Vier Ermittler, die große Banken kontrollierten, wurden vom Staat fälschlich für paranoid erklärt – jetzt erhalten sie Schadenersatz.
Berlin/Frankfurt Main.
Sie ermittelten jahrelang erfolgreich gegen Steuerhinterzieher und durchsuchten am Finanzplatz Frankfurt Banken, die das Geld ihrer Kunden in großem Stil im Ausland versteckt hatten. Ihre Arbeit brachte dem Staat Millionen an Rückzahlungen und den Finanzinstituten zahlreiche Strafverfahren ein. Doch dann wurden die vier Steuerfahnder Rudolf Schmenger, Marco Wehner sowie das Fahnderehepaar Heiko und Tina Feser mit falschen Gutachten im Auftrag der Finanzverwaltung für geisteskrank erklärt und zwangspensioniert. Alle mit derselben Diagnose: unheilbare Paranoia – als gehe es um eine ansteckende Krankheit, die das Ermittlerteam plötzlich erfasst habe.
Angeblich seien sie dem Wahn verfallen, sie dürften nicht mehr gegen Banken ermitteln, deshalb seien sie krank und dauerhaft dienstunfähig, urteilte ein Gutachter im Auftrag der hessischen Finanzverwaltung. Ein Berufsgericht hat den Gutachter deshalb bereits wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung zu einer Geldbuße von 12.000 Euro verurteilt. Die Fahnder haben daraufhin den Gutachter und das Land Hessen, in deren hoheitlichem Auftrag er seine Diagnosen verfasste, auf Schadenersatz verklagt.
Tiefschlag für Teile der Landesregierung
Jetzt haben sie vor dem Oberlandesgericht Frankfurt letztinstanzlich gewonnen: Der Gutachter muss den Beamten insgesamt 226.000 Euro Schadensersatz zahlen. Ex-Steuerfahnder Marco Wehner bekam 27.000 Euro zugesprochen, Rudolf Schmenger 54.000 Euro, Heiko und Tina Feser bekommen 69.000 und 76.000 Euro. Damit sei die sittenwidrige vorsätzliche Falschbegutachtung entlarvt, freute sich Schmengers Anwalt Harald Nolte. Für den Gutachter und das Land Hessen könnte der Fall noch weitaus teurer werden, denn das Oberlandesgericht hat festgelegt, dass die Fahnder auch künftig noch entstehende Mindereinnahmen bei der Altersversorgung geltend machen können. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen.
Für die Teile der Landesregierung in Wiesbaden wie etwa Hessens Finanzminister Thomas Schäfer ist das Urteil ein Tiefschlag der besonderen Art. Denn damit ist höchstrichterlich eine für die Verwaltung und Politik äußerst unrühmliche Geschichte bestätigt worden, ein echter Wirtschaftskrimi: Es ist die Geschichte von vier Beamten, die ihren Job nachweislich gut machten – vielleicht zu gut?
Durchsuchung von Großbanken
Was den Fahndern Mitte der 90er-Jahre in die Hände fällt, ist ermittlungstechnisch und politisch eine Bombe: Zehntausende Fälle von Steuerhinterziehung im großen Stil, alles Kunden der Commerzbank. Ein Bankmitarbeiter hat die Ermittler informiert. Die Fahnder durchsuchen 1996 die Bankzentrale, inklusive der Vorstandsetage – das hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Die Fahnder werden von ihrem Dienstherrn dafür belobigt. Die Commerzbank muss 400 Mio. D-Mark Steuern und 120 Mio. D-Mark Verzugszinsen nachzahlen. Mehrere Vorstände entkommen durch „freiwillige“ Millionenzahlungen knapp dem drohenden Strafverfahren.
Als 1999 die CDU in Hessen die Landtagswahl gewinnt, stehen die Fahnder kurz vor ihrem nächsten spektakulären Fall: Eine CD-ROM mit Daten vieler Steuerhinterzieher, die ihr Geld in Liechtenstein versteckt hatten, ist aufgetaucht. Wieder könnte sich der Staat Millionen zurückholen, doch diesmal sollten die Fahnder die Fälle nicht bearbeiten, auf Anweisung von oben.
Fahnder vermuteten Zusammenhang mit Schwarzgeld-Affäre
Die Fahnder fragen sich damals, ob es einen Zusammenhang zur CDU-Schwarzgeldaffäre gibt. Auch hier geht es zeitgleich um Konten in Liechtenstein. Rund 20 Mio. D-Mark hat die hessische Union dort illegal in eine Stiftung mit dem Namen Zaunkönig geleitet. Staatsanwälte durchsuchen Büros der Partei und ihres Beraters Horst Weyrauch.
Der Teamleiter der Steuerfahnder, Oberamtsrat Frank Wehrheim, erhält damals eine Selbstanzeige Weyrauchs wegen Steuerhinterziehung. Wehrheim will loslegen, darf aber nicht. Er muss den Fall abgeben, nach Wiesbaden. Der Fahnder protestiert und wird versetzt. Dann wird das komplette Bankenteam des Finanzamts Frankfurt mittels Versetzungen zerschlagen.
Wehrheim setzt sich für seine Kollegen ein, die Fahnder schreiben Briefe, auch an den damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch und seinen Finanzminister Karlheinz Weimar persönlich. Es nützt nichts. Die vier Fahnder werden aus dem Beruf gedrängt.
Der jüngste der Fahnder, Marco Wehner, ist gerade mal Mitte 30, als ihn der Bannstrahl der Finanzverwaltung trifft. Da hat er bereits an mehreren politisch brisanten Fällen mitgearbeitet, wie etwa an der Ermittlung gegen den ehemaligen Schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep. Auch dabei ging es um Schwarzgeld in Liechtenstein.
„Aus dem Dienst gemobbt worden“
Marco Wehner wird in den Innendienst versetzt und zur Hilfskraft degradiert. Wie die anderen Fahnder des Bankenteams muss er beobachten, wie seine ursprüngliche Stelle, die angeblich gestrichen werden sollte, plötzlich wieder ausgeschrieben wird. Die Schikanen gehen über Jahre. Zuletzt soll Wehner in einem Zimmer ohne Computer arbeiten, das nicht gereinigt wird.
Dann muss er auf Anweisung der Finanzverwaltung zu dem nun vom Oberlandesgericht verurteilten Gutachter, Thomas H. Wehner will dem Arzt Dokumente zeigen über die unglaublichen Vorgänge in der Verwaltung. Doch der sagt: „Machen Sie sich keine Gedanken, es wird sich alles lösen.“ In seinem Gutachten wird stehen, dass Wehner unheilbar psychisch krank sei. Eine Nachuntersuchung sei nicht erforderlich. 2009 wird Wehner zwangspensioniert, mit 39 Jahren. Zu dem Zeitpunkt ermittelt bereits die Ärztekammer gegen den Gutachter. Doch die Finanzverwaltung lässt sich davon nicht aufhalten.
„Für mich sind diese Fahnder von der Finanzverwaltung aus dem Dienst gemobbt worden“, sagt Wehrheim, der heute in Bad Homburg als Steuerberater arbeitet. Für die anderen Fahnder vergingen Jahre mit juristischem Streit. Erst jetzt ist ihnen Gerechtigkeit widerfahren. Paranoid sind sie nicht, stellten die Richter fest. Um die Höhe der Schadenersatzansprüche zu begrenzen, fragte das Finanzministerium die Fahnder nun sogar, ob sie wieder im Staatsdienst arbeiten wollen. Man habe Stellen für sie. Das finden Rudolf Schmenger, Marco Wehner sowie Heiko und Tina Feser nun wirklich etwas verrückt.