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Reinhold Messner: „Ohne mich wäre Ötzi verscharrt worden“

Reinhold Messner: „Ohne mich wäre Ötzi verscharrt worden“

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imago_st_0915_15550005_57123759.jpg Foto: imago/Milestone Media
25 Jahre nach dem Ötzi-Fund in den Südtiroler Alpen beansprucht Bergsteigerlegende Reinhold Messner einen Teil des Ruhms für sich.

Berlin/Bozen. 

Reinhold Messner kann sich an alles erinnern. So spektakulär war die Entdeckung am 19. September 1991, dass dem heute 71-jährigen Südtiroler Extrembergsteiger selbst Details noch präsent sind. Wie Ötzis ledriger Oberkörper aus dem Schmelzwasser ragte. Die aufgeregten Diskussionen, wer der Tote sein könnte. Und auch die Anfeindungen, denen sich Messner ausgesetzt sah. „Heute lache ich darüber“, sagt Messner. „Aber damals war es schwer für mich. Ich musste mich im Fernsehen öffentlich verteidigen. Dabei hätten ohne mich die Österreicher den Ötzi geklaut und für immer behalten.“

Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass ein fränkisches Ehepaar am Tisenjoch in den Ötztaler Alpen in 3200 Meter Höhe zufällig die älteste Mumie der Menschheit entdeckte. Fast unversehrt, knapp 5300 Jahre alt und somit noch betagter als Pharao Tutanchamun. Wissenschaftler sprechen von einem Jahrhundertfund. Dass die Leiche aus der Jungsteinzeit überhaupt geborgen wurde, hängt mit vielen glücklichen Zufällen zusammen.

Zuerst glauben alle an einen verunglückten Wanderer

Die passionierten Wanderer Erika und Helmut Simon aus Nürnberg machten Urlaub in den Alpen, als sie an einem Donnerstag auf die Mumie stießen. „Es war ein wahnsinnig heißer Sommer. Beim Abstieg von der Fineilspitze haben wir eine Abkürzung genommen“, erinnert sich Erika Simon. Abseits des Weges sei ihr Mann abrupt stehen geblieben und habe gesagt: „Schau mal, was da liegt.“

Die Simons glauben zunächst an einen verunglückten Wanderer. Sie laufen zur nächsten Almhütte, dort treffen sie auf den Wirt Markus Pirpamer. Ihm geben sie Bescheid: „Da hinten liegt ein Toter.“ Dann steigen sie hinab ins Tal. Für sie ist die Sache erledigt. Pirpamer verständigt die Polizei. Beim Versuch, den steifgefrorenen Toten zu bergen, bricht ein Bestatter ihm den Arm – sonst hätte er nicht in den Sarg gepasst. Noch ahnt niemand, wie lange die Leiche schon im Eis liegt. Wegen eines Wetterumschwungs muss die Aktion mehrfach abgebrochen werden.

Den Namen Ötzi denkt sich ein Journalist aus

Zwei Tage später erreicht Reinhold Messner die Hütte. Er ist damals schon einer der bekanntesten Bergsteiger der Welt, im September 1991 wandert er im österreichisch-italienischen Grenzgebiet – purer Zufall, dass er zu diesem historischen Zeitpunkt in der Nähe war, beteuert er. Wirt Pirpamer erzählt ihm von dem Fund. Messner horcht auf. Später wird Messner gegenüber einem Zeitungsreporter spekulieren, dieser Tote könne kein normaler Wanderer gewesen sein. Erst danach verkündet der Innsbrucker Prähistoriker Konrad Spindler die Sensation: Ötzi – den Spitznamen kreierte ein Wiener Journalist als Kombination aus Ötztal und Jeti – lebte vor mehr als 5000 Jahren. Was wäre passiert, wenn Messner nicht die Theorie vom archäologischen Wert aufgestellt hätte? „Es wäre möglich gewesen, dass man Ötzi als namenlosen Bergsteiger auf einem Friedhof verscharrt und vergessen hätte.“

Er sei es auch gewesen, der die Fundstelle zuerst auf italienischer Seite verortete – und so dafür gesorgt habe, dass Ötzi heute in Bozen ausgestellt wird. Dass der als durchaus begabter Selbstvermarkter bekannte Messner zufällig vor Ort war, nahmen ihm nicht alle ab. Eine Zeitung unterstellte ihm, er habe sich in Ägypten eine alte Mumie aus einer Pyramide besorgt und in den Alpen abgelegt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Den Ärger darüber hat Messner bis heute nicht vergessen.

Ötzi hat etwa eine Million Verwandte

Seit 25 Jahren ist Ötzi für Wissenschaftler ein Fenster in die Vergangenheit. Klar ist: Er wurde ermordet, von hinten mit einem Pfeil. Manche Archäologen vermuten, Ötzi könnte ein Dorfchef gewesen sein, den eine jüngere Generation loswerden wollte. Auf der Flucht war er jedenfalls nicht. Denn seinem Mageninhalt zufolge hatte er kurz vor seinem Tod noch ausgiebig und fettreich gegessen. Etwa eine Million Europäer, vor allem in entlegenen Regionen wie Sardinien und Korsika, sind mit Ötzi verwandt.

Wenn Reinhold Messner von den damaligen Ereignissen erzählt, blitzen seine blauen Augen noch immer – so wie am Rand der Präsentation seines neuen Bildbandes „Mountains – Die vierte Dimension“. Ihn lässt die Frage nicht los, wie dieser Mann gelebt hat. Er ist sich sicher: Ötzi war nicht der letzte spektakuläre Alpenfund. „Wenn die Gletscher schmelzen, werden sie noch viele Geheimnisse preisgeben.“