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Free Schwabylon will Berliner aus Prenzlauer Berg jagen

Free Schwabylon will Berliner aus Prenzlauer Berg jagen

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Foto: dpa
Die Schwaben machen sich in der Hauptstadt breit: Die Zugezogenen im schicken Berliner Viertel Prenzlauer Berg wehren sich gegen Vorurteile und Hetze – mit Maultaschen und neuen Straßenschildern. Aus Kollwitzplatz wurde Kollwitzspätzle, aus Wörther Straße Wörther Gässle .

Berlin. 

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen? Oh doch. In einer Rettungsaktion für die Exil-Schwaben haben Witzbolde begonnen, das Berliner Besserverdiener-Viertel am Prenzlauer Berg abzuriegeln. Das „Mäuerle“ aus Maultaschen soll alle Nicht-Schwaben draußen halten und der Welt beweisen: Das Viertel rund um den Kollwitzplatz ist Berlins real existierende Schwaben-Zone.

Sind die noch ganz dicht? „Wir haben die Berliner Minderheit auf friedliche Weise aufgefordert, Schwabylon bis zum 31. Januar zu verlassen“, schreiben die anonymen Aktivisten von „Free Schwabylon“. Da aber niemand der Säuberungsaktion gefolgt sei, „müssen wir eine deutlichere Sprache sprechen“. Der Wutschwabe geht auf die Barrikaden: „Wir werden nicht ruhen, bis Schwabylon frei ist.“

Es ist nicht die einzige Aktion der Schwaben-Guerilla. Mit aufgeklebten Buchstaben hat sie nun Straßenschilder „eingeschwäbelt“: Aus Kollwitzplatz wurde Kollwitzspätzle, aus Wörther Straße Wörther Gässle und aus Kollwitzstraße Kollwitzsträßle. Angeblich soll eine neue Künstlergruppe mit dem programmatischen Namen „Neuschwabenberg“ dahinterstehen.

Vor einigen Tagen flogen gar Spätzle auf das Kollwitz-Denkmal und Parolen durchs Internet: Zwei Jahre nach dem Arabischen Frühlings müsse sich die Welt jetzt für den „Schwäbischen Frühling“ bereit machen. „Der Kollwitzplatz ist unser Tahrir-Platz.“ Witzischkeit kennt keine Grenzen.

Prototyp des Besserwissers

Seit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse vor wenigen Wochen in einem Interview über die Zugezogenen geklagt hatte, ist die längst tot geglaubte Schwabendebatte wieder Stadtgespräch. Der Kern des Spätzlekriegs: Seit Jahren dienen die zugezogenen Schwaben als Prototyp des wohlhabenden Besserwissers aus Westdeutschland, der die Mieten hochtreibt, Bio-Läden eröffnet und überhaupt ein Fleisch gewordener Angriff auf die Berliner Schludrigkeit ist. Die Schwaben sind scheinbar die einzig verbliebene Minderheit, gegen die sich ohne schlechtes Gewissen hetzen lässt. Das Letzte jedoch, was die Berliner von ihnen erwartet hätten, sind Guerillamethoden.

Aber ist das nicht alles nur geklaut?

Vor zwei Jahren schon pflasterten ein paar Berliner Aktivisten den Prenzlauer Berg mit „Welcome to Schwabylon“-Aufklebern. Juri Sternburg, einer der Erfinder, rechtfertigte sich neulich: Die Sache sei doch bloß Spaß gewesen. „Anders als ‚Schwaben raus!’ oder ‚Kauft nicht bei Schwaben’“. Aber wo endet der Spaß und wo beginnt die schlecht kaschierte Hetze?

Maultaschen-Mauer ist abgetragen

Spurensuche rund um den Kollwitzplatz. Die Maultaschen-Mauer ist mittlerweile abgetragen. Teigwaren auf dem Trottoir – das erträgt niemand, der einst mit der Kehrwoche groß geworden ist. Auch am Kollwitz-Denkmal liegen statt matschiger Spätzle wieder rote Rosen. Ayhan Dogan, ein Bayer mit türkischen Wurzeln, hat seine eigene Ausweisung aus „Schwabylon“ verpasst. „Das liegt vielleicht daran“, witzelt er, „dass ich aus Mittelfranken komme – hier in Berlin ist das doch dasselbe wie Schwaben.“

Auch Kieznachbarin Claudine Fronk lebt weiter unbehelligt im schwabylonischen Epizentrum. Ob sie nicht mitgekriegt hat, dass die Schwaben-Aktivisten letzte Woche alle Nicht-Schwaben ausgewiesen haben? Die Thüringerin rollt die Augen. „Nee.“ Aber sie wundert sich, wie viele Berliner sich über „Ausländer raus!“-Sprüche aufregen und wie wenige die Anti-Schwaben-Sprüche stören.

Gute Schwaben, böse Schwaben – „die ganze Debatte ist doch nur ein Alibi. Fast alle ringen hier um ihre Identität“, meint Werner Meyke von der Kunsthandlung nebenan. Meyke kommt aus Hamm. Er weiß, in Berlin leben weniger Schwaben als Nordrhein-Westfalen. „Wahrscheinlich sogar weniger als Leute aus dem Ruhrgebiet.“ Warum dann „Free Schwabylon“ und nicht „Freie Republik Kohlenpott“? „Klar, rein zahlenmäßig könnten die das machen. Aber sie haben keine Lust dazu.“ Witzischkeit kennt eben doch Grenzen.