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Sterbehilfe für Mutter – Sohn muss in Haft

Sterbehilfe für Mutter – Sohn muss in Haft

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Nach einem Unfall lag die Frau im Wachkoma. Sohn wollte ihr Leiden beenden. Die Richter erkannten die verzweifelte Lage des Sohnes an, lasteten ihm aber an, dass er nicht alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft hat.

Braunschweig/Witten. 

Es ist ein wegweisendes Urteil: Weil ein 26-Jähriger seine im Wachkoma liegende Mutter getötet hat, muss er drei Jahre ins Gefängnis. Der Schutz des Lebens sei das höchste Rechtsgut, so das Braunschweiger Landgericht. Ein milderes Urteil hätte ein falsches Signal gesetzt.

Mit ihrem Urteil blieben die Richter gestern knapp unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von dreieinhalb Jahren. Der Verteidiger hatte für eine Bewährungsstrafe plädiert.

Der Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. 2004 war die Mutter des Angeklagten während eines Reiturlaubs vom Pferd gestürzt, seitdem schwer hirngeschädigt und bewegungsunfähig. Im Januar dieses Jahres hatte ihr Sohn die 47-Jährige in einem Pflegeheim in Lehre-Wendhausen erstickt.

Angeklagte hatte die Tat vor Gericht eingeräumt

Der Angeklagte hatte die Taten vor Gericht eingeräumt. Er sei sich sicher gewesen, dass sie so nicht hätte leben wollen. „Ich wollte meine Mama erlösen.“ Doch es lag keine Patientenverfügung der Mutter vor und auch ihr mutmaßlicher Wille konnte vor Gericht nicht geklärt werden.

„Der Fall führt das Recht an Grenzen“, räumte der Vorsitzende Richter Ralf Polomski in seiner einstündigen Urteilsbegründung an. Die Schwurgerichtskammer hätte über ein menschliches Unglück zu entscheiden gehabt. Obwohl viele Menschen moralisch Verständnis für die Tat hätten, liege eine Straftat vor.

Richter hoben die verzweifelte Lage des Sohnes hervor

Auch die Richter hoben die verzweifelte Lage des Sohnes hervor. Er hatte sich vor der Tat mit der Bitte um Hilfe an das Pflegeheim gewandt, doch das lehnte Sterbehilfe in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Stiefvater, dem Arzt und der Betreuerin ab.

Die Kammer lastete dem Angeklagten vor allem an, dass er nicht alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft hat. Er hätte die Sterbehilfe über das Amtsgericht erstreiten können – auch wenn der Weg lang und schwer gewesen wäre.

Auf Totschlag steht eine Haftstrafe von fünf bis 15 Jahren. Das Gericht erkannte wegen der außergewöhnlichen Umstände aber einen minder schweren Fall an. Der Verteidiger Willi Schmitt-Roolfs ließ offen, ob er in Revision gehen wird. Formaljuristisch könne er nichts gegen das Urteil sagen, auch wenn er mit dem Ergebnis nicht zufrieden sei, erklärte er. .

Wittener Palliativarztempört über den Fall

Dr. Matthias Thöns vom Palliativnetz Witten hält das, was passiert ist, für symptomatisch: „Dieser schreckliche Fall zeigt die Verzweiflung von Angehörigen angesichts einer Medizin, die sich nicht begrenzen kann.“ Thöns hält es für falsch, „dass man für ein natürliches Sterbenlassen eines schwerstkranken Menschen stets eine Patientenverfügung vorlegen muss“.

Richtig sei viel mehr, dass auch die sichere Darstellung des Willens aus Zeugenaussagen – der sogenannte „mutmaßliche Wille“ – das Beenden einer Intensivbehandlung rechtfertigt. Thöns: „Beim Ausstellen eines Beatmungsgerätes entsprechend dem Willen eines Patienten handelt es sich nicht um eine strafbare Tötungshandlung, sondern um eine sogenannte legale passive Sterbehilfe. Dies hat der Bundesgerichtshof erst Mitte 2010 klar entschieden.“.