Zehntausende Jungen und Mädchen werden jährlich in China landesweit ihren Eltern geraubt oder von ihnen verkauft. Grund ist die Ein-Kind-Politik. Das Geschäft ist trotz hoher Strafen so lukrativ, dass sich ganze Kinderhändlerringe bilden. Auch Beamte sind in die Machenschaften der Ringe verstrickt
Peking.
In den achtziger Jahren kursierten Geschichten über Kriminelle in Südchina, die Kinder entführten, um sie dann an anderen Orten zum Betteln auf die Straße zu schicken. Ob es diese grausamen Kinderhändler tatsächlich gegeben hat oder Eltern diese Geschichten ihren Kindern bloß erzählten, damit sie nicht wegrennen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. In den vergangenen Jahren aber ist der Raub von Kindern und der Handel mit ihnen in China zu einem Massendelikt geworden – und zwar landesweit.
In der letzten Dezemberwoche hat die chinesische Polizei in einer groß angelegten Aktion einen Kinderhändlerring gesprengt. 89 Kinder hat sie aus den Händen von Verbrechern gerettet. Bei der Razzia in neun Provinzen – vor allem im Süden des Landes – nahm sie 355 Verdächtige fest, darunter auch einen Beamten der Behörde für Familienplanung und einen weiteren ranghohen Amtsträger in der Provinz Fujian.
Babys armer Leute schon in der Geburtsklinik verkauft
Trotz strenger Strafen blühe der Kinderhandel, wird einer der zuständigen Kriminalbeamten in Fujian von chinesischen Zeitungen zitiert. Die Profite seien zu verlockend. Tatsächlich ist eine Razzia diesen Ausmaßes kein Einzelfall in der Volksrepublik.
Im Juli hatten Polizisten in einer viertägigen Aktion in 15 Provinzen gleich zwei Kinderhändlerringe zerschlagen und 181 Kinder befreit. Damals nahm die Polizei 802 Verdächtige fest. Und auch das war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Offiziellen Angaben zufolge haben in den vergangenen drei Jahren Sicherheitskräfte über 11 000 Kinderhändler-Netzwerke ausfindig gemacht und 54 000 Mädchen und Jungen befreit. Die Zahl der vermissten Kinder schwankte in den vergangenen Jahren zwischen 30 000 und 60 000 im Jahr.
Ein-Kind-Politik verantwortlich für Erfolg vom Kinderhandel
Ein wesentlicher Grund, warum Kinderhandel ausgerechnet in China so blüht, hängt unmittelbar mit der Ein-Kind-Politik zusammen. 1981 eingeführt, um das rasante Bevölkerungswachstum aufzuhalten, ist ein Nebeneffekt dieser restriktiven Familienpolitik die hohe Nachfrage nach Jungen. Vor allem auf dem Land werden in vielen Familien noch immer männliche Nachkommen bevorzugt. Umgekehrt fällt es vielen Familien leicht, ihre Töchter gegen einen geringen Preis wegzugeben.
„In einigen besonders unterentwickelten Regionen stellen arme Bauernfamilien ihre männlichen Babys für rund 30 000 Yuan zur Verfügung“, berichtet der Politologe Hu Xindou von der Technischen Universität in Peking. Das sind umgerechnet rund 3600 Euro. Die Kinderhändler würden sie dann für das Mehrfache in reicheren Provinzen weiterverkaufen.
Experten setzen auf ein Endeder Ein-Kind-Politik
Wie organisiert diese Kinderhändlerringe vorgehen, zeigt der Fall vom vergangenen Juli. Polizisten hatten nach einem anonymen Hinweis in der Provinz Henan zunächst vier Kinderhändler aufgegriffen und vier Säuglinge gerettet.
Bei den Verhören merkten die Fahnder: Hinter den Händlern steckt ein ganzes Netz. Sie stießen daraufhin auf vier Geburtskliniken, in denen Krankenhausmitarbeiter und Zwischenhändler Babys aus armen Familien unmittelbar nach der Geburt an zahlungswillige Paare verkauften.
Kinderhändlern droht Todesstrafe
Angesichts der vielen Fälle will die Politik mit noch mehr Polizeieinsätzen gegen die Kinderhändler vorgehen. Ihnen droht die Todesstrafe. Experten jedoch bezweifeln, dass drakonische Strafen abschrecken. Viel mehr setzen sie auf das Ende der Ein-Kind-Politik.
Und die steht unmittelbar bevor. Bauern auf dem Land dürfen inzwischen ein zweites Kind bekommen, wenn das erste ein Mädchen ist. In den Städten sind zwei Kinder erlaubt, wenn beide Elternteile bereits Einzelkinder waren. Ab 2015 sollen die Restriktionen ganz wegfallen – und damit vielleicht auch der Handel mit Kindern.