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Chinas Kommunisten verhandeln Zukunft des Landes am Strand

Chinas Kommunisten verhandeln Zukunft des Landes am Strand

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Foto: dpa
Ein kleiner Badeort wird jeden Sommer zur heimlichen Hauptstadt Chinas. Mit ihren Beratungen in Beidaihe will die neue Führung die Partei auf ihre Marschrichtung einschwören. Erstmals seit zehn Jahren wird die Zukunft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde neu verhandelt. Es gibt aber Widerstand.

Beidaihe. 

Drei Marineschiffe sichern die Bucht vor der Küste von Beidaihe – ein untrügliches Zeichen, dass es in dem ostchinesischen Badeort wieder einmal hochpolitisch zugeht. Auf den Straßen stehen Polizisten mit quakenden Funkgeräten. Eine herrische Handbewegung – der Verkehr wird gestoppt. „Ein Konvoi kommt“, raunt der Polizist einem Fahrer durchs offene Autofenster zu. Schwarze Regierungslimousinen mit abgedunkelten Scheiben schießen vorbei. Niemand weiß, wer sich dahinter verbirgt. Nur eins ist klar: Die hohen Führer aus Peking sind wieder da.

Die Nervosität der Sicherheitskräfte steht im krassen Widerspruch zur verschlafenen Stimmung in dem kleinen Provinznest, das in nur drei Stunden mit dem Auto von der chinesischen Hauptstadt zu erreichen ist. Traditionell kommen hier die Spitzen der Partei jeden Sommer zu informellen Beratungen zusammen, wohnen in den Regierungsvillen in den Hügeln um das beschauliche Küstenstädtchen. In diesem Jahr ist die Anspannung besonders groß. Erstmals seit zehn Jahren werden die Weichen für die Zukunft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde neu gestellt.

„Neue Wirtschaftspolitik von Regierungschef Li Keqiang im Mittelpunkt“

Zu Beginn der Beratungen empfängt der Chef des mächtigen Parteisekretariats, Liu Yunshan, am Montag in Beidaihe eine Reihe von Wissenschaftlern und Experten. „Die neue Wirtschaftspolitik von Regierungschef Li Keqiang steht im Mittelpunkt der Debatten“, sagt Politikwissenschaftler Wu Qiang von der Tsinghua Universität der Nachrichtenagentur dpa. „Es ist ziemlich kompliziert“, verweist der Professor auf Widerstand von verschiedenen Interessengruppen: „Die vier großen Staatsbanken sind eine Fraktion – oder die lokalen Regierungen und die verschiedenen Industrien.“

In den vier Monaten im Amt hat der neue Premier klar gemacht, dass der Geldhahn nicht mehr aufgedreht wird, um das verlangsamte Wachstum wieder anzuschieben. Er will wegen der Schuldenberge mit den Sünden der Vergangenheit brechen und den Kreditboom zügeln. Stattdessen setzt Li Keqiang auf marktorientierte Reformen. Er will das Finanzsystem auf Trab bringen und die Staatsunternehmen nicht weiter aufblähen, sondern vielmehr den kleinen und mittleren Unternehmen helfen. Sie erwirtschaften heute 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und stellen 80 Prozent der Beschäftigung.

Wirtschaft wächst so langsam wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Den neuen Kurs soll das Zentralkomitee auf seiner Sitzung im Herbst absegnen. Es wird das wichtigste Plenum seit zehn Jahren. Erst müssen aber die verschiedenen Fraktionen in Beidaihe auf eine Linie gebracht werden. Vor dem Treffen an der Küste wurde in Peking reiner Tisch gemacht: Trotz Entlassungen und sozialer Spannungen machte das Politbüro unmissverständlich klar, dass die Wirtschaft in diesem Jahr mit 7,5 Prozent so langsam wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr wachsen dürfte.

Dann wurde eine landesweite Buchprüfung in den Kommunen eingeleitet, weil die Regierung „keine Ahnung hat“, so ein Beamter, wie schlimm die Verschuldung im Lande wirklich ist.

Anklage wegen Korruption und Machtmissbrauch gegen Bo Xilai

Auch soll der Skandal um den gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai endlich zum Abschluss gebracht werden. Es wurde Anklage wegen Korruption und Machtmissbrauchs erhoben. Noch diesen Monat soll dem einst aufsteigenden Stern der Partei der Prozess gemacht werden. Nachdem sich der 64-Jährige erst vehement gegen die Vorwürfe gewehrt hatte, heißt es jetzt, er zeige sich zumindest in einigen Punkten kooperativ. Ihm droht dennoch eine hohe bis lebenslange Haftstrafe.

Nach den Machtkämpfen um den Generationswechsel und den Spannungen durch die große Regierungsneubildung im März scheint der neue Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Macht rasch konsolidiert zu haben. „Chinas neue Führungsmannschaft hat sich schnell eingerichtet und erscheint in den ersten Monaten ihrer Amtszeit ziemlich stabil und effektiv“, findet Christopher Johnson vom Zentrum für strategische und internationale Studien (CSIS) in Washington. Ihre Reformen aber jetzt im Zentralkomitee durchzusetzen, sei eine „erste Prüfung“.

Politische Führer wollen sich nicht mit Grundsatzdebatten aufhalten

Während in den Villen hinter verschlossenen Türen um den neuen Wirtschaftskurs gerungen wird, schwillt draußen in den Pinienhainen das laute Konzert der Zikaden an und ab. Nichts in dem verschnarchten Touristenstädtchen lässt vermuten, dass es hier um Schicksalsfragen der Nation geht. Es wird höchstens mal die Küstenstraße gesperrt und deswegen die Buslinie umgeleitet, wenn die hohen Führer aus Peking am Strand weiterdiskutieren oder sich im Meer abkühlen wollen.

„Unter dem früheren Parteichef Hu Jintao wurde hier mehr über Kleinigkeiten diskutiert“, verrät Professor Wu Qiang. Er meint ideologische Grundsatzdebatten, mit denen sich die neuen Führer aber nicht aufhalten wollen: „Die Beratungen werden nicht lange dauern – wenn ich mir den Stil der neuen Führer so anschaue.“ (dpa)