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Sandhamn – Stille Idylle mit mörderischer Geschichte

Sandhamn – Stille Idylle mit mörderischer Geschichte

Sandhamn, die kleine Insel vor Stockholm, begeistert Urlauber mit ihrer idyllischen Stille. So können Urlauber die Insel in Ruhe innerhalb von knapp drei Stunden umrunden. Bekannt ist Sandhamn vor allem durch die schwedische Autorin Viveca Sten, die mit ihren Krimis Verbrechen auf die Insel bringt.

Essen. 

Es ist nicht laut. Unter den Füßen knistert der Waldboden, die trockenen Kiefernnadeln vom vergangenen Jahr zerfallen zu Staub. Das Brummen der Autos – es fehlt. Auf Sandhamn, einer kleinen Insel vor den Toren Stockholms, gibt es keine. Nur der Wind verfängt sich in den Ohrmuscheln, die Wellen spülen echte Muscheln an den Strand. Eine Tür knallt irgendwo. Aber kein Hund bellt, kein Mensch hustet. Nichts. Es ist wie diese idyllische Stille in Filmen, bevor das Unglück geschieht.

Auf Sandhamn sind schon viele Verbrechen begangenen worden – zumindest in der Vorstellung von Viveca Sten. Die Schwedin hat bereits sieben Krimis geschrieben, die in ihrer Heimat einen festen Platz auf den Bestsellerlisten haben. Im April ist ihr fünfter Roman auf Deutsch erschienen. Auch darin geht Kommissar Thomas Andreasson wieder auf die Jagd nach einem Mörder.

Leichen werden im Wald verscharrt, am Strand angespült, im Hotelzimmer entdeckt. In Stens erstem Roman ist es ein Tourist, der, als er mit seinem Hund spazieren geht, einen toten Mann im Wasser findet. So unwahrscheinlich ist das nicht, denn seit vielen Jahren ist Sandhamn vor allem ein Urlaubsziel.

In rund drei Stunden umrundet

Sandhamn ist klein, in rund drei Stunden kann man es umrunden. Es liegt am Rande von Stockholms Schärengarten, einer Insellandschaft mit rund 24.000 Eilanden, die während der Eiszeit entstanden ist, als riesige Inlandseismassen das Gestein bearbeiteten, Felsen abschmirgelten und Schotter abluden. Zurück blieben kleine, felsige Hügel, die heute vom Meer umspült werden und wie kahle Schädel versunkener Riesen über die Wasseroberfläche lugen. Sandhamn ist eine der letzten Felsglatzen, dahinter ist nur noch der offene Ozean.

Im 17. Jahrhundert wollte niemand freiwillig auf Sandhamn leben. Es gab ja nichts. Nur Wind, Wellen und Fischfang. Erst 1860 ließ der König ein Zollhaus errichten und wenige Jahre später legten die ersten Dampfboote an. Mit den Fährverbindungen kamen die ersten Sommergäste und auch der schwedische Jachtclub baute ein Klubhaus auf Sandhamn. Heute ist es ein Hotel, das Seglerhotel. Das einzige, das ganzjährig geöffnet hat. In ihrem sechsten Krimi liegt genau neben diesem eine Tote unter Bergen von Schnee begraben.

Auch Stens Urgroßvater hatte seine Segelleidenschaft auf die Insel geführt. „Von einem Lotsen hat er vor mehr als 100 Jahren ein Haus gekauft. Es ist noch heute in Familienbesitz“, sagt Sten. Auf Sandhamn sind die Häuser eng an eng gebaut, als würden sie zusammenrücken, um sich vor den Naturgewalten zu schützen, vor dem Wind vor allem. Straßennamen gibt es keine, nur die Ortsbezeichnungen der Einheimischen. Aber wenn man Stens Bücher gelesen hat, kennt man die Insel ohnehin schon.

Es bleibt eigentlich nur Mord

In ihrem neuen Buch folgt man Jonas auf der Suche nach seiner Tochter durch das Dorf, kommt vorbei am Café Strindbergsgården, das am Zaun über dem Eingang einen Rettungsring hängen hat und nach Schwedens größtem Autor August Strindberg benannt ist. Man läuft mit Jonas weiter durch die engen Gassen, vorbei an den geduckten Häusern, viele von ihnen falunrot gestrichen, weiter zum Missionshaus, einer Pension, in dessen Zimmer Nummer vier mal eine Leiche entdeckt wurde, über den Friedhof rüber zum Strand vom Fläksberget.

Man erinnert sich an den alten Eisenanker, der auf einer Klippe liegt, von dem aus man nach Körso rüber schauen kann, der Nachbarinsel, die militärisches Sperrgebiet ist. Nur die grauen Häuser hinter der großen Erle, die Sten in ihrem neuen Buch beschreibt, die gibt es nicht. Auch nicht die Brand’sche Villa, in der die zweite Hauptfigur Nora, eine alte Schulfreundin des Kommissars, lebt. Dort, wo das Haus steht, findet sich nur ein nackter Fels. „Ich wollte nicht, dass an die Tür von irgendjemandem geklopft wird, weil man denkt, es wäre die Brand’sche Villa“, erklärt Sten.

Wieso eigentlich immer Mord, denkt man sich, wenn man ihre Bücher liest. Aber kaum ist man auf Sandhamn, wird es klar. Welche anderen Verbrechen sollte man hier begehen? Die Grundstücke sind nicht eingezäunt, Hausfriedensbruch fällt aus. Autos gibt es keine, die kann man nicht klauen. Fahrräder lehnen achtlos an Hauswänden oder Bäumen. Einbruch – nur bedingt, im Winter vielleicht, wenn nur 100 Menschen auf Sandhamn leben.

Allerdings wäre dann schnell klar, wer es gewesen sein könnte. Jeder Fremde fällt auf. Im Sommer, wenn 3000 Gäste Sandhamn bevölkern, stehen die Sommerhäuser meist offen, denn Schweden halten nichts vom Abschließen, wenn man ohnehin Zuhause ist. Es bleibt also nur Mord. „In Wahrheit gab es auf dieser Insel nur einen Mord. Vor vielen, vielen Jahren wurde einmal ein totes Baby gefunden. Aber es war schnell klar, wer es getan hatte, denn es gab nur eine Schwangere auf der Insel, die nicht verheiratet war“, erzählt Sten.