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Geschwister-Paare für Freigabe von Inzest-Beziehungen

Geschwister-Paare für Freigabe von Inzest-Beziehungen

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Foto: Archivbild Thinkstock
Der Paragraf 173 Strafgesetzbuch stellt „einvernehmlichen Beischlaf“ zwischen Geschwistern unter Strafe. Tatsächlich haben Kinder von Geschwisterpaaren ein erhöhtes Risiko für Erbkrankheiten. Damit aber ein Zeugungsverbot zu begründen, sei „ein Rückfall in längst überwunden geglaubte eugenische Denkweisen“, heißt es beim Deutschen Ethikrat. Auch andere Paare trügen genetische Risiken.

Essen. 

„Wer wir sind? Wir sind eine Zumutung. Wir betreiben Inzest. Wir sind das Ende der Moral, der Verfall der Sitten. Wir sind eine Zumutung, denn wir sind glücklich.“ So selbstbewusst stellen sich ein gutes Dutzend Geschwisterpaare auf der Internetseite „www.hundertdreiundsiebzig.de“ vor. Sie alle leben in einer Beziehung mit dem Bruder, der Schwester, sind getrennt voneinander aufgewachsen und haben sich eines Tages wiedergesehen. Und gemerkt: Da ist etwas, die Gefühle schwingen im Gleichtakt, eine Seelenverwandtschaft – da ist Liebe. Gegen alle Anfeindungen, gegen das Gesetz und gegen das Inzest-Tabu blieben sie beieinander, bekamen Kinder. Gehört das verboten?

Der Paragraf 173 Strafgesetzbuch stellt „einvernehmlichen Beischlaf“ zwischen Geschwistern unter Strafe. Der Fall von Patrick S. und seiner Schwester Susan K. hatte vor einigen Jahren für Wirbel gesorgt. S. saß mehr als drei Jahre im Gefängnis, Klagen des Paares bis vor das Bundesverfassungsgericht (2008) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2012) blieben erfolglos. Die Beziehung, aus der zwei gesunde und zwei behinderte Kinder hervorgingen, zerbrach am Ende. Rechtsanwalt Endrik Wilhelm hatte das Paar damals vertreten. Er sagt: „Ich kenne etwa 20 Menschen, die alle dasselbe Problem haben. Sie sind blutsverwandt, nicht zusammen aufgewachsen, lernten sich später kennen und verliebten sich. Ich frage mich, welchen Grund es geben kann, jemanden deshalb ins Gefängnis zu schicken.“ Der Paragraf 173 müsse kippen, meint er.

Auch Andreas (33) und Anna P. (26) sind ein Geschwisterpaar, genauer: Halbgeschwister – sie haben eine gemeinsame Mutter, aber verschiedene Väter. Seit drei Jahren leben sie in einer Beziehung und haben einen kleinen Sohn. Sie wollen nicht, dass auch ihr neues, zerbrechliches Familienglück am Strafgesetz zerschellt. Anna sagt im Gespräch mit dieser Zeitung: „Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, gibt es nichts, wofür ich mich schäme.“ Doch leicht hat es das Leben ihr nicht gemacht.

Auch sie wuchsen getrennt voneinander auf. Während Andreas bei seinen Großeltern lebte, machte sie durch, was man keinem Kind wünschen mag: Die Eltern getrennt, die Mutter alkoholabhängig. Oma, Kinderheim, Pflegefamilie lauteten ihre Lebensstationen. Ihre Schwester machte irgendwann den Halbbruder auf Facebook ausfindig. Anna: „Wir haben uns getroffen, zum Kaffeetrinken, haben geredet. Nach ein paar Wochen wieder und immer öfter.“ Beide lebten zu der Zeit in einer Beziehung. „Nach einer Weile habe ich gemerkt, dass da mehr ist, dass wir verliebt sind, doch ich habe es zur Seite geschoben. Wir wussten ja, es durfte nicht sein. Doch wir konnten unsere Gefühle nicht einfach abstellen mit einem Knopf.“

Sie haben es versucht, haben verabredet, sich nicht zu sehen, um die Gefühle abkühlen zu lassen. Vergeblich. „Wir haben uns vermisst.“ Dann wurde sie schwanger. Genetische Untersuchungen ergaben ein geringes Risiko für eine Behinderung. Ein gesunder Sohn wurde geboren. Wer der Vater ist, versuchen sie zu verheimlichen. „Ich habe erzählt, es war ein Abenteuer, ich wüsste nicht mehr, wer der Vater ist.“ Bitter sagt sie: „Hätte ich mich gegen das Kind entschieden, hätten wir heute keine Probleme.“ Juristisch gesehen ist die Existenz ihres Sohnes straferschwerend. Eines Tages wird er das erfahren.

Kripobeamte vor der Tür

Sie bauten an ihrem neuen Leben, doch dann zeigte sie eine Bekannte wegen Inzest an, Hintergrund war ein Geldstreit. Andreas: „Plötzlich standen zwei Kripobeamte vor der Tür, als wären wir Verbrecher.“ Nun liegt es in der Hand der Staatsanwaltschaft, ob ein Verfahren eröffnet wird. „Sollte es zur Verhandlung kommen, müsste vor allem unser Sohn die Folgen tragen. Die Vorstellung, dass die Öffentlichkeit über unser Verhältnis Bescheid weiß und mein Sohn ausgegrenzt und gehänselt wird, ist für uns unerträglich.“ Paragraf 173, der ja eigentlich Familien schützen soll, „würde in unserem Fall eine glückliche Familie zerstören“. Dass der Ethikrat in ihrem Sinne entschied – ein kleiner Hoffnungsschimmer.