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Freispruch trotz DNA-Beweis? Vater von Mordopfer fordert Justizreform

Freispruch trotz Beweis? Vater von Mordopfer fordert Reform

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Hans von Möhlmann kämpft nach dem Mord an seiner Tochter Frederike für eine Justizreform – denn deutsches Recht schützt den mutmaßlichen Täter. Foto: dpa
Jahrzehnte nach dem Mord an seiner Tochter kämpft Hans von Möhlmann um Gerechtigkeit. Der mutmaßliche Mörder läuft frei herum. Ein Gesetz schützt ihn.

Celle. 

„Gerechtigkeit für meine ermordete Tochter Frederike. Der Mord muss gesühnt werden“. Es sind zu Herzen gehende Worte, die Hans von Möhlmann wählt. Sie stehen über einer Online-Petition, die der ältere Herr aus Celle derzeit über das weltweit größte Petitionsportal change.org ins Netz stellt. Sie richtet sich an Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) In den ersten vier Wochen haben inzwischen gut 35.000 Menschen unterzeichnet. Täglich werden es mehr. Sie fordern: Einem Mörder muss zweimal der Prozess gemacht werden können – auch, wenn er schon mal freigesprochen worden ist.

Hans von Möhlmann ist kein Populist. Das Besondere am Fall seiner Tochter Frederike: Der Täter, der die 17-jährige nach der neuesten Beweislage in der Nacht des 4. November 1981 vergewaltigt und die Kehle durchgeschnitten hat, als diese von einer Chorprobe heimkam, ist nicht nur bekannt. Ismet H., heute 56, läuft auch frei herum. Er lebt in einer anderen deutschen Stadt, und die Justizbehörden wissen, wo. Denn in einem ersten Prozess 1983 konnten die Richter die Mordtat nicht nachweisen, der Weg des Nachweises über die Reifenspuren von H.’s BMW war nicht eindeutig genug. Eine DNA-Analyse gab es damals noch nicht. Der Mann wurde damals freigesprochen.

Kampf um Sühne stört den „Rechtsfrieden“

Das könnte heute anders sein: Die DNA seiner Haare stimmen mit der überein, die in der Binde der Toten gefunden wurde, stellte sich 2012 heraus. Der Vater fragt sich also verzweifelt: Warum wird der Täter nicht zur Verantwortung gezogen? „Mir wird gesagt, meine Forderung würde den Rechtsfrieden stören. Welcher Rechtsfriede kann herrschen, wenn ein überführter Täter unbehelligt bleibt? Und weiter: „Frederike ist tot und von ihr existiert nicht einmal mehr ein Grab. Sie durfte ihr Leben nicht mehr führen, wohl aber der Täter“.

Die genetische Analyse ist eine riesige Erfolgsgeschichte der Kriminalistik. Sie wurde bei einem Massentest Ende der 90er-Jahre in Telgte bei Münster erstmals in Deutschland angewendet. Heute gibt es in der Analysedatei beim Bundeskriminalamt 839.000 Personendatensätze und 272.000, die als Spuren gesichert werden konnten. 157.000 mal konnten seit ihrem Bestehen wohl Taten aufgeklärt werden – von Vergewaltigung über den Raub bis zum Mord.

Politik sträubt sich gegen Rechtsreform

Es sind spektakuläre Morde darunter, die gelöst werden konnten: Der am Modemacher Rudolph Mooshammer 2005. Der Tod einer vergewaltigten Frau, die 1995 zur Vertuschung aus einem fahrenden Zug bei Dresden geworfen worden war. Auch – nach 27 Jahren – der Sexualmord an einer Schülerin, die 1973 umgebracht worden war. Und dass der in Bad Kleinen durch Selbstmord gestorbene RAF-Terrorist Wolfgang Grams am Anschlag auf den Hoesch- und Treuhand-Manager Detlev Karsten Rohwedder beteiligt war, gilt dank der Haaranalysen als sicher.

Die Aufklärung des Mordes an Frederike könnte sich gut in diese Treffer-Liste einordnen. Doch die Politik sträubt sich seit langem, den mehr als ein Jahrhundert alten Paragraphen 362 der Strafprozessordnung zu ergänzen. Heute lässt er eine Wiederaufnahme nur bei einem „glaubwürdigen Geständnis“ eines Täters zu. Die Kritiker verlangen, dass neue wissenschaftliche Methoden der Verbrechensaufklärung auch einen neuen Strafprozess in einem längst abgeschlossenen Fall möglich machen. So wie es in Österreich, England, Finnland, Norwegen und Schweden problemlos geht – und die Europäische Menschenrechtscharta es auch fordert.

Vorstoß vom Land NRW versandete in Berlin

2008 hat das Land NRW über eine Gesetzesinitiative versucht, diese Korrektur durchzusetzen. Die Vorlage 16/7957 versandete im Parlamentsbetrieb in Berlin. In einer Stellungnahme der Bundesregierung hieß es zwar: „Das Anliegen ist gut nachvollziehbar“. Aber es gebe viele verfassungsrechtliche und strafprozessrechtliche Fragen. Die müsse man erst prüfen.

Nichts passierte. Dabei ist der Fall des Mädchens aus Celle kein Einzelfall. In Düsseldorf war eine 29-jährige Mutter von drei Kindern in ihrer Videothek mit einer Plastiktüte erstickt worden. Die Anklage scheiterte, weil die Beweislage zu dünn war. Erst, als die wissenschaftlichen Möglichkeiten da waren, ordnete man Hautpartikel des Täters den Spuren an der Tüte zu. Auch hier kam es aus Rechtsgründen zu keinem neuen Prozess. Der Beschuldigte starb später an Krebs.

Hat Hans von Möhlmann noch eine Chance, den Mörder seiner Tochter verurteilt zu sehen? Das Ministerium von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat in einer Stellungnahme erklärt, dass eine Online-Petition über change.org keine Grundlage für eine Behandlung im Bundestag ist. Von Möhlmann könne ja eine solche Petition direkt beim Petitionsausschuss starten (https://epetition.bundestag.de). Dann müssen 50.000 Unterschriften her.