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„Kanal-TÜV“ – viel Geld umsonst investiert

„Kanal-TÜV“ – viel Geld umsonst investiert

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Foto: WAZ FotoPool
Wenn im Landtag die Dichtigkeitsprüfungen der Abwasserleitungen privater Häuser außer Kraft gesetzt wird, kommt dies für viele Eigentümer zu spät. Sie haben bereits investiert, zum Teil hohe Summen. In Einzelfällen sollen sogar Häuser deshalb verkauft worden sein.

Essen. 

Das Ehepaar war schon über 80 Jahre alt und mit der Situation völlig überfordert. Jetzt noch neue Rohre am Haus verlegen lassen! Für 12.000 Euro, und dazu die aufwändigen Bauarbeiten! Die Entscheidung fiel dem Paar nicht leicht, aber nachdem sie den Kostenvoranschlag für die Sanierung ihrer Abwasserleitungen gesehen hatten, entschieden die alten Leute: Das schaffen wir nicht mehr. Wir verkaufen unser Haus!

Ein Fall von vielen, ein besonders tragischer sogar. Volker Steffen vom Eigentümer-Verband Haus und Grund im Rheinland erlebte ihn kürzlich im Oberbergischen. Kaum ein Thema hat die lokalen Sitzungen von Haus und Grund in den letzten Jahren so aufgewühlt wie dieses. Bis Ende 2015, so sieht es das Landesabwassergesetz NRW vor, müssen Hauseigentümer ihre privaten Abwasserleitungen auf Dichtigkeit überprüfen und gegebenenfalls sanieren lassen. Es drohen Kosten von bis zu 20.000 Euro pro Haushalt. Nun, nach langen Diskussionen, sieht es so aus, als ob die Mehrheit von CDU, FDP und Die Linken im NRW-Landtag für eine Aussetzung des Kanal-TÜV stimmen wird.

Die Kosten sind das große Problem dieser Vorschrift

„Das wäre eine politische Sensation“, erklärt Erik Uwe Amaya, Verbandsdirektor von Haus und Grund Rheinland. Seit langem fordert er, das Gesetz auszusetzen, bis es eine bundesweit einheitliche Regelung gibt. „Bislang schreiben lediglich NRW, Hamburg und Hessen ihren Bürgern diese Prüfungen vor. In Grenzregionen wie dem Oberbergischen oder auch im Ostwestfälischen kann das bedeuten, dass ein Hauseigentümer zigtausend Euro in die Sanierung stecken muss, sein Nachbar 500 Meter weiter jedoch nicht“.

Die Kosten sind das große Problem dieser Vorschrift, die in erster Linie auf den Umweltschutz, aber auch auf die bauliche Sicherheit der Gebäude abzielt. „Wir halten die Prüfung und Sanierung der Kanäle grundsätzlich für eine sinnvolle Maßnahme. Es hätten nur viel früher Lösungen für die Finanzierung gefunden werden müssen“, erklärt Philip Heldt von der NRW-Verbraucherschutz-Zentrale. Viele Hauseigentümer, gerade ältere Leute, könnten das Geld dafür nicht aufbringen.

Gleichzeitig gibt es viele, die schon in ihr privates Abwassersystem investiert haben. Weil ihre Kommune mehr Druck machte als andere, weil sie Preissteigerungen zum Ablauf der Sanierungsfrist 2015 fürchteten oder einfach, weil sie die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen.

In Lünen etwa sollen schon etwa 40 Prozent der Hausbesitzer eine Dichtigkeitsprüfung durchführen lassen haben. „Die Firma Remondis war dort sehr aktiv. Es gab wohl auch günstige Angebote“, sagt Erik Uwe Amaya von Haus und Grund.

Wer in den letzten Monaten jedoch die politischen Diskussionen um das Thema verfolgte, der neigte vermutlich eher dazu, abzuwarten. So wie jene Essenerin, die bereits 2009 eine Kanaltechnik-Firma beauftragte, mit der Kamera ihre Abwasserleitungen zu inspizieren. Wie zu erwarten bei einem 50er-Jahre-Haus traten einige Mängel zutage. Über 6700 Euro belief sich der Kostenvoranschlag. „Da haben wir ganz schön geschluckt. Das ist schließlich eine Menge Geld“, sagt die Essenerin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann beschloss sie, erst einmal nichts zu tun. Bis 2015, so befand man, sei ja noch Zeit. Um so größer ist nun, angesichts der neuen Entwicklung, die Erleichterung.

2015 wird auch gewählt

Verärgert zeigte sich gestern Gerhard Treutlein, der Geschäftsführer des Verbandes der Rohr- und Kanaltechnik-Unternehmen. „Im Vertrauen auf die Beständigkeit der Politik haben unsere Firmen in Maschinen und Geräte investiert, haben Personal ausgebildet und aufgebaut. Sollte die Entscheidung so fallen wie es sich nun abzuzeichnen scheint, wird es Tausende Arbeitslose in unserer Branche geben“, so Gerhard Treutlein.

Heute also tagt der Umweltausschuss, in der nächsten Woche der Landtag. Die rot-grüne Minderheitsregierung steht offenbar einer neuen Anti-Dichtigkeits-Fraktion gegenüber. Und just 2015, das wissen sie alle in Düsseldorf, wird wieder gewählt.