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„Tatort“-Faktencheck: Wie viel RAF steckt heute noch in Deutschland?

„Tatort“-Faktencheck: Wie viel RAF steckt heute noch in Deutschland?

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„Tatort“-Faktencheck: Wie viel RAF steckt heute noch in Deutschland?

„Tatort“-Faktencheck: Wie viel RAF steckt heute noch in Deutschland?

Nach diesen RAF-Terroristen wird noch gefahndet

  • Im neuen „Tatort“ aus Stuttgart bekommen es die Ermittler mit ehemaligen RAF-Terroristen zu tun
  • Auch Vertuschung und ein außer Kontrolle geratener V-Mann machen den Kommissaren sorgen
  • Wir haben den Faktencheck gemacht: Wie viel Realität steckt in dem ARD-Krimi?

Berlin. 

1998 erklärte die RAF ihre Auflösung, ihre Mission sei gescheitert, bekannten sie. Im neuen „Tatort“ war die Terrorgruppe aber wieder sehr präsent – „Der rote Schatten“, so der Name der Episode, reichte vom deutschen Herbst 1977 bis in unsere Zeit.

V-Männner, Vertuschung und untergetauchte RAF-Terroristen, die immer noch bereit sind zu morden – wie viel Realität steckte in dem ARD-Krimi? Unser Faktencheck:

1.) Direkt zu Beginn des Films wird ein Geldtransporter überfallen, mit Panzerfaust und Sturmgewehren – Heide Trinker spielt die untergetauchte RAF-Terroristin Astrid Frühwein, die den Angriff anführt. Ein denkbares Szenario?

Die Szene ist viel näher an der Realität, als man es glauben will. So ähnlich hat es sich nämlich erst 2016 zugetragen. Im niedersächsischen Cremlingen wurden am 25. Juni ein Geldtransporter und ein Geschäft überfallen. Die Täter griffen mit Panzerfaust und Automatikgewehren an. Die Ermittler halten drei ehemalige RAF-Terroristen für die Täter: Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg.

Das Trio ist seit 1990 untergetaucht. Nach ihnen wird gefahndet. Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchter Mord, schwerer Raub. Auch einer der letzten großen RAF-Anschläge geht auf ihr Konto: Mit 200 Kilogramm Sprengstoff jagten sie 1993 einen noch unbewohnten Neubau der JVA Weiterstadt (Hessen) in die Luft.

Seit 2011 soll das Trio insgesamt neun Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkte begangen haben. An vier Tatorten – in Stuhr bei Bremen, in Wolfsburg, Hildesheim und Cremlingen – stellten die Ermittler DNA-Spuren von ihnen sicher. Insgesamt sollen sie bei ihren jüngeren Taten rund eine Million Euro erbeutet haben – allein 600.000 Euro in Cremlingen.

Terroristische Motive sehen Experten bei dem Trio allerdings nicht mehr – es geht ihnen wohl allein um ihren Lebensunterhalt. Es wird vermutet, dass das Trio – mittlerweile 49, 59 und 63 Jahre alt – unerkannt im Ausland lebt und nur für die Überfälle zurück nach Deutschland kam.

2.) Der V-Mann Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) soll Teil einer Vertuschungsaktion der Behörden gewesen sein, nachdem sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der „Todesnacht von Stammheim“ in ihren Gefängniszellen das Leben nahmen. Eine fiktive Verschwörungstheorie?

Zumindest gibt es auch in der Realität mehr als genug Menschen, die an der offiziellen Version der „Todesnacht von Stammheim“ zweifeln oder gezweifelt haben. Auch Dominik Graf scheint nach seinen Recherchen zumindest nicht ohne Zweifel geblieben zu sein: „Das Thema wurde überwiegend einseitig aufgearbeitet“, sagt der „Tatort“-Regisseur über die RAF-Zeit, „viel zu viel Schlamperei und Vertuschung der staatlichen Behörden wurde und wird bei uns nach wie vor unter den Teppich gekehrt.“

Zur Vorgeschichte: Am 18. Oktober 1977 begehen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis Stuttgart-Stammheim Suizid. Zuvor hat die RAF Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt, um deren Freilassung zu erwirken.

Doch der Staat lässt sich nicht erpressen. Auch nicht von den Palästinensern, die die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführen und später von der Eliteeinheit GSG 9 in Mogadischu (Somalia) ausgeschaltet werden. Die RAF tötet Schleyer – dann folgt der dreifache Suizid.

Laut offiziellem Ermittlungsergebnis hatte einer der RAF-Anwälte die Tatwaffen in den Hochsicherheitstrakt geschmuggelt – so wie im „Tatort“ beschrieben. Das spätere RAF-Mitglied Volker Speitel hatte bei dem Anwalt gearbeitet und schilderte den Schmuggel später als Kronzeuge.

Zweifler halten dennoch für denkbar, dass Baader und Co. ermordet worden sind bzw. von staatlicher Seite zumindest nicht vom Selbstmord abgehalten wurden. Die Pläne seien durch Abhören der Zellen ja bekannt gewesen, so der Vorwurf. Solche Abhörmaßnahmen wurden aber stets dementiert.

2012 präsentierte Gudrun Ensslins Bruder das angebliche Vernehmungsprotokoll eines JVA-Beamten, der darin angibt, in der Tatnacht von einem unbekannten Anrufer aus dem Hochsicherheitstrakt abberufen worden zu sein – auch diese Geschichte wird im „Tatort“ erzählt. Das Schreiben wurde in der Realität schließlich aber als unecht eingestuft.

Dennoch halten sich Gerüchte, die Ermittlungsarbeit nach der „Todesnacht von Stammheim“ sei nicht sauber gewesen, die Wahrheit sei vertuscht worden. Belege dafür gibt es allerdings nicht, weswegen diese Vorwürfe für viele schlichtweg Verschwörungstheorien sind.

3.) Wilhelm Jordan begeht als V-Mann Straftaten, wird aber über Jahre hinweg vom Verfassungsschutz gedeckt. Geraten V-Männer wirklich so leicht außer Kontrolle?

Die Diskussion um V-Leute ist aktueller denn je, nachdem auch im NSU-Skandal jede Menge dubiose Verstrickungen von den Spitzeln öffentlich wurden und ihr Einsatz am Ende mehr Probleme als Lösungen brachte. Dass dieses Problem kein neues ist, zeigt auch der Rückblick auf die RAF-Zeit.

Peter Urbach zum Beispiel, auch „S-Bahn-Peter“ genannt, arbeitete in den späten 1960er Jahren für den Berliner Verfassungsschutz. Auf seine Aussagen geht die erste Verhaftung von Andreas Baader 1970 zurück, auch gegen Horst Mahler sagte er später aus.

Umstritten ist Urbach deswegen, weil er dazu beitrug, dass sich die erste RAF-Generation bewaffnete. Nachweislich lieferte er Molotow-Cocktails, Schusswaffen und Bombenmaterial an die Terroristen. Inwieweit diese Eskalation von Behörden lanciert wurde, ist Gegenstand vieler Spekulationen.

Nach seiner Aussage gegen Mahler und seiner Enttarnung wurde er vom Verfassungsschutz außer Landes geschafft und mit neuer Identität ausgestattet. Angeblich soll er 2011 in den USA verstorben sein. Aber auch das wird bezweifelt – wie so vieles, das im Zusammenhang mit seiner Arbeit als V-Mann steht.

Für ebenso viel Wirbel sorgte Siegfried „Siggi“ Nonne, der Ender 1980er und Anfang der 1990er als V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes geführt wurde. Nach der Ermordung des Bank-Managers Alfred Herrhausen im November 1989 wurde Nonne, der der linksradikalen Szene angehörte, als Kronzeuge präsentiert.

Nonne belastete sich selbst, Christoph Seidler, Andrea Klump und zwei weitere Männer, die ihm nur als Stefan und Peter bekannt gewesen sein sollen. Haftbefehle wurden erlassen, dann aber widerrief Nonne seine Aussagen in einer WDR-Sendung vor laufender Kamera. Er sei von Verfassungsschützern zu der Aussage gezwungen worden, sagte er aus.

Es folgte ein Hin und Her, zwischenzeitlich wurde an der Glaubwürdigkeit seiner ersten Aussage durch den Generalbundesanwalt festgehalten, bis am Ende doch alle Haftbefehle fallen gelassen wurden.