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Streikwellen bei Bahn und Lufthansa – dürfen die das?

Streikwellen bei Bahn und Lufthansa – dürfen die das?

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Foto: imago/PEMAX
Lufthansa-Piloten und Lokführer drohen, das Land erneut lahmzulegen. Reisende und Politiker sind empört. Unser Autor Stefan Schulte hat die besten Argumente beider Berufsgruppen in einem Pro und Contra zusammengestellt.

Pro:

Contra:

Missbrauch? Ja, Lokführer und Piloten treffen mit ihren Streiks vor allem Unbeteiligte, die Reisenden. Damit befinden sich die Splittergewerkschaften aber in guter und großer Gesellschaft: Was anderes macht denn Verdi, wenn im öffentlichen Dienst Kindergärtnerinnen oder die Müllabfuhr streiken? Das Argument, Streiks in Kitas etwa seien auch im Sinne der Eltern, weil sie qualifizierte, gut bezahlte Kindergärtnerinnen wünschen, hat Verdi auch nicht exklusiv. Fluggäste sähen einen überlasteten, älteren Piloten wohl auch lieber in Rente als im Cockpit. Missbrauch! Piloten und Lokführer nutzen den Ärger der Reisenden als Faustpfand für ihre Tarifverhandlungen. Damit nerven Cockpit und GDL nicht nur zigtausende Pendler, Geschäftsreisende und Urlauber, sie schaden damit auch der gesamten Wirtschaft. Berufstätige an ihrer Arbeit zu hindern, hat eine andere Qualität als Kitas zu schließen oder Mülleimer überlaufen zu lassen. Die Streiks sind deshalb unverantwortlich.
Das Streikrecht: Was Lokführer und Piloten tun, ist vom Grundgesetz geschützt. Wer meint, die dürften das nicht, stellt leichthin das Streikrecht infrage. Arbeitskämpfe sind seit jeher das verbriefte Recht jedes Beschäftigten, seine Interessen durchzusetzen. Würde es nur dort gelten, wo es der Allgemeinheit genehm ist, könnte man es gleich abschaffen. Das Streikrecht: Niemand stellt das Streikrecht infrage. Doch aus diesem Recht entsteht den Gewerkschaften auch die Pflicht, verantwortungsbewusst damit umzugehen. Cockpit und GDL sind es, die das Streikrecht aushöhlen, weil sie die privilegierte Stellung einer kleinen Beschäftigtengruppe für überzogene Forderungen missbrauchen. Weil ohne sie nichts geht, holen sie mehr raus als die „einfachen“ Kollegen. Wie die sich wohl so fühlen als Mitarbeiter zweiter Klasse? Das schwächt die Akzeptanz des Streikrechts und spaltet die Belegschaft.
Die Tarifeinheit: Die Koalition plant eine gesetzliche Tarifeinheit, um die Macht der Spartengewerkschaften zu brechen. Das klingt gut, ist auch populär, aber nicht möglich, ohne das Grundgesetz zu brechen. Würde in jedem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten – natürlich jener der größten Gewerkschaft – würde dies gleich mehrere Grundrechte verletzen. Erstens das Streikrecht, weil die Kleingewerkschaft ohne Tarifmandat auch nicht zum Streik aufrufen könnte. Zweitens gegen die im nächsten Punkt beschriebene Koalitionsfreiheit. Die Tarifeinheit: Sollen Lokführer und Piloten doch streiken – damit liefern sie das beste Argument für die Tarifeinheit. Der Überbietungswettbewerb von Kleingewerkschaften schadet dem Unternehmen und damit am Ende auch den Reisenden durch höhere Preise. Die Lufthansa etwa sieht sich einem Streik nach dem andern gegenüber, mal streiken die Lotsen, dann das Kabinenpersonal, schließlich die Flugsicherheit. Damit muss Schluss sein.
Koalitionsfreiheit: Jeder Beschäftigte darf sich einer Gewerkschaft seiner Wahl anschließen, um seine Interessen durchzusetzen. Zum Glück gibt es auch Kleingewerkschaften, sie machen den Dickschiffen Dampf. Etwas Wettbewerb schadet dem verstaubten Gewerkschaftswesen sicher nicht. Wenn, wie bei der Bahn, Mitglieder von der großen zur kleinen Gewerkschaft überlaufen, liegt das womöglich daran, dass die große zu zahm geworden ist. Koalitionsfreiheit: Vor allem die Herren der GDL gerieren sich eher als Wilderer denn als Kämpfer für die Koalitionsfreiheit. Erst beriefen sie sich darauf, um für ihren erlauchten Kreis exorbitante Lohnerhöhungen herauszuschlagen. Jetzt wollen sie plötzlich nicht mehr nur für ihre schützenswerte Minderheit das Sagen haben, sondern für alle Bahnbeschäftigten. Die GDL nutzt jedes Grundrecht eben so, wie es ihr am besten passt.

Essen.