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Vertreibung aus dem Sehnsuchtsort

Vertreibung aus dem Sehnsuchtsort

Seit einem Jahr streitet der Thora-Kreis um Eberhard Kerlen nun schon mit dem Chef der Alten Synagoge um einen Raum für sein 14-tägiges Treffen. Aber die Stadt bleibt hart: „Das passt nicht mehr ins Konzept“.

Essen. 

Ein gutes Jahr schwelt nun schon der Konflikt um den Thora-Kreis der Alten Synagoge, den der Leiter der Einrichtung, Robert Uri Kaufmann, kurz nach seiner Amtsübernahme überraschend aus dem Haus verbannt hatte. Es handelt sich um eine Gruppe von 30 bis 40 Essenern, die sich viele Jahre alle 14 Tage traf, um unter Anleitung des pensionierten evangelischen Pfarrers Eberhard Kerlen in der Tradition des jüdischen „Lehrhauses“ in der hebräischen Bibel zu lesen und darüber zu diskutieren. Dieser „Workshop“ passe nicht mehr ins Haus, hatte Kaufmann damals kühl-herablassend wissen lassen und von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht. Nach teils unerfreulich verlaufenen Befriedungsversuchen trudelte dann vor einigen Tagen ein Brief von Kaufmann und seinem Vorgesetzten, Kulturdezernent Andreas Bomheuer bei Kerlen ein. Der Rausschmiss ist endgültig.

Bomheuer stellt sich somit ausdrücklich hinter Kaufmann, allerdings sind Kerlen und seine Gruppe immer noch nicht bereit klein beizugeben. „Wir halten die Aussperrung von 40 Essenern aus einem städtischen Gebäude weiterhin für einen handfesten Skandal“, so Kerlen. Dass Kaufmann formal das Recht habe, den Raum zu verweigern, bestreitet der frühere Pfarrer nicht. Doch sei ihm nach wie vor völlig unklar, welchen Sinn und Zweck diese drastische Maßnahme habe.

„Dieser Kreis passt einfach nicht mehr ins inhaltliche Konzept“, betonte Bomheuer gestern auf Anfrage. Kaufmann hatte vor einem Jahr erklärt: „Mein Ziel ist es, jüdische Referenten zu engagieren, die aus der Praxis kommen“, was man wohl als indirekte Kritik an Kerlens Kompetenz interpretieren darf. Bomheuer erneuerte gestern die Ankündigung, ein eigenes Seminar unter Leitung eines Rabbiners anzubieten. Kerlen und seine Gruppe seien dann als Teilnehmer willkommen. Nur: Passiert ist bislang nichts. Schon aus finanziellen Gründen dürfte das auch schwierig werden.

Hebräische Studien absolviert

Eberhard Kerlen nimmt zwar für sich in Anspruch, längere hebräische Studien in Jerusalem absolviert zu haben, will aber deshalb nicht behaupten, ein professioneller Schriftgelehrter zu sein. „Darum geht es aber auch gar nicht.“ Er leite schlicht eine Gruppe interessierter Bürger, die in der jüdischen Bibel lesen und darüber reden wollten. „Und treffen würden wir uns gerne in dem Haus, das dafür wie geschaffen ist: die Alte Synagoge.“

Asyl fand die Gruppe schon vor einem Jahr auf der anderen Seite der Bernestraße im Katholischen Stadthaus. Für Kerlen ist das aber nur eine Übergangslösung. So sehr hängt die Gruppe an ihrem alten Domizil, dass sie sogar bereit wäre, städtische Hausmeisterdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Wegen der berufstätigen Mitglieder trifft sich der Kreis immer erst am späten Nachmittag – außerhalb der normalen Öffnungszeiten müsste dann jemand die Alte Synagoge auf- und abschließen. „Auch das ist abgelehnt worden“, so Kerlen. Aus gutem Grund, sagt Bomheuer: „Organisatorisch ist das schwer zu machen, selbst wenn die Gruppe bezahlen will.“ Da habe auch die Personalvertretung ein Wort mitzureden.

Eberhard Kerlen geht es inzwischen ums Prinzip: „Die Alte Synagoge gehört doch allen Bürgern und nicht dem Leiter.“ Er will eine „Kultur des Schweigens“ in Essen festgestellt haben. Zwar gäben ihm etwa Kommunalpolitiker Recht, wenn er den Stil der Stadtbediensteten kritisiere, doch passiere offiziell dann nichts. „Ich finde das sehr bedrückend.“ Unfair findet Kerlen auch, dass Bomheuer und Kaufmann einen Zwischenfall, wie Kerlen meint, „aufbauschten“: Bei einem der Treffen sei ein Mitglied der Gruppe im Eifer der Diskussion einmal laut gegenüber Bomheuer geworden, aber sofort von anderen zur Räson gebracht worden. Im Brief ist dann im Plural von „Vorfällen“ die Rede, und: „Sie werden verstehen, dass wir uns durch Auspfeifen nicht erpressen lassen.“ „Dazu stehe ich“, betonte Bomheuer gestern.

Wie es aussieht, wird das „Exil“ also noch eine ganze Weile nötig sein. Ebenso klar ist aber: Pfarrer Kerlen und sein Kreis denken weiter nicht daran, das ergeben hinzunehmen.