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„Die Polizei sagte: Du legst es doch darauf an“

„Die Polizei sagte: Du legst es doch darauf an“

Rotherham. 

Jessicas Geschichte steht für viele der missbrauchten Mädchen aus Rotherham. Sie war gerade 14, als ein zehn Jahre älterer Mann sie umwarb. Sie verliebte sich, er drängte das Mädchen schnell zum Sex. Und begann wenig später, sie zu schlagen. Die inzwischen 29-Jährige, die eigentlich anders heißt, hat seit dieser Woche einen neuen Blick auf ihre Erlebnisse: 1400 Kindern in der Stadt erging es seit 1997 ähnlich oder sogar noch schlimmer. „Ich bin immer noch schockiert, dass es nicht nur mir passiert ist“, sagt sie.

Seit Anfang der Woche ein Untersuchungsbericht öffentlich machte, was sich über 16 Jahre in der 260 000-Einwohner-Stadt im Norden Englands ereignete, melden sich immer mehr Frauen zu Wort, denen lange niemand zugehört hat. Sie beschreiben grauenhafte Verbrechen, die viel gemeinsam haben: Meist kommen die Opfer aus sozial schwachen Familien, die Täter stammen größtenteils aus Pakistan. Und alle Mädchen fühlen sich im Stich gelassen von den zuständigen Behörden.

Zum Beispiel Emma: Gruppenvergewaltigungen und Todesangst gehörten für sie jahrelang zum Alltag, wie sie unter falschem Namen dem „Mirror“ berichtet. Eine handgeschriebene Liste mit 250 Namen von Vergewaltigern habe die Polizei einfach ignoriert. Ein weiteres Mädchen lernte ihrer Peiniger mit elf Jahren kennen, wie sie der „Sun“ sagte. Sie gaben ihr Alkohol und Cannabis, dafür verlangten sie Sex. Die Behörden hätten genau gewusst, was los war, glaubt die heute 22-Jährige. Geschützt habe sie niemand. „Die Polizei sagte, du legst es doch darauf an.“ Bisher sind es 17 Frauen, die vom Stadtrat in Rotherham eine Entschädigung verlangen.

Diese jahrelange Untätigkeit der Behörden schockiert auch Andrew Norfolk. Der Reporter berichtete immer wieder für die „Times“ über die Zustände in Rotherham und anderen Städten. Schon 2003 hätten hilflose Eltern ihm gesagt, dass Polizei und Jugendamt sich nicht für die Fälle interessierten. Auch mit ihm habe keine offizielle Stelle sprechen wollen, bis hin zum Innenministerium.

Hoffnung auf etwas Gerechtigkeit

Dass diese Verbrechen jetzt bekannt sind und verurteilt werden, befreit keine missbrauchte Frau von ihrem Trauma. Aber der internationale Aufschrei gibt ihnen Hoffnung auf etwas Gerechtigkeit. Zwar ist bislang unklar, ob es neue Ermittlungen gegen Sexualverbrecher in Rotherham gegen wird. Fünf waren 2010 bereits zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Doch nach und nach bitten die ehemals Zuständigen in Politik und Verwaltung die Opfer um Verzeihung. Der Druck wächst, es gab einen Rücktritt, weitere könnten folgen. Einfach Wegschauen kann jetzt jedenfalls niemand mehr.