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Ein Jahr nach Airbus-Absturz Fragen offen

Ein Jahr nach Airbus-Absturz Fragen offen

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Paris. 

Vor einem Jahr, in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 2009, starben beim Absturz einer Air-France-Maschine nahe der brasilianischen Küste 216 Menschen, darunter 28 Deutsche. Angehörige kämpfen noch immer um die Aufklärung des Unglücks.

Wenn Wini Schmidt über seine Tochter Julia und ihren Verlobten Alexander Crolow redet, verklärt sich sein Blick. Er schwärmt von „zwei jungen lebensfrohen Menschen“, von exzellent ausgebildeten Juristen, erfolgreichen Absolventen der renommierten „Bucerius Law School“ in Hamburg. „Die hätten noch einiges gerissen im Leben“, sagt Schmidt mit stockender Stimme. Aber Julia Schmidt (27) und Alexander Crolow (26) leben nicht mehr.

Vor genau einem Jahr, in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni, riss der Air-France-Airbus A 330 das junge Paar in den Tod. Um 2.14 Uhr gaben die Piloten das letzte Lebenszeichen, dann verschwand „AF 447“ nahe der brasilianischen Küste vom Radar und stürzte in den Atlantik.

216 Passagiere, darunter 28 Deutsche, sowie 12 Besatzungsmitglieder fanden den Tod: die größte Katastrophe in der Geschichte der französischen Fluggesellschaft.

Heute kämpft Wini Schmidt um schonungslose Aufklärung, er will genau wissen, was in jener Nacht, in jenen dramatischen letzten Minuten von Julia und Alexander, passiert ist. „Damit man aus Fehlern lernt und damit 228 Menschen nicht umsonst gestorben sind“, sagt Schmidt, einer der Sprecher des deutschen Hinterbliebenenverbandes Hiop-447.

Keiner redet über
Entschädigung

Am ersten Jahrestag der Flugzeugkatastrophe sind sie nach Paris gekommen: über 1200 Angehörige, Eltern und Geschwister, Großeltern und Kinder, aber auch Kollegen und Freunde — die meisten Brasilianer, Franzosen, Italiener, Deutsche. In einer stillen Ecke des Parks von Vincennes treffen sie sich heute zu einem Trauergottesdienst, danach enthüllen sie einen Gedenkstein auf dem Friedhof Père Lachaise.

In die Trauer der Angehörigen über den schmerzvollen Verlust ihrer Lieben mischen sich immer mehr kalte Wut und Empörung, manchmal sogar Zorn. Sie richten sich gegen Air France, gegen Airbus und gegen die federführende französische Untersuchungsbehörde Bea. „Stillosigkeit“ wirft Bernd Gans, der Hiop-Vorsitzende, ihnen vor, weil sie auf „unseren Gefühlen herumtrampeln“.

Keiner der Angehörigen redet in Paris über Entschädigungen und Geld. Sie dringen auf Wahrheit. Die ruht in Gestalt der Flugschreiber irgendwo in 4000 Metern Tiefe auf dem Grund des Ozeans, der dort so zerklüftet ist wie die Schweiz. 20 Millionen Euro haben Air France und Airbus schon für die Suche nach der „Blackbox“ ausgegeben – bislang vergeblich. Ein französischer Marinesprecher umschrieb es neulich so: „Das ist, als ob man in ganz Paris nach einem Schuhkarton suchen würde.“ Schmidt pocht auf eine vierte Suchaktion: „Sie haben die Titanic entdeckt, dann werden sie auch die Blackbox finden.“ Selbst wenn der Flugschreiber nie mehr gefunden würde, so sein Kollege Gans, ließe sich der Unfallhergang immer noch rekonstruieren.

Die Flugsystem-Software bei Airbus in Toulouse, der so genannte „Iron Bird“, ließe dies zu. „Aber man sträubt sich.“

Der Unfall kratzt am
Selbstverständnis

Überhaupt ist viel von Vertuschungsmanövern und von zurückgehaltenen Informationen die Rede, von absichtlicher Untätigkeit und ver­letzender Arroganz. „Der Unfall kratzt offenbar am Selbstverständnis der Grande Nation“, argwöhnt Wini Schmidt. Außerdem fürchte man Milliardenverluste bei Airbus und einen herben Rückschlag gegenüber dem Erzrivalen Boeing.

Absturzkatastrophen dieser Größenordnung gehen meist auf eine Kette von technischen Pannen und menschlichem Versagen zurück. Längst ist klar, dass die Geschwindigkeitsmesser, die so genannten „Pitot“-Röhrchen, vereist und defekt waren. „Aber wir wissen inzwischen auch, dass der Chefpilot nicht an seinem Platz war“, sagt Gans.