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Datteln beschließt Rehabilitierung von Hexen und Zauberern

Datteln beschließt Rehabilitierung von Hexen und Zauberern

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Heimatbrunnen auf dem Gerricusplatz-Gerrresheim Serie Foto: Kai Kitschenberg
Wenn der Stadtrat in Datteln tagt, geht es normalerweise um Friedhofsgebühren und das Kohlekraftwerk. Jetzt landete ein ungewöhnlicher Antrag auf der Tagesordnung: 130 verurteilte Hexen und Zauberer sollen offiziell rehabilitiert werden

Datteln. 

Eine der elf hätte es fast geschafft. Eine von ihnen konnte fliehen. Was ihr nichts nützte, denn die Häscher fingen sie schnell wieder ein, so dass am Ende alle elf Frauen bei lebendigem Leib verbrannt wurden. 499 Jahre ist es her, dass in Datteln-Horneburg unschuldige Frauen derart bestialisch umgebracht wurden, weil man sie für „Wetterhexen“ hielt.

Den kleinen Ortsteil der Stadt Datteln im Kreis Recklinghausen kann man gut und gern beschaulich nennen: Knapp 1600 Menschen leben in Horneburg, es gibt viel Landwirtschaft, Fachwerkhäuser, ein Handwerksmuseum. Und es gibt einen Schützenverein: Der hat jetzt bei der Stadt beantragt, die elf unschuldig verurteilten Frauen zu rehabilitieren – sie und 119 weitere Hexenprozess-Opfer.

Zentrum der Hexenjagd

Im 16. und 17. Jahrhundert war das Vest Recklinghausen ein Zentrum der Hexenjagd in der Region. Von 1514 bis 1706 wurden 130 Menschen gefoltert und getötet, viele von ihnen auf der Horneburg in Datteln.

Heute steht nur noch ein Rest der einst trutzigen Feste. Das, was von der Burg übrig ist, ist heute Wahrzeichen der Stadt. Im Mittelalter war die Burg Sitz der Kriminalgerichts. „Wahrscheinlich, weil es hier einen Turm gab, in den man Gefangene einkerkern konnte“, schätzt Wilhelm Schulte vom Heimatausschuss des Bürgerschützenvereins Horneburg.

„Merkwürdige Vorstellungen von der Kanzel gepredigt“

1984, vor der 600-Jahr-Feier von Datteln-Horneburg, begannen Schulte und ein paar andere Hobby-Historiker aus dem Schützenverein, sich mehr und mehr in die Geschichte ihrer Heimatstadt zu vertiefen. „Dabei haben wir immer mehr Hinweise darauf gefunden, dass hier im Vergleich zur Nachbarschaft außergewöhnlich viele Hexenprozesse abgehalten wurden.“

Das könne daran gelegen haben, dass das Vest besonders katholisch war und dem Kölner Bischof unterstand, während im Umland weltliche Fürsten herrschten. „Hier wurden merkwürdige Vorstellungen von Hexen praktisch von der Kanzel gepredigt“, sagt Schulte. Die Menschen im Vest hatten es schwer im späten Mittelalter.

Manchmal reichte ein Nachbarschaftsstreit

Im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen umliegenden Fürstentümern marschierten immer wieder Soldaten plündernd durchs Land. Und dann fielen im frühen 16. Jahrhundert aufgrund von Kälteperioden die Ernten auch noch schlecht aus. Verantwortlich wurden dafür sogenannte Wetterhexen gemacht, die man vor Gericht zerrte. „Das waren Denunziationsprozesse. Manchmal steckte hinter so was auch einfach ein Nachbarschaftsstreit.“

Die eigentlichen Gerichtsakten existieren zwar nicht mehr, wohl aber die Abrechnungen des Rentmeisters, die die Entlohnung des Schafrichters dokumentieren. „Anhand dieser Dokumente wissen wir, was damals passiert ist“, sagt Schulte. So habe der Schafrichter in Recklinghausen gewohnt und war zuständig dafür, Geständnisse aus den Angeklagten herauszufoltern. Denn: Ohne Geständnis gab es kein Urteil.

Es gibt keine Rechtsnachfolger

InfoDie letzte, die gestehen musste, war Anna Spiekermann. Sie hatte sich gegen einen Vergewaltigungsversuch vor Gericht gewehrt. Der Beschuldigte rächte sich, indem er die Magd seinerseits bezichtigte, ihn mithilfe von Hexerei seiner Potenz beraubt zu haben. Anna Spiekermann legte in der Folterkammer ein Geständnis ab. Das wiederrief sie zwar, wurde im Januar 1706 aber dennoch zum Tod verurteilt und enthauptet.

Weil es keine Rechtsnachfolger der damaligen Gerichtsbarkeit gibt, die die Urteile je hätten aufheben können, gelten Anna Spiekermann, die elf „Wetterhexen“ und all die anderen Getötete offiziell immer noch als rechtskräftig verurteilt. Ein Unding, findet Wilhelm Schulte. „Wir wollen da ein Zeichen setzen und zumindest eine sozialethische Rehabilitation erwirken“, sagt er. Auch um die Aufmerksamkeit auf eine Zeit zu lenken, die es so nicht mehr geben soll.

Der Stadtrat hat dem Antrag in seiner Sitzung jetzt zugestimmt. Ein kleines Symbol für ein bisschen Gerechtigkeit – nach fast 500 Jahren.