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Bürgerbeteiligung – ja oder nein?

Bürgerbeteiligung – ja oder nein?

Essen. 

Büßt die Politik Handlungsfähigkeit ein, wenn Bürger verstärkt an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden oder nicht? Ein Für & Wider.

CONTRA:


Politik wird durch mehr Bürgerbeteiligung keineswegs handlungsunfähig.

Das ist schon seit geraumer Zeit immer öfter der Fall. Planungsverfahren ziehen sich bei Großprojekten leicht über Zeiträume von mehr als zehn Jahren hin. Doch heute ändern sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen in schnellem Takt. Deshalb muss auch die Politik schnell reagieren können. Wer Angst vor der Gentechnik hat, muss wenigstens die dazugehörige Forschung akzeptieren. Sonst bestimmen schnell andere das Tempo der Veränderung. Ohne mehr Einsicht in Notwendigkeiten wird Politik tatsächlich handlungsunfähig.

Die Regierungen müssen ihre Entscheidungen konsequenter umsetzen.

Parlamente und Regierung werden gewählt, um stellvertretend für das Volk Entscheidungen zu treffen und eben auch durchzusetzen. Nur dem Volk aufs Maul zu schauen, ist keine Lösung und keine Basis für zukunftsorientierte, weitsichtige Politik. Die Politik muss den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Dazu braucht sie allerdings das Vertrauen der Wähler, das Politiker inzwischen weitgehend verspielt haben.

Wir brauchen schnellere Verfahren zur Umsetzung von Großprojekten.

Vom kleinsten Schuppen bis hin zum Großflughafen regiert die Bürokratie bei Bauvorhaben mit unsinnigen Vorgaben und zeitraubenden Einspruchsrechten. Ein Teil davon kann ersetzt werden. Zum Beispiel kann man den Rechtsweg vereinfachen und auf eine Instanz beschränken, wie es beim Bau von Verkehrswegen und Stromnetzen bereits der Fall ist.

Wir brauchen nicht mehr Volksentscheide, schon gar nicht regional.

Wenn bei jeder Ansiedlung einer Müllkippe oder einer Industrieanlage die betroffenen Anwohner darüber entscheiden können, wird es in Deutschland kein Großprojekt mehr geben. Dann könnten wir ja gleich alle Bürger darüber abstimmen lassen, wie viele Steuern der einzelne bezahlen soll. Das Ergebnis wäre zweifellos die Staatspleite.

Mehr Transparenz ist wichtig, aber irgendwann muss auch entschieden werden.

Fehlende Transparenz erklärt einen guten Teil des bürgerlichen Protests. Die Politik muss von mit offenen Karten spielen, Planungsdaten, Verträge mit Unternehmen, Risiken und Chancen wahrheitsgemäß vermitteln und diskutieren. Wenn alle Informationen auf dem Tisch liegen, können Politik und Bürger auf Augenhöhe den besten Weg aushandeln. Das Ergebnis muss dann aber auch gelten.

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PRO:


Politik wird durch mehr Bürgerbeteiligung keineswegs handlungsunfähig.

Langwierige, wirksame Bürgerproteste richten sich nur gegen wenige Vorhaben. Die meisten Neubauten von Fabriken, Autobahnen, ICE-Trassen und Hightech-Laboren verursachen keine allzu große Gegenwehr der Bürger. Selbst eine riesige Flugzeugwerft im Naturschutzgebiet – Airbus in Hamburg – ist möglich. Die Energiewende wird auch nicht von Berufsdemonstranten verhindert. Kommt es doch zu Protesten, sind diese Ausdruck einer gesellschaftlichen Debatte, die geführt werden muss.

Die Regierung täte nicht gut daran, Entscheidungen durchzudrücken.

Es wäre kontraproduktiv, Entscheidungen auf Biegen und Brechen durchzusetzen – selbst wenn dieses Vorgehen der Institutionen legal ist. Im Laufe eines umfangreichen Planungs- und Bauvorhabens kann es aus unterschiedlichsten Gründen vorkommen, dass Bürger die Legitimität infrage stellen. Die Politik muss massives Unwohlsein in jedem Falle ernst nehmen. Tut sie es nicht, riskiert sie einen Vertrauensverlust.

Wir brauchen keine beschleunigten Verfahren für Großprojekte.

Es gibt eine gültige Regel: Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, und die unterschiedlichen Interessengruppen haben ein Recht auf die Vertretung ihrer Interessen. Dafür muss es verlässliche Verfahren geben. Welchen Sinn hat Demokratie, wenn man die Beteiligung der Bürger nur zulässt, wo es der Politik genehm ist und sie immer dann einschränkt, wenn es der Regierung nicht passt?

Wir brauchen mehr Volksentscheide, gerade bei regionalen Entscheidungen.

In Zeiten der sogenannten Politikverdrossenheit können Plebiszite ein Mittel sein, um die Bindung zwischen Bürgern, Politik und Institutionen wieder zu stärken. Es ist ratsam, so der Aushöhlung der demokratischen Willensbildung zu begegnen. Im lokalen und regionalen Rahmen sind deshalb Bürgerentscheide durchaus ein gangbarer Weg.

Es geht den Bürgern um mehr als nur um mehr Transparenz.

Sicher müssen die einer Entscheidung zugrunde liegenden Daten und Motive veröffentlicht werden. Dies darf aber nicht als Argument gegen die Bürgerbeteiligung und den Rechtsweg herhalten. Schließlich geht es oft um politische und moralische Wertungen. Damit diese im Sinne des gesellschaftlichen Friedens auch zur Geltung kommen können, bedarf es institutionalisierter Verfahren, die einfach Zeit brauchen.