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Von Atlanta bis Memphis: Martin Luther Kings Leben im Museum

Von Atlanta bis Memphis: Martin Luther Kings Leben im Museum

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Ein Ort des Gedenkens: Das Civil Rights Memorial Center in Montgomery erinnert an die Opfer, die im Kampf für mehr Bürgerrechte der Schwarzen in den 1950er und 1960er Jahren ums Leben kamen. Foto: dpa
Vor 50 Jahren wurde der Bürgerrechtler Martin Luther King ermordet. An King und seine Zeit erinnern heute einige Museen. Eine Spurensuche.

Memphis/Atlanta. 

Im Aschenbecher auf der Anrichte liegen zehn ausgedrückte Zigaretten, in der Tasse daneben ist Kaffee kalt geworden. Die Decke des rechten Bettes ist leicht zurückgeschlagen, auf einem Hocker warten zwei weitere Tassen, ein Teller und eine weiße Serviette darauf, abgeräumt zu werden. Zimmer 306 des „Lorraine Motel“ in Memphis in Tennessee sieht so aus, wie es Martin Luther King am 4. April 1968 gegen 18.00 Uhr verlassen hat – kurz bevor ihn auf dem Balkon die tödliche Kugel eines Gewehrschützen traf. Besucher des National Civil Rights Museums, das seit 1991 in dem Hotelgebäude eingerichtet ist, können durch Fensterglas einen Blick hineinwerfen.

50 Jahre ist es her, dass Martin Luther King sein Leben verlor. Auch in den USA verblassen ein wenig die persönlichen Erinnerungen an den charismatischen Friedensnobelpreisträger von 1964, der viel erreicht hat für die Bürger- und Wahlrechte der Afroamerikaner, der aber kurz vor seinem Tod auch frustriert darüber war, nicht mehr gegen die wirtschaftliche Ungleichheit im Lande bewirken zu können.

Kings Zeitgenossen sind heute alt oder leben selbst nicht mehr. Die Aufgabe, die Erinnerung an ihn und sein Werk weiterzutragen, haben an wichtigen Stationen seines Lebens mehrere Museen übernommen, unter anderem in Tennessee, Alabama und Georgia. Sie bieten im April zum 50. Todestag besondere Events, einige wurden dafür frisch renoviert. Wer sie besuchen möchte, kann zum Beispiel eine Tour mit vier Etappen planen – von Atlanta über Montgomery und Birmingham bis nach Memphis.

Station 1: ATLANTA, GEORGIA

Das Geburtshaus. Sein Grab. Die alte Ebenezer Baptist Church, in der Martin Luther Kings Vater Pastor war und in der seine Trauerfeier abgehalten wurde. Alles liegt nahe beieinander im Stadtteil Auburn, etwas östlich der Innenstadt. Der US-Nationalparkservice ermöglicht freien Zugang. Nur für das gelb gestrichene Holzhaus, in dem MLK, wie er oft abgekürzt genannt wird, am 15. Januar 1929 zur Welt kam und seine Kindheit verbrachte, wird der Zugang strikt reguliert: Sechs bis sieben einstündige Touren mit Rangern gibt es jeden Tag, maximal 15 Teilnehmer dürfen jeweils hinein ins Haus. Vor allem im Sommer ist der Andrang groß, sagt Lindsey Watts von Atlantas Tourismusbüro. Da kann es rasch mal passieren, dass Interessenten kein Ticket bekommen.

Ein Sonntagmorgen im Winter, es regnet heftig. Um 9.00 Uhr beginnt der erste Gottesdienst in der neuen Ebenezer Baptist Church, die 1999 direkt gegenüber des alten Gotteshauses eröffnet wurde. Senior Pastor Raphael G. Warnock predigt über „Unser Vater im Himmel“. Auf drei Großleinwänden und im Online-Livestream ist zu sehen, wie engagiert der Gospelchor singt. Später posieren Familien in der Vorhalle für Fotos unter den großen Pastorenporträts. Eine Vitrine erinnert an MLK’s Mutter Alberta, die 1974 ebenfalls erschossen wurde – von einem Mann aus Ohio, während sie in der alten Kirche die Orgel spielte.

Zum Nationalpark-Komplex gehört auch eine frühere Feuerwehrwache. Als Kinder haben Martin Luther King und seine Freunde hier oft die Feuerwehrmänner bei ihrer Arbeit beobachtet. Sie wussten, dass sie nicht davon träumen durften, selbst diesen Beruf zu ergreifen. Erst 1963 wurden Atlantas erste schwarze Feuerwehrleute eingestellt, bis dahin galt das Prinzip der Segregation, der Trennung nach Hautfarben.

Interaktive Ausstellung über die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre

MLK und seine 2006 gestorbene Frau Coretta sind in einem Sarkophag aus Georgia-Marmor bestattet. Er steht in Auburn auf einer Insel in einem künstlichen Pool vor dem King Center, nicht weit davon entfernt flackert eine ewige Flamme. In der „Freedom Hall“ des King Centers sind einige Erinnerungsstücke ausgestellt, darunter der Reisewecker und der Koffer, den King am 4. April 1968 in Memphis bei sich hatte.

Der Weg zurück ins Stadtzentrum lässt sich gut mit einer Straßenbahn zurücklegen, die Fahrt kostet nur einen Dollar. Man kann aber auch laufen, weit ist es nicht – und man begegnet dabei Menschen, die ganz anders wirken als die würdevollen Kirchenbesucher in ihren dunklen Anzügen und den schönen, bunten Kleidern mit passendem Hut. Nahe des Interstate Highway 85 stochern Obdachlose im Müll, Touristen werden angebettelt, Drogen zum Kauf angeboten. Auch wenn kein Gefühl von Unsicherheit aufkommt: Kings Traum von Lebensverhältnissen, die für alle in den USA zumindest ähnlich sind, ist hier nicht verwirklicht.

Wer mehr über die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre erfahren will, findet im Center for Civil and Human Rights mitten in Atlanta eine gut gemachte interaktive Ausstellung. Das 2014 eröffnete Museum zeigt unter anderem historische Filmaufnahmen, die vermitteln, mit welchen Argumenten die Befürworter der Segregation einst geglaubt haben, dieses Gesellschaftsmodell beibehalten zu können. Anders als in den Nationalparkstätten in Auburn wird hier aber Eintritt verlangt – und mit 21,77 Dollar für Erwachsene samt Steuern nicht gerade wenig.

Station 2: MONTGOMERY, ALABAMA

Alabamas Hauptstadt (per Auto von Atlanta: zwei Stunden und 20 Minuten über den Interstate-Highway I-85, 260 Kilometer) stand bereits 1955/56 im Mittelpunkt des Kampfes um die Bürgerrechte. Rosa Parks hieß die Frau, die sich weigerte, im Bus ihren Platz für weiße Fahrgäste freizugeben und deshalb verhaftet wurde – der Auslöser für den Montgomery-Busboykott der Schwarzen in der Stadt, der 381 Tage dauerte und mit der Aufhebung der Segregation in den Bussen per Gerichtsbeschluss endete. Einer der Organisatoren dieses gewaltfreien Widerstand, der Montgomerys Busgesellschaft einen Verlust von 3000 Dollar pro Tag einbrachte, war Martin Luther King, der 1954 seine erste Pastorenstelle in Montgomery angetreten hatte.

MLK’s Kirche war die heutige Dexter King Memorial Church, nur wenige hundert Meter vom Staatskapitol entfernt, auf dessen Stufen Alabamas Gouverneur George Wallace noch 1963 erklärte, er strebe an, die Segregation von Weißen und Dunkelhäutigen für immer beizubehalten.

Die Dexter Church lässt sich besichtigen, gerne zeigt Führerin Wanda Howard Battle Kings Schreibtisch aus den 1950er Jahren und das Pult, an dem er Predigten hielt. Später bittet sie die Besucher, sich die Hände zu reichen und mit ihr im Mittelgang der Kirche einen Kreis zu bilden. Für jeden Gast – an diesem Tag sind es drei weiße Männer aus Texas, Alabama und Deutschland – spricht Wanda ein kurzes Gebet. Anschließend singen alle gemeinsam „We shall overcome“, die Hymne der US-Bürgerrechtsbewegung. „So endet jede Tour hier“, erzählt Wanda.

Stätten des Civil Rights Movements sollen Weltkulturerbe werden

Die Kirche gehört zum Alabama Civil Rights Trail, einem Verbund von Museen und Schauplätzen der Bürgerrechtsbewegung, der Touristen bei ihrer Reiseplanung helfen soll. Unter dem Motto „Was hier geschah, hat die Welt verändert“ gibt es solch ein Netzwerk inzwischen auch über Alabama hinaus: Seit Anfang 2018 führt der US Civil Rights Trail zu insgesamt gut 110 Orten in 14 US-Bundesstaaten und in Washington.

Zweck des US Civil Rights Trails ist es, Reisenden „zu zeigen, was sich an einzelnen Orten ereignet hat und sie herausfinden zu lassen, wie diese Erfolge den Menschen anderswo Mut gemacht haben“, erläutert Alabamas Tourismusdirektor Lee Sentell. Martin Luther King habe stets an das Prinzip der friedfertigen Auseinandersetzung geglaubt. „Und Menschen aus aller Welt kommen zu uns, um zu sehen, wo er das getan hat.“ Ein eher langfristiges Ziel ist es dabei, die wichtigsten Stätten des Civil Rights Movements in den USA sogar zu einem Weltkulturerbe der Unesco erklären zu lassen. Lee Sentell spricht von knapp einem Dutzend Orten, die im Verbund dafür wohl infrage kämen.

Kein US-Bundesstaat ist beim US Civil Rights Trail so stark vertreten wie Alabama, allein in Montgomery sind es zehn Erinnerungsstätten. Für Rosa Parks gibt es hier ein eigenes Museum, ebenso für die Freedom Riders – meist junge Menschen, die mit Überlandbussen durch den Süden der USA reisten und für das Ende der Segregation eintraten. Und im „Civil Rights Memorial Center“ wird in Montgomery der mindestens 41 Menschen gedacht, die im Kampf für die Bürgerrechte starben – einer von ihnen ist Martin Luther King. Auf einer großen digitalen „Wand der Toleranz“ können Besucher des Memorials ihre Namen eintragen und so dokumentieren, dass sie gegen Ungerechtigkeit und Hass eintreten. Gut 700.000 Menschen haben das bereits getan.

Station 3: BIRMINGHAM, ALABAMA

Alabamas größtes Ballungszentrum (per Auto von Montgomery: eine Stunde und 30 Minuten über den Interstate-Highway I-65, 150 Kilometer) kannte lange Zeit besonders harte Segregationsgesetze: „Die Stadtregierung hatte jede kleine Einzelheit des Alltags detailliert geregelt“, erzählt Barry McNealy, der Gäste durch das Birmingham Civil Rights Institute (CRI) führt. Es ist ein weiteres beeindruckendes Museum zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung. Noch 1950 wurde zum Beispiel das gemeinsame Baseball-, Basketball- und Footballspielen von Schwarzen und Weißen in der Stadt verboten.

Das CRI zeigt, wie groß die Unterschiede im Birmingham der 1950er Jahre waren, zum Beispiel in Schulen. „Fußboden, Platzangebot, Lichtverhältnisse, Bücher: Alles war schlechter in den Klassenzimmern der Schwarzen“, sagt McNealy. Obwohl sie fast 40 Prozent der Bevölkerung stellten, durften Dunkelhäutige im Jahr 1940 nur auf 11 Prozent der Stadtfläche leben, dicht an dicht und mit schlechterer Infrastruktur. „Krankenwagen für Schwarze gab es nicht. Wenn es rasch in die Klinik gehen sollte, wurden Leichenwagen für den Transport eingesetzt.“ Aus den Jahren 1945 bis 1962 sind 50 rassistisch motivierte Bombenanschläge auf schwarze Einrichtungen dokumentiert, die der Stadt zeitweise den Spitznamen „Bombingham“ einbrachten.

Für Birmingham entschieden sich Martin Luther King und andere Bürgerrechtler, als sie einen Ort suchten, an dem sie ihren gewaltfreien Widerstand in eine starke Konfrontation führen konnten – mit dem Ziel, noch mehr Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erhalten.

Die lokale Polizei reagierte brutal auf Demonstrationen

Erst wurden am 12. April 1963 King und andere Prediger während eines Protestmarsches durch Birmingham festgenommen – die Gitterwand seiner Gefängniszelle ist heute im CRI ausgestellt. Wenige Wochen später demonstrierten dann Tausende Schüler auf Straßen und Plätzen gegen die Segregation. Die lokale Polizei unter Kommando von Commissioner Eugene „Bull“ Connor reagierte brutal. Sie setzte unter Hochdruck stehende Feuerwehrschläuche und scharfe Schäferhunde gegen Teenager ein. Filmaufnahmen davon sorgten weltweit erst für Entsetzen und dann für größere politische Unterstützung für die Bürgerrechtsbewegung.

Mehrere Denkmäler im Kelly Ingram Park erinnern heute die Besucher an diese Zeit, auch für MLK steht dort eine Statue. Sie blickt zur 16th Street Baptist Church, an einer Parkecke einmal quer über die Straße gelegen. Bis dahin eine von 700 Kirchen in Birmingham, wurde sie zur bekanntesten in der Stadt, als am 15. September 1963 an der Außenwand eine Bombe explodierte und im Keller vier junge Mädchen tötete. Die Uhr, die im Moment der Detonation um 10.22 Uhr stehenblieb, ist heute in einer Ausstellung in dem Backsteingebäude zu sehen.

Station 4: MEMPHIS, TENNESSEE

Der letzte Stopp auf der Reise (per Auto von Birmingham: drei Stunden und 40 Minuten über den Interstate-Highway I-22, 390 Kilometer). Martin Luther King kam 1968 in der Stadt am Mississippi, um einen Müllmännerstreik zu unterstützen. „I am a Man“, stand bei den Märschen auf den Plakaten der Arbeiter. Das sollte zugleich heißen: „I’m not a boy“, denn als Boys – also als Jungs oder Laufburschen – wurden dunkelhäutige Männer damals oft abwertend bezeichnet.

Das Streikhauptquartier, die Methodistenkirche Clayborn Temple in der Nähe des „Lorraine Motel“, wird nach rund 20 Jahren Leerstand gerade aufwendig renoviert. Und eine Ausstellung mit Schwarzweiß-Fotos, die der bekannte Bürgerrechtbewegungs-Chronist Ernest C. Withers von dem Streik und von Martin Luther King in Memphis gemacht hat, ist noch bis zum 19. August 2018 im Brooks Museum of Art in Memphis zu sehen.

War James Earl Ray der alleinige Täter?

Was die Müllarbeiter antrieb, zeigt auch das National Civil Rights Museum. Dessen Ausstellung reicht aber auch weiter zurück bis in die Zeit der Sklaverei, die in den USA fast 250 Jahre dauerte und mindestens zwölf Generationen dunkelhäutiger Menschen unfrei machte. Das Museum schlägt dabei einen weiten Bogen. Wer mag, kann hier die Geschichte der Segregation und der Bürgerrechtsbewegung noch einmal komplett nachvollziehen, Rosa Parks und den Freedom Riders wieder begegnen, dunkelhäutige Studenten bei ihrer Einschreibung an bisher Weißen vorbehaltenen Colleges begleiten und Martin Luther King bei seiner berühmten Rede „I have a dream“ 1963 in Washington zuhören.

Auch das Haus auf der anderen Straßenseite, aus dem ein Mann namens James Earl Ray um 18.01 Uhr den tödlichen Schuss auf King abgegeben haben soll, gehört zum Museum. Die Ausstellung dort widmet sich auch der Frage, ob Ray wirklich alleiniger Täter war – unter anderem von Kings Familie wurde das später bezweifelt. Eine Antwort auf die Frage gibt das Museum nicht. Und so steht man später etwas rätselnd auf dem Museumsvorplatz und schaut auf den Kranz, der an der Balkonbrüstung genau vor der Tür zu Zimmer 306 hängt – dort, wo vor 50 Jahren der mitreißendste Redner des Civil Rights Movement für immer verstummte.

>>> Info-Kasten: Wichtige Orte in Martin Luther Kings Leben

  • Anreise und Formalitäten: Nach Atlanta gibt es Nonstopflüge von Deutschland mit Lufthansa und Delta. Nach Memphis geht es mit Umsteigen in den USA (zum Beispiel mit United über Chicago oder New York/Newark; mit American Airlines über Dallas oder Philadelphia). Deutsche Urlauber brauchen für die USA kein Visum, müssen sich aber unter https://esta.cbp.dhs.gov eine elektronische Einreiseerlaubnis (Esta) besorgen. Sie kostet 14 US-Dollar und gilt zwei Jahre lang.
  • Klima und Reisezeit: Im Sommer ist es im Süden der USA oft schwül und mit bis zu 35 Grad auch heiß. Im Winter kann es Schnee und Frost geben. Angenehme Reisezeiten sind März bis Juni sowie der Oktober.
  • Geld: Für einen Euro gibt es knapp 1,25 US-Dollar (Stand: 16. Februar 2018). Das Bezahlen mit Kreditkarten ist sehr weit verbreitet.
  • Informationen: Memphis & Mississippi, Horstheider Weg 106a, 33613 Bielefeld (Tel.: 0521/986 04 20, www.memphis-mississippi.de); Alabama Tourism, Am Weidendamm 1a, 10117 Berlin (Tel.: 030/72 62 51 91, www.alabama-usa.de); Verkehrsbüro des Staates Georgia, Bavariaring 38, 80336 München (Tel.: 089/45 21 86 26, www.georgia-usa.de).