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Immer mehr Menschen sind nach Spielen und Internet süchtig

Immer mehr Menschen sind nach Spielen und Internet süchtig

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Foto: Imago
Immer mehr Menschen sind süchtig nach Onlinespielen oder der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Hilfe gibt es in Einrichtungen wie der Medienambulanz in Bochum. Die Einrichtung besteht seit 2012. Durchschnittlich drei neue Fälle melden sich hier pro Woche. Fälle, das heißt Erwachsene, die nicht mehr vom Internet loskommen.

Bochum. 

Mein Internet und ich: Bevor es aus dem Haus geht, noch mal eben kurz die Mails checken, anschließend in der Bahn ein kleines Spielchen auf dem Smartphone zocken, zwischendurch dem Freund auf Facebook zum Geburtstag gratulieren und dann den neuesten Hit herunterladen. Ein Leben ohne Computer, Handy oder Tablet ist für viele kaum vorstellbar, die virtuelle Welt aus Bits und Bytes ist längst Teil unseres Lebens, unserer Kultur geworden mit allen Licht- und Schattenseiten. Denn mancher verliert sich auch in dieser faszinierenden Welt, wird abhängig und krank. Diagnose: Internetsucht.

Etwa ein Prozent der 14- bis 64-Jährigen in Deutschland gelten nach einer Studie (2011) der Universitäten Lübeck und Greifswald als internetabhängig, das entspricht rund 560 000 Menschen. „Die Zahl der Internetsüchtigen ist inzwischen höher als die der Glücksspielabhängigen“, sagt PD Dr. med. Bert de Wildt, Oberarzt an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum. Seit Oktober 2012 leitet er dort die Medienambulanz, das ist eine Anlaufstelle für medienabhängige Erwachsene. Diese verzeichnet zurzeit durchschnittlich drei neue Fälle pro Woche.

Vor dem PC zusammengebrochen

Internetsucht kann merkwürdige Formen annehmen: In Südkorea sind Abhängige nach tagelangem Surfen, Chatten und Spielen tot über der Tastatur zusammengebrochen, während manche Mitglieder von Onlinerollenspielen in Windeln vor ihrem PC sitzen, um keine Minute online zu missen, wenn sie mal müssen. „Ehrlich gesagt, überraschen mich diese Beispiele inzwischen nicht mehr“, sagt Bert te Wildt, „als ich vor zwölf Jahren damit begonnen habe, Medienabhängigkeit wissenschaftlich zu untersuchen, hätte ich aber nicht gedacht, dass es so extrem wird.“

Doch nicht jeder, der viel Zeit vor dem Computer oder Tablet verbringt, stundenlang allein oder mit anderen im Netz zockt, ist automatisch internetsüchtig. Erst wenn die virtuelle Welt die reale zu ersetzen droht, ist ein kritischer Punkt erreicht. „Das Suchtverhalten der Betroffenen nimmt zu, sie wollen zum Beispiel immer mehr spielen und sind nicht mehr in der Lage, die Dauer einzuschränken“, erklärt te Wildt. Auch die Gedanken kreisen ständig um das Spiel oder das Internet: Was mache ich dort als nächstes? Abseits der virtuellen Parallelwelt zeigen sich Entzugserscheinungen wie Ruhelosigkeit oder aggressives Verhalten. Irgendwann ist dann das Internet oder das Onlinespiel der einzige Ort, an dem Abhängige noch Positives erfahren wie Anerkennung oder auch Kameradschaft und Stress abbauen können.

Internet gegen Körperhygiene


Weitere Merkmale: Internetjunkies ziehen sich immer weiter zurück, kappen nach und nach ihre sozialen Kontakte und vernachlässigen die Körperhygiene. Zudem lassen die Leistungen in Schule, Beruf oder Studium nach und es zeigen sich auch körperliche Defizite durch Fehlernährung, Lichtmangel und zu wenig Schlaf und Bewegung.

Die Internetsucht kann im Prinzip jeden treffen unabhängig vom Alter, Geschlecht, sozialen Status oder Bildungsniveau. „Von besonderer Bedeutung sind psycho-soziale Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Misserfolg in der Schule oder eine gescheiterte Partnerschaft“, sagt Bert te Wildt. Die größte Gruppe der Abhängigen hat sich im Netz der Online-Spiele verfangen. Besonders stark vertreten sind hier junge Männer. Auf Platz zwei – mit einigem Abstand – folgt die Sucht nach Cybersex. „Es sind vor allem Männer mittleren Alters, die Pornografie sammeln oder nach Online-Sex suchen“, sagt te Wildt. Erst danach folgt die Gruppe, die von sozialen Netzwerken wie Facebook nicht mehr loskommen. Hier sind vor allem junge Frauen anzutreffen, die häufig eine weitere Sucht teilen: das Online-Shopping.

Ambulante Gruppentherapie

In der Bochumer Medienambulanz haben die Mediziner gute Erfahrungen mit ambulanter Gruppentherapie gemacht, in der die Patienten peu à peu den Weg in die reale Welt zurückfinden sollen. Es ist mitunter eine lange Strecke. „Wir behandeln zunächst die Sucht, danach die dahinterliegenden psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen“, sagt Bert te Wildt. Zwar ist die Internet- und Onlinespielsucht als medizinische Krankheit noch nicht anerkannt, sie steht aber kurz davor. „Auch die Krankenkassen haben längst erkannt, dass eine Behandlung der Sucht sinnvoll ist.“

Eltern können zudem eine Menge tun, um einer Abhängigkeit ihrer Kinder vorzubeugen: Hilfreich sind Filter, die Inhalte überprüfen oder die Zeit am Computer begrenzen. Auch das gemeinsame Spielen von neuen Games hat sich bewährt. „Vor allem sollten die Kinder nicht verborgen im eigenen Zimmer, sondern in Gemeinschaftsräumen spielen. Der Computer ist kein Babysitter-Ersatz“, sagt te Wildt. Und Eltern sollten auch darauf achten, dass parallel zur Online-Welt wichtige Kulturtechniken nicht zu kurz kommen wie Lesen, Schreiben oder Phantasieren. Aber auch das Verteufeln von neuen Medien ist wenig zielführend, immerhin haben amerikanische Wissenschaftler herausgefunden, dass Computerspiele pädagogisch wertvoll sein können und sogar klug machen. Dr. med. Bert te Wildt: „Ich bin für einen differenzierteren Umgang. Aussagen wie Computerspielen macht krank, halte ich für ebenso albern, wie Computerspielen macht schlau.“ Alles mit Maß und Ziel.

Info: Die Medienambulanz ist montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr erreichbar unter: 0234-50 77 33 33