Auch ich war in Südafrika oder in China für Werbespots. Mit gewaltigen Etats. Da könnte man schon mal die Bodenhaftung verlieren, ich aber nicht.

Wann hast Du erstmals angefangen, über Deine Wurzeln, also das Sauerland, nachzudenken?

Naja, irgendwie dann mit dem Song „Sauerland“. Den habe ich damals aus der Hand geschrieben. Ich weiß noch genau, wie ich an meinem Schreibtisch saß und auf eine kleine Sauerlandkarte blickte. Und da sah ich all die kleinen Orte und dachte, mach doch mal einen Song über diese komisch klingenden Namen wie Hundesossen oder Kalberschnacke. Da machst du ein paar lustige Reime und einen Refrain, der schön aufgeht. Schöne Melodie, aber eben auch richtig rockig. An einen großen Hit habe ich nicht dabei gedacht.

Der Durchbruch kam aber schnell..

Wir hatten da ja schon viele Fans, und die haben das sofort begeistert gefeiert, und auch Gisbert Baltes vom WDR fand das ganz doll und plötzlich wurde der Titel im „Mittagsmagazin“ gespielt. Die Leute riefen beim Sender an und fragten: Was spielt Ihr denn da? In Hundesossen werden die Touristen erschossen? Die Tourismusleute waren zunächst mal gar nicht erbaut. Der Text ist ja schon etwas bissig und ironisch. Aber auch selbstironisch, weil ich ja selbst auch Sauerländer bin.

Den Leuten hat’s also gefallen.

Sie haben uns gefeiert. Manchmal haben sie auch das Ironische gar nicht so mitbekommen. Da standen oft Betrunkene vorne und haben einfach „Sauerland“ gegrölt. Ich habe gedacht: So hab´ ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Egal, das Lied begleitet mich bis heute. Und ich singe es immer noch gerne.

Wann hast Du das erste Mal gemerkt, dass Du bei den Leuten als Typ, als Reiner Hänsch, ankommst?

Mit der Band habe ich das schon gemerkt, dass ich ganz gut beim Publikum ankomme. Ich habe auch immer gern mit den Leuten gesprochen. Da haben die manchmal von unten gerufen: Quatsch nicht so viel, mach Musik!“ Naja, und jetzt schreibe ich Bücher und bei meinen Leseshows kann ich dann die ganze Zeit quatschen und den Leuten gefällt´s.

Themen-Wechsel. Wenn man sich schon als Sonderform des Weltbürgers sieht, kommt man dann ohne viele Freunde aus?

So richtig feste Freunde, mit denen ich mich jede Woche treffe, habe ich weniger. Wir treffen uns zwar ab und zu bei Berthold in der Kneipe, aber ich bin jetzt nicht jemand, der da jeden Abend Programm braucht. Ich sage mal so: Ich komme mit vielen Leuten gut zurecht, aber richtig dicke, echte Freunde hat man ja eher weniger. Viele bilden sich das auch ein, aber am Ende sind es trotzdem nicht viele.

Kannst Du „Glück“ definieren?

Kann ich. Ich habe sehr viel Glück gehabt. Eigentlich ging mein Weg immer weiter, wenn er auch mal holperig war. Selbst als ich meinen gut bezahlten Agenturjob gekündigt habe, um als selbstständiger Musikproduzent und Komponist für Werbespots zu arbeiten und dann erst mal vor dem Telefon gesessen und gewartet habe, dass es klingelt. Und es klingelte natürlich nicht. Aber das war zum Glück nur eine kurze Phase. Ich war und bin noch immer sehr erfolgreich als Produzent und Komponist mit aktuell laufenden Werbespots.

Wann ist Dir denn aufgefallen, dass die Letmather sich eigentlich mehr für Dich interessieren als für andere Letmather in der Fremde?

Ist das so? (lacht) Im Moment ist das wohl so. Ich merke das natürlich an meinen ausverkauften Lesungen mit meinen Büchern „Rotzverdammi“, „Die Faxen dicke“ und aktuell „100.000 Tacken“ hier und in der Region. Aber man muss natürlich auch an sich arbeiten und ein wenig von sich reden machen. Sonst klappt das nicht. Außerdem sind es ja keine Lesungen im herkömmlichen Sinne. Ich mache Comedy, Musik und Lesen. Die Leute haben zwei Stunden richtig Spaß! Wir lachen uns kaputt.

Diese ganzen Bühnen- und Lese-Aktivitäten, die Du im Moment unternimmst – sind die in erster Linie gut fürs Ego oder doch eher für den Mann von der Sparkasse?

Also ich müsste das nicht machen. Nein, nein! Ich WILL das machen! Es macht mir einfach viel Spaß und es hält mich jung.

Steuert man langsam auf die Alters-Angst zu, dass das irgendwann so gar nicht mehr geht?

Eigentlich ist ja noch alles so wie früher. Sogar, wenn ich heute meinen kleinen Verstärker selbst reintrage und anschließe.

Und in 15 Jahren?

Habe ich vielleicht jemanden, der mir meinen Verstärker reinträgt.

Bist Du ein Familienmensch?

Ich bin sehr gern mit meiner kleinen Familie, also meiner Frau und meinem Sohn zusammen, aber jeder geht auch seine eigenen Wege.

Weihnachten im Hause Hänsch, wie muss ich mir das vorstellen?

Letztes Jahr hatten wir tatsächlichen einen Weihnachtsbaum. Obwohl ich gar nicht so ein Weihnachtstyp bin. Ich bin meistens froh, wenn es vorbei ist. War aber ganz schön.

Bist Du wenigstens romantisch?

Was heißt romantisch? Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, schaue mir auch gern traurige Filme an. Beispiel „Forrest Gump“, einen meiner Lieblingsfilme. Den habe ich schon so oft gesehen. Wenn mit „romantisch“ aber gemeint ist, dass man seiner Frau jede Woche Blumen mitbringt, dann bin ich das eher nicht.

Und ein gläubiger Mensch?

Ich gehe nicht in die Kirche und unser Sohn ist auch nicht getauft. Was er aber auch sehr okay findet. Also an die Kirche glaube ich jedenfalls nicht. Und was da oben wirklich so los ist, davon verstehen wir alle überhaupt nichts.

Kann denn bei den ganzen Gravitationswellen da oben überhaupt noch Platz für Gott sein?

Also, an den Gott der Kirche glaube ich ohnehin nicht. Aber dass da nun so gar nix ist, kann ich ja auch nicht sagen. Diese letzte Frage wird wohl nie einer beantworten. Zumindest werden wir das nicht erleben.

Angst vor dem Tod?

Nein, wenn ich tot bin, bin ich tot. Begraben werde ich natürlich am Lennestrand. Aber ein Leben nach dem Tod gibt es für mich nicht. Höchstens in meinen Songs und Büchern.

Was soll die Welt mal über Reiner Hänsch sagen?

Ooch, die Welt. Die Welt muss eigentlich gar nichts sagen. Ich würde mich freuen, wenn die Leute – wenn es mich nicht mehr gibt – das Sauerland-Lied noch ein etwas hochhalten, meine Bücher lesen und mich so in einer gewissen, hoffentlich guten Erinnerung behalten.