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Hättest du es gewusst? Unter den Autobahnen im Pott lauerten jahrelang hochexplosive Sprengsätze

Hättest du es gewusst? Unter den Autobahnen im Pott lauerten jahrelang hochexplosive Sprengsätze

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  • Unter unseren Autobahnen waren Tausende Vorrichtungen für Sprengsätze installiert
  • Auch im Ruhrgebiet sollte so ein Vormarsch der Sowjets aufgehalten werden
  • Besonders Rheinbrücken waren wichtige Verkehrspunkte

Duisburg. 

Eins vorweg: Hitler hat die Autobahnen nicht erfunden. Das war ein italienischer Ingenieur Anfang des 20. Jahrhunderts. Hitler hat die Autobahnen auch nicht als erster gebaut. Das machte Kölns Bürgermeister Konrad Adenauer bereits einige Jahre vor ihm ganz resolut. Und überhaupt: Von 22.000 Autobahnkilometern die Hitler errichten wollte, waren 1945 gerade einmal 4000 fertiggestellt.

Von „Hitlers Autobahnen“ sind heute nicht einmal mehr 700 Meter übrig. Irgendwo zwischen Berlin und Polen liegen die. Das der Führer den Deutschen die Autobahnen gebracht hat, ist daher ein Mythos. Und totaler Quatsch.

Ein anderer Mythos ist, dass unter den Autobahnen in der neuen Bundesrepublik Tausende Sprengsätze deponiert waren. Im Kalten Krieg sollte so der Einmarsch der Sowjetunion gestoppt werden. Einmal hochgejagt, könne der Russe dann schließlich nicht weiter vorrücken. So der Mythos. Und tatsächlich: er stimmt.

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Bereits in den 50er Jahren wurden erste Sprengsätze an wichtigen Verkehrspunkten installiert. Genauer gesagt wurden Vorrichtungen angebracht, die in kürzester Zeit mit Sprengstoff und Zündern hätten versehen werden können. „In den 60er Jahren wurden dann die Masse an Sprengfallen installiert“, erzählt Karsten Schultheiss. Er ist Wallmeister bei der Bundeswehr, ein Beruf, den es so eigentlich nicht mehr gibt. Denn er war für die Sprengung der Brücken, Autobahnen und für das Verminen von Feldern zuständig.

Statt bereits fertige Bomben an den nostalgischen Verkehrspunkten zu installieren, entschied sich die Bundeswehr dafür, lediglich Vorrichtungen zu bauen. Das sei sicherer gewesen, so Schultheiss. Die Schweiz machte es anders. Unter den Autobahnen der Eidgenossen lagen echte Sprengsätze – nur der Zünder fehlte noch.

Sprengmittelheft sagt, wie viel Kilo TNT verbaut werden müssen

Auch Schultheiss lernte noch, wie er in nicht einmal drei Stunden ganze Brücken präparieren konnte. Sprengstoff deponieren. Zünder verlegen. „Wenn unsere Arbeit getan war, konnten die Anlagen in 15 Minuten gesprengt werden. Für jede standen in einem Sprengmittelheftchen bereits genau, wie viele Kilogramm Sprengstoff benötigt wird.“

1,5 Tonnen etwa für eine Trichtersperre. Da wird eine Autobahn so unpassierbar gemacht, dass die die Truppen des Feindes nur noch sehr langsam voran kommen. Dabei sollten immer nur Teile der Autobahn oder der Brücke gesprengt werden. „So hätte nach einem Angriff alles wieder schnell aufgebaut werden können.“

Die Bundeswehr hatte einen Plan. Ihre Verbände waren für einzelne Region zuständig. Die überlegten sich: Wie viele Straßensperren brauchen wir. Das konnten eben jene Sprengfallen sein. Oder Bausperren. Das waren Vorrichtungen auf dem Asphalt, in denen Pöller eingelassen werden konnten. Widerhaken verhinderten, dass sie wieder gelöst werden konnten. Sogar ein Panzer wäre hier nicht weiter gekommen.

Die große Falle wartete am Rhein

Zusammen mit den Sprengfallen sollte das im Ernstfall den Einmarsch der Sowjets verlangsamen. Durch das Blockieren von Straßen konnte der Feind sogar in bestimmte Gebiete gelockt werden. Die Sprengsätze sollten die Sowjetverbände also in die Falle locken. „Die Bundeswehr sollte schließlich nicht vor ihrem Gegner fliehen. Stattdessen sollten er, ohne dass er Deckung suchen zu konnte, beschossen werden. Bestenfalls mit Luft- und Artillerieunterstützung.

Die große Falle sollte dann im Rheinland warten. Dafür war man sogar bereit, ihnen zunächst weite Teile der Bundesrepublik zu überlassen. Die westdeutschen Streitkräfte sollten sich erst hinter dem Fluss mit den Amerikanern und Franzosen sammeln. Und dann zurückschlagen.

Deshalb waren auch viele Autobahnen im Ruhrgebiet mit Sprengsatzvorrichtungen bestückt. Besonders die Rheinbrücken waren wichtig. Aber auch das Sauerland eignete sich wegen der vielen Berge perfekt dazu, Feinde in den Hinterhalt zu locken.

Nicht nur Autobahnen wurden mit Sprengfallen bestückt. Auch Eisenbahnlinien sollten nicht vom Feind genutzt werden können.

Schultheiss baut die Anlagen jetzt zurück

Wie viele dieser Vorrichtungen im Ruhrgebiet angebracht wurden, ist heute nicht mehr genau zu sagen. Doch es müssen unzählige gewesen sein.

Der Einmarsch der Sowjets kam nie. Mit dem Fall der Mauer ist der Job von Karsten Schultheiss ein anderer geworden. Seitdem mussten die ehemaligen Sperrvorrichtungen zurückgebaut werden. „Das wurde zu Beginn der 90er Jahre auch noch Flächendeckend getan. Als klar wurde, dass das sehr teuer werden würde, hat man das aufgegeben.“ Denn bis zu 100.000 Euro konnte das pro Sperre kosten.

Deshalb rückt Schultheiss nun immer dann aus, wenn an Autobahnen oder Brücken Sanierungsarbeiten gemacht werden. Die Sprengvorrichtungen sind für den Laien kaum zu erkennen. Wie Gullideckel sehen sie aus. Besonders bei maroden Brücken sieht Schultheiss sie heute. Er ist zuständig für die Rückbaumaßnahmen in Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Rheinland und in Teilen NRWs.

Wie viele solcher Vorrichtungen im Bundesgebiet noch verbaut sind, kann er nicht sagen. „Das wusste jeder Wallmeister nur für seinen kleinen Bereich.“