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Tempel-Anschlag: Tatverdächtiger war im Aussteigerprogramm

Tempel-Anschlag: Tatverdächtiger war im Aussteigerprogramm

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Foto: dpa
Die Jugendlichen, die den Anschlag auf den Sikh-Tempel begangen haben sollen, waren den Behörden bekannt. Einer war in einem Aussteigerprogramm.

Düsseldorf/Essen. 

Yussuf T. und Mohammed B. treffen sich am Nachmittag des 16. April in B.s Kinderzimmer in Essen, um einen entleerten Feuerlöscher mit sprengbaren Chemikalien zu befüllen. Magnesium, Schwefel, Gips und Teile für den Elektrozünder haben die beiden 16-Jährigen im Internet bestellt. Die Bauanleitung gab es bei Youtube. Wenige Stunden darauf detoniert die gebastelte Bombe vor dem Sikh-Tempel in der Essener Bersonstraße. Drei Menschen werden verletzt, eine größere Katastrophe verhindert nur eine standfeste Glastür im Eingangsbereich des von Indern und Afghanen besuchten Gemeindehauses.

In den Verhören sagen Yussuf T. und Mohammed B. später aus, sie hätten den Sprengsatz aus „Spaß am Böllerbauen“ gezündet. Den Sikh-Tempel hätten sie ohne Grund ausgewählt. Es gebe keinen religiösen Hintergrund für den Anschlag. Die Zweifel am Zufall wachsen täglich, immer neue Einzelheiten über den salafistischen Hintergrund der beiden türkischstämmigen Jugendlichen aus Gelsenkirchen und Essen werden bekannt. Mehr noch: Inzwischen drängt sich der Eindruck auf, Yussuf T. und Mohammed B. hätten sich unter den Augen der NRW-Behörden radikalisiert. Ein Anschlag mit Ansage?

Schulleitung hatte sich an den Verfassungsschutz gewandt

Was Innenminister Ralf Jäger (SPD) dem Landtag am Donnerstag über seinen Referatsleiter für Kriminalitätsangelegenheiten mitteilen ließ, machte einige Parlamentarier sprachlos: Yussuf T. befand sich bereits seit 2014 im Präventionsprogramm „Wegweiser“ des Landes gegen gewaltbereiten Salafismus. Die aufmerksame Leitung seiner Gelsenkirchener Realschule hatte sich damals wegen der offenkundigen Radikalisierung des Jungen an den NRW-Verfassungsschutz gewandt. Yussuf T. verherrlichte die Terroranschläge des so genannten Islamischen Staats (IS), stand im Verdacht, sich in Syrien zum Kämpfer ausbilden lassen zu wollen. Er beteiligte sich an einer Koran-Verteilaktion, bespuckte Mitschülerinnen und bedrohte ein jüdisches Mädchen.

Yussuf T. wurde zeitweilig vom Schulbesuch ausgeschlossen, auf eine andere Realschule geschickt, vor allem immer wieder zu Beratungsgesprächen im Programm „Wegweiser“ gebeten. Zuletzt hatten die Behörden ihn und seine Mutter am 12. April zu Gast, vier Tage vor dem Essener Terrorakt. „Wenn man schon jemanden, der im Präventionsprogramm ist, nicht von einem Anschlag abhalten kann, wen denn eigentlich dann?“, empörte sich CDU-Innenexperte Gregor Golland.

Innenminister Jäger verwies schmallippig auf die Grenzen der Sozialarbeit: „Wir können die Tür nur aufmachen, aber die Betroffenen müssen durchgehen.“

„Hinweise auf Anschlagsplänelagen den Behörden nicht vor“

Auch Mohammed B. war den Behörden schon besser bekannt, als zunächst eingeräumt worden war. Im Januar wurde er wegen Körperverletzung angezeigt. Nur einen Tag vor dem Anschlag wurde er wegen versuchten Einbruchs festgenommen. Seine beiden älteren Brüder sind nach Informationen unserer Zeitung im Intensivtäter-Programm der Polizei. Vor allem aber: Die Staatsschutz-Inspektion ermittelte bereits gegen B., weil dschihadistische Symbole sein Facebook-Profil zierten und er unter dem Namen „Puffer Killer“ den IS verherrlichte. Kurz nach dem Anschlag hatte er Kontakt zu einem 16-jährigen Salafisten aus Wesel, der bereits mit einer Ausreisesperre belegt wurde.

Das Innenministerium beeilte sich zu betonen: „Hinweise auf Anschlagspläne lagen den Behörden nicht vor.“ Doch die anfängliche Darstellung, dass es sich bei den Attentätern um Mitläufer der salafistischen Szene handelte, auf die man erst durch das Bundesamt für Verfassungsschutz aufmerksam gemacht werden musste, wird seit Donnerstag in Zweifel gezogen.