Paul Thelen macht sich mit einer zehnköpfigen internationalen Gruppe auf, um am Mount Everest Müll aufzu sammeln. Dosen, Verpackungen, Fäkal
Essen.
Paul Thelen ist 68 Jahre alt und einer, der sich auch schon mal als „Auslaufmodell“ bezeichnet. Dass so einer in ein paar Tagen aufbricht, um den höchsten Berg der Welt zu besteigen, das verblüfft ihn manchmal selbst. Thelen, ehemaliger Unternehmensberater aus Aachen, gehört mit dem Arzt Eberhard Schaaf (61) zur internationalen zehnköpfigen Gruppe, die auf dem Mount Everest (8848 m) Müll sammeln will. „Wir haben gut trainiert“, sagt Thelen. In voller Ausrüstung – Steigeisen, Seile, Zelt – ahmten sie in einer Skihalle die Himalaya-Putzaktion nach. Phantasie haben die Herrschaften. Doch darauf allein verlässt sich Thelen nicht.
Er steigt Treppen. „Es gibt hier einen Turm, der ist achtzig Meter hoch.“ Hoch, runter, hoch runter. Er läuft dreihundert Kilometer im Monat. Wenn er einen Berg sieht – nix wie hoch. Sein bisher höchster: der Kilimandscharo mit satten 5895 Metern. „Ich spüre mein Alter schon“, sagt Thelen, der erst mit 45 Jahren seinen ersten Marathon gelaufen ist. Was Thelen da auf dem Mount Everest macht, ist kein Spaziergang. Es sterben Menschen dabei. Angst wäre jetzt also überhaupt nicht peinlich. Paul Thelen räuspert sich.
Er will nun wirklich nicht über Ängste sprechen. Er ist in Eile, noch eben dieses Telefonat, aber letztlich ist er auf dem Sprung. Da findet man Worte, die Angst besiegen. Solche Worte heißen: Regeln. „Wir haben ja eine ganze Anzahl davon.“ Vor allem medizinische Regeln. „Man muss gucken, ob einem schwindlig wird oder ob man Durchfall kriegt.“ Am 15. April werden sie am Basis- Camp (etwa 5300 m) sein. Mit Tageswanderungen bringen sie den Körper auf Tour. Ende Mai wird der Gipfel gestürmt.
Eiskalt und windig
Es klingt so leicht, wenn er erzählt, dass er – so wie es mittlerweile viele Gruppe tun – wegen des Mülls dahin fährt. Mal eben aufräumen. (Ob er auch zu Hause putzt? Herr Thelen hat’s eilig, da antwortet er lieber auf eine andere Frage.) „Ob wir blaue Säcke mitnehmen? Ja klar.“ Keine blauen, aber graue. „Die müssen was aushalten. Der Müll ist gefroren.“ Colaflaschen, Schuhe, Blechdosen, Verpackungsmüll. Der Massentourismus macht am Gipfel aus Mutter Natur einen Schrotthaufen. Ein Teil davon wird hinterher verbrannt, eingeschmolzen und zu Geschenkartikeln verarbeitet. Der Erlös ist für den guten Zweck bestimmt – zum Beispiel werden Abfalleimer aufgestellt.
„Warum ich das tue? Es gibt tausend Gründe. Neugier, Herausforderung.“ Alleinsein? Bis heute gab es 1924 Besteigungen. 179 Kletterer starben. Bis zur Basisstation verirren sich bis zu 80 000 Menschen pro Jahr. Auf den Spuren Hillarys und Norgays, die 1953 als Erste oben waren, ist Einsamkeit ein einsames Gut geworden. Thelen wird ganz ruhig. Ob seine Frau in der Nähe ist? Die will nämlich nicht, dass er fährt. Er sagt: „Es geht am Berg um die wesentlichen Dinge. Schlafen, essen, gucken, dass einem nichts passiert.“ Thelen spricht viel vom Gipfel. Von der Kälte (bis Minus sechzig Grad), von Winden, die sich zu Hurricanes hochpeitschen.
Von den tausend Gründen fallen ihm nicht alle ein. Aber vielleicht ist dieser ja auch der wichtigste: „Wenn man da ist, dann weiß man, dass man im Vergleich zum Berg nur ein Fliegenschiss ist.“