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Gewaltvorwürfe: Auf der Suche nach Schuldigen und Standards

Gewaltvorwürfe: Auf der Suche nach Schuldigen und Standards

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Foto: WAZ FotoPool
Nach den Übergriffen auf Flüchtlinge in Burbach bestätigte die Polizei Verdachtsfälle im Opti-Park: Es liegen drei Anzeigen wegen Körperverletzung vor. Flüchtlinge klagen über Zustände. Politik zeigt sich schockiert.

Essen. 

Als die Grünen, die Linken und die Partei-Piraten in der jüngsten Sitzung des Rates Standards für Erstaufnahme-Einrichtungen des Landes auf Essener Gebiet anmahnten, wurden sie mehrheitlich abgebügelt. Die gebe es längst, hieß es. Tatsächlich ist die Realität eine andere, wie selbst das mit der Betreuung der Flüchtlinge im Opti-Park beauftragte Essener Unternehmen European Homecare einräumen muss: Unter dem derzeitigen Druck des Flüchtlingszustroms litten die Standards in den Unterkünften – und vor allem die Menschen.

Die Übergriffe von Sicherheitsleuten auf Asylbewerber in Burbach sind womöglich kein Einzelfall. Auch im Opti-Park nahe der Innenstadt sollen Bewohner angegangen worden sein. Die Polizei bestätigte gestern drei Anzeigen wegen Körperverletzung aus den vergangenen zwei Wochen. Zwei der Vorwürfe richteten sich gegen das Sicherheitspersonal. In dem dritten Fall handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Bewohnern, sagte Polizeisprecher Ulrich Faßbender: „Wir ermitteln mit Hochdruck.“ Auch gestern waren die Ermittler vor Ort. Für eine Beurteilung sei es aber noch zu früh, was auch für den von European Homecare dokumentierten Fall gelte: Demnach sollen männliche Bewohner des Heims Drogen konsumiert und die Nachtruhe gestört haben. Als sie von einem Wachmann ermahnt worden seien, kam es zu einem Angriff. Den habe der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes mit seinem Ellenbogen abgewehrt. Bei dem Flüchtling wurden später Brustkorbprellungen und weitere Verletzungen diagnostiziert. Anschließend habe eine über 20-köpfige Gruppe den Wachmann mit dem Tode bedroht. Der Mitarbeiter wurde abgezogen. Was sich tatsächlich abgespielt hat in der Nacht des 18. September müssen nun Polizei und Staatsanwaltschaft klären.

Doch nicht nur die Suche nach den Schuldigen, sondern auch die nach den Standards ist im Gange: Die Stadt will nun in ihren eigenen Einrichtungen überprüfen, ob alle vereinbarten Leistungen „auch in der Qualität und Güte erbracht werden wie vereinbart“, hieß es in einer Stellungnahme. Bislang, so Sozialdezernent Peter Renzel, gebe es keinerlei Hinweise auf Unregelmäßigkeiten in den vier städtischen Unterkünften, die von European Homecare betreut werden. Zudem werde das Ordnungsamt das Sicherheitspersonal zusätzlich durchleuchten, was eigentlich die Aufgabe der Behörden am Sitz der Firmen in Nürnberg und Gelsenkirchen sei.

Politiker aller demokratischen Parteien haben schockiert auf die Misshandlungs-Klagen aus dem Opti-Park reagiert und eine transparente und lückenlose Aufklärung der Zwischenfälle gefordert: „Wir wollen, dass der Sozialausschuss schnellstmöglich über das Geschehen informiert wird, um gegebenenfalls reagieren zu können“, forderte SPD-Ratsherr Frank Müller. „Wir verlangen eine ordentliche Unterbringung der Flüchtlinge“, mahnte Fraktionskollege Karlheinz Endruschat an.

„Ich bin besorgt“, ließ sich CDU-Fraktionschef Thomas Kufen vernehmen: „Gewalt und Übergriffe auf Asylsuchende dürfen nicht geduldet werden.“ Auch wenn der Opti-Gewerbepark keine städtische Unterkunft sei, „müssen in allen Aufnahmeeinrichtungen gleiche Qualitätsstandards gelten“, so Kufen.

Für die Grünen zeigt sich jetzt, „wie wichtig die Diskussion über die Mindestanforderungen an Ausstattung, Belegung und Betreuung ist“. Ratsfrau Christine Müller-Hechfellner forderte „eine Aufklärung über die Vertragsbedingungen mit privaten Dienstleistern für die Asylunterbringung“. Für die Linke im Rat der Stadt ist es an der Zeit, bessere Standards für die Unterbringung von Flüchtlingen einzuführen. Für Fraktionschefin Gabriele Giesecke gehört dazu ein Beschwerdemanagement für Bewohner, aber auch die Selbstversorgung mit Essen und der freie Zugang für Flüchtlingshelfer.

Diözesan-Caritasdirektor Andreas Meiwes warnte davor, die Situation zu verallgemeinern: „Die Übergriffe sind und bleiben ein krasses menschenverachtendes Fehlverhalten. Aber sie sind zum Glück die Ausnahme, Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt.“

Eindrücke einer Ratsfrau im Opti-Park

Einen Austausch des Konzepts Bewachung gegen ein Konzept Betreuung fordert Anabel Jujol, Ratsfrau der Partei-Piraten, die nach eigener Aussage entsetzt darüber ist, was sie am vergangenen Freitag bei einem Besuch im Opti-Park beobachtete und dokumentierte. Traumatisierte Menschen bräuchten kein Gefängnis mit Wärtern, sondern eine Einrichtung, die sie auffängt und betreut. Die Bezirksregierung Arnsberg, die für diese Flüchtlingsheime zuständig ist, will nun dafür sorgen, dass keine Subunternehmer mehr für die Sicherheit in den Unterkünften eingesetzt werden. Dies ist in den Augen der Ratsfrau der Partei-Piraten nur medienwirksame Makulatur. Wenn Essen wirklich das Großasyl beherbergen möchte, dann nicht nur weil es bequem und günstig ist, so Jujol: „Gelder, die durch die Finanzierung des Landes eingespart werden, müssen in ein psychosoziales Zentrum fließen.“ Kirchen und gemeinnützige Organisationen, die Fachkräfte im Sozialbereich stellen könnten und diese auch nach Tarif bezahlen, seien einzubinden. Beklagte Missstände bei der Versorgung müssten abgestellt werden.

Die Überprüfung der Qualitätsstandards bei European Homecare hält Anabel Jujol für einen „Hohn“: Verwaltung und Politik seien zu sofortigem Handeln zu verpflichten, so Jujol mit Blick auf die Großunterkunft am Kutel: „Ich fordere ein ordentliches Ausschreibungsverfahren mit adäquaten Betreuungsrichtlinien und natürlich die Begrenzung auf 500 Flüchtlinge.“

“Man bringt uns hier keinen Resepkt entgegen“

Große aufgeregte Menschentrauben füllen den Hof der Flüchtlingsunterkunft im Essener Opti-Park an der Altendorfer Straße. Menschen aus Marokko, Algerien oder dem Libanon scharen sich um Polizei und Pressevertreter. Fotografen und Kamerateams drängen sich die Treppen des dreistöckigen Gebäudes hinauf, um einen Blick in die Aufenthaltsräume, die Kantine oder die Toiletten zu erhaschen. Um zu sehen, wie die Menschen leben in einer Unterkunft, über die der Vorwurf im Raum steht, Sicherheitsmitarbeiter hätten Flüchtlinge tätlich angegriffen. An der Spitze der Reporterschlange der Vize-Regierungspräsident aus Arnsberg, Volker Milk, der sich ganz offiziell ein Bild der Lage machen will.

Doch die Gänge sind geputzt, die Waschräume sauber. Einzig hier und da liegt wie drapiert ein Pappbecher auf dem Boden. Ein einsamer Müllsack hat sich schier alibimäßig mit einer Bananenschale auf den Flur verirrt. Diese Bilder stimmen den Vize-Regierungspräsident sichtlich zufrieden. „Ich bin positiv überrascht. Desolate Zustände habe ich hier definitiv nicht vorgefunden“, sagte Milk und scheint mit einer ausführlichen Beurteilung der hygienischen Zustände dem eigentlichen Vorwurf der Gewalt gegen die Bewohner ausweichen zu wollen. „Die Unterbringung entspricht nicht in allen Punkten dem NRW-Standard, da es beispielsweise keine Sportangebote oder gesonderte Kinderräume gibt, aber es handelt sich hierbei um eine Notunterkunft, da muss man gewisse Abstriche machen“, so Milk. Erst auf mehrmalige Rückfrage nimmt der Vize-Regierungspräsident Stellung zu den Vorwürfen. Die seien nicht zu vergleichen, mit den Vorkommnissen in Burbach, da müsse man klar differenzieren, so Milk.

Die Schilderungen der Flüchtlinge im Heim klingen jedoch sehr drastisch. Mitten in der Nacht seien Sicherheitskräfte ins Zimmer gestürmt und hätten auf ihn und seine Mitbewohner eingeprügelt, erzählt Achraf Ben Salam und deutet auf seinen in einen Verband gewickelten Fuß. Der 18-Jährige Algerier hatte Anzeige erstattet und sich ein ärztliches Attest ausstellten lassen, in dem der Ambulanzarzt Prellungen am Fuß bescheinigt, gleichzeitig aber auch die Rede davon ist, der Patient sei vor einigen Tagen umgeknickt.

Auch Yousra Fakih hat Anzeige erstattet. Ein Mann vom Sicherheitspersonal habe ihr absichtlich die Tür in den Rücken geschlagen, berichtet die Libanesin, die seit gut einem Monat mit ihrem Sohn in der Unterkunft in Essen untergebracht ist. Zeugen dafür gibt es bislang nicht.

Der Vize-Regierungspräsident lenkt ein: Die Bezirksregierung habe dem Heimbetreiber European Homecare bereits einen Sieben-Punkte-Katalog vorgelegt, auf den sich das Unternehmen voll eingelassen hat. „Wir müssen insgesamt eine strengere Messlatte anlegen. Es darf nicht sein, dass Vorbestrafte als Sicherheitskräfte Flüchtlinge malträtieren“, sagt Volker Milk. Heimleiter Ridda Martini beruft sich auf die Tatsache, dass der Wachdienst gegen einen neuen ausgetauscht worden sei. Zudem sei ein Polizeiteam heute vor Ort im Einsatz, um den Heimbewohnern die Möglichkeit zu geben, Anzeige zu erstatten. Die Bezirksregierung werde darüber hinaus künftig in allen 19 Einrichtungen in NRW präsent sein, kündigt Milk an. „Am Mittwoch werden die Kollegen in die Unterkünfte ausschwärmen, um die Qualität der Unterbringung sicherzustellen.“

Doch im Schatten der Vorwürfe über körperliche Übergriffe stehen viele andere Klagen. „Man bringt uns hier einfach keinen Respekt entgegen“, sagt Yousra Fakih. „Man behandelt uns wie Kinder. Um alles müssen wir betteln: Duschgel, Kaffee und wenn wir mal zwischen den Mahlzeiten Hunger haben, bekommen wir auch nichts“, so die Libanesin. „Ich bekomme hier nichtmals Medikamente für meine Kinder. Die müsste ich selbst kaufen, hat man mit gesagt“, erzählt der Vater einer achtköpfigen Familie aus Syrien. „Aber woher soll ich das Geld nehmen?“ Denn seit sechs Wochen haben die Essener Flüchtlinge ihr obligatorisches „Taschengeld“ von 3,25 Euro pro Tag nicht bekommen. Das sei aus zeitlichen Gründen nicht verteilt worden, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Das soll aber heute nachgeholt werden.

Andere fragen, wo ihr Ausweis geblieben ist, wann ihre Kinder in die Schule gehen dürfen, oder ob sie das Heim für einen Spaziergang verlassen dürfen. Jeder Einzelne in der großen Traube auf dem Hof scheint gleich hunderte Fragen zu haben, die ihm bisher niemand beantwortet hat.