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Ein Anwalt im Einsatz gegen rechte Gewalt

Ein Anwalt im Einsatz gegen rechte Gewalt

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Anwalt Sebastin Scharner Foto: Kai Kitschenberg
Ein Döner-Imbiss-Besitzer im Osten wird fast totgeprügelt von neun Rechten. Doch die Staatsanwaltschaft tut sich schwer, ein politisches Motiv zu sehen. Anwalt Sebastian Scharmer aus Berlin gilt als Experte für die Opfer rechter Gewalt.

Berlin/Bernburg. 

Sie beleidigten seine deutsche Freundin als „Türkenschlampe“, prügelten ihn und traten erbarmungslos auf seinen Kopf, als er längst am Boden lag.

Neun gegen einen. Neun Neonazis gegen einen jungen türkischen Döner-Imbiss-Besitzer. Was fatal an das Beuteschema des NSU-Terrors erinnert, geschah erst vor kurzem, an einem Septemberabend im Bahnhof von Bernburg. E. lag lange im Koma, mit multiplen Schädelbrüchen. Dennoch tun sich Staatsanwaltschaft und Gericht schwer, ein rassistisches Motiv zu erkennen.

Die Blutlache war noch am nächsten Tag zu sehen

Bernburg, dieses Kreisstädtchen in Sachsen-Anhalt, könnte man mit all seinen historischen Bauten als charmant bezeichnen. Frisch renoviert erstrahlt auch sein Bahnhof backsteinern rot. E., der 34-Jährige, hatte hier erst kürzlich seinen Imbiss eingerichtet.

An diesem Abend spürt er zuerst ihre Blicke, dann hört er, wie sie seine Freundin beschimpfen. Als er einem der Männer erklärt, so rede man nicht mit einer Frau, legen sie los, mit unglaublicher Gewalt. „Am nächsten Tag noch konnte man hier vor der Tür die riesige Blutlache sehen“, erinnert sich Roland Wiermann vom Bündnis für Demokratie.

Sebastian Scharmer, der Berliner Rechtsanwalt, ist inzwischen zu einem Experten für rechte Gewalt geworden. Der Mann, der im Münchener Prozess die Familie des Dortmunder NSU-Opfers Mehmet Kubasik vertritt, kritisiert, dass „Staatsanwaltschaften und Gerichte auch nach dem NSU-Untersuchungsausschuss die politische Dimension solcher Taten nicht sehen wollen.“

Motivation der Tat werde verleugnet

Im Fall E. hat das Landgericht Magdeburg inzwischen Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben. Nicht jedoch wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen. „Es geht uns nicht um das Strafmaß. Der Punkt ist doch, dass Gericht und Staatsanwaltschaft die Motivation der Tat verleugnen“, erklärt Scharmer. Sein Antrag, den Fall an den Generalbundesanwalt zu übergeben, wurde vom Gericht abgelehnt. Scharmer, der zusammen mit weiteren Anwälten eine Kanzlei in Berlin Prenzlauer Berg betreibt, hat schon unzählige Opfer von rechter Gewalt und deren Angehörige vertreten, spricht von einem „strukturellen Rassismus“ in den Justizbehörden.

Ähnlich argumentierte auch der NSU-Untersuchungsausschuss, der Taten wie die von Bernburg von Staatsschutz und Generalbundesanwalt behandelt sehen will. Schließlich gehe es um das Zusammenleben von Migranten und Deutschen, wie um das Ansehen Deutschlands im Ausland.

Wie wenig die Gewalttat von Bernburg mit dem Ausufern eines harmlosen Junggesellen-Abends zu tun hat, belegt der Blick auf die Täter. Fast alle der 23- bis 33-jährigen Männer gehören der rechtsextremen Kameradschaft des Nachbarortes Schönebeck an. Viele von ihnen sind einschlägig vorbelastet. Francesco L. etwa, einer der Haupttäter von Bernburg, hatte 2006 in Pömmelte, einen schwarzen Zwölfjährigen stundenlang gequält, verprügelt und schließlich eine Zigarette auf dessen Augenlid zerdrückt. Neujahr 2011, nach seiner Haftentlassung, verprügelt er den Inhaber eines Döner-Imbisses in Schönebeck.

Dennoch entschied das Landgericht Magdeburg, eine Verurteilung wegen versuchten Mordes komme allenfalls dann in Betracht, „wenn sich Ausländerhass während der Hauptverhandlung als leitendes Motiv beweisen lässt“, so Gerichtssprecher Christian Löffler.

Seit dem Überfall kann E. auf einem Auge kaum etwas sehen

In Bernburg gingen nur 70, 80 Menschen auf die Straße, um Solidarität mit dem Opfer zu demonstrieren. Aufgefordert vom örtlichen Bündnis für Demokratie, spendeten die Bürger 4500 Euro für E. Das Bündnis hatte sich 2008 gegründet, als die Jugendorganisation der NPD, die jungen Nationaldemokraten, ihre Bundeszentrale in Bernburg eröffnete. Die Zentrale gibt es nicht mehr, ebenso wie den gegenüberliegenden, rechtsextremen Thor-Steinar-Laden. Ihre Anhänger blieben.

E., der Imbiss-Betreiber, wurde gerade aus der Klinik entlassen, verbringt nun weitere Wochen in der Reha. Seit dem Überfall kann er auf einem Auge kaum sehen, erinnert er sich nicht mehr an Dinge, die wenige Stunden zuvor geschahen. Seine Freundin ist traumatisiert. Im Prozess wird sie dennoch als Kronzeugin aussagen.