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Polizei weist Vorwürfe nach versuchtem Rathaus-Sturm zurück

Polizei weist Vorwürfe nach versuchtem Rathaus-Sturm zurück

© Dieter Menne

Rechtsradikale wollten Dortmunder Rathaus stürmen

Dortmund, 26.05.2014: Unglaubliche Szenen spielten sich am Sonntagabend vor laufender Kamera nach der Kommunalwahl in Dortmund ab. Rechtsradikale hatten offenbar versucht, das Rathaus zu stürmen.

Nach dem Neonazi-Angriff auf die Wahlparty im Dortmunder Rathaus hat die Polizei mehrere Anzeigen gegen die Angreifer gestellt. Rund 25 Rechtsextremisten wollten am späten Abend das Rathaus stürmen — es kam zu Handgreiflichkeiten. Aber der Angriff kam nicht unerwartet.

Dortmund. 

27 Rechtsradikale wollten am späten Sonntagabend die Wahlparty im Dortmunder Rathaus stürmen. Hintergrund: Siegfried Borchardt, Spitzen-Kandidat der Partei „Die Rechte“, wollte offenbar mit seinen Anhängern den Einzug ins Stadtparlament feiern. Unter dem zweifelhaften Spitznamen „SS-Siggi“ ist der 60-Jährige seit Langem eine Größe in der Dortmunder Nazi-Szene.

Die Unterstützer des verurteilten Gewalttäters traten laut Zeugen extrem aggressiv auf. Auf ihren gelben T-Shirts mit Dortmund-Skyline forderten sie unter anderem „Weg mit dem NWDO-Verbot“. Die rechtsextremistische Vereinigung „Nationaler Widerstand Dortmund“ war 2012 vom Innenministerium verboten worden.

Die Polizei habe nach dem Überfall mehrere Strafanzeigen gegen die Angreifer gestellt, erklärt Polizeisprecher Kim Freigang. Auch Anzeigen der Angegriffenen seien eingegangen. Die rechte Gruppe erhielt einen Platzverweis. Jetzt ermitteln die Behörden wegen des Verdachts auf Volksverhetzung, Widerstands gegen Polizisten, Beleidigung, Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung.

Rathaus-Besucher stellten sich Rechten in den Weg

Die Rechten seien in einer Menschentraube förmlich auf das Rathaus zugestürmt, berichtet Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Stefan Neuhaus. „Die haben ziemlich schnell ihre Maske fallen lassen, haben die erste Strophe der Nationalhymne gesungen und ‚Deutschland den Deutschen‘ skandiert.“ Von parlamentarischer Zurückhaltung keine Spur. Nur Siegfried Borchardt habe sich gemäßigt gegeben.

„Wir wussten, dass das passieren würde“, so Neuhaus. Es sei lange klar gewesen, dass die Rechten ihr Recht einfordern würden, im Rathaus zu feiern. Die Grünen und andere Parteien waren also vorbereitet. Es sei sogar abgeklärt worden, welche rechtliche Handhabe man gegen den Besuch der Rechte habe. Ergebnis: Den Zutritt ins Foyer könne man ihnen kaum verwehren. Aber im ersten Stock genießen die Fraktionen so etwas wie ein Hausrecht. Bis dahin kamen die Rechten aber gar nicht.

Als abends die Kunde von den heranmarschierenden Rechten die Runde machte, versammelten sich schnell Dutzende vor der Rathaus-Tür. Sie stellten sich den Neonazis in den Weg. „Wir haben eine Menschenkette gebildet, aber die Situation ist sofort eskaliert. Die Gruppe wollte mit aller Macht ins Foyer“, erklärt Neuhaus.

Zehn Verletzte durch Pfefferspray und Schläge

Die Angreifer hätten auch Pfefferspray versprüht. Mindestens ein Rathaus-Verteidiger trug eine Platzwunde am Kopf davon — offenbar der Piraten-Spitzenkandidat Christian Gebel (38). Mehrere Rettungswagen eilten zum Friedensplatz. Sie behandelten neben Gebel auch zehn Personen, die Pfefferspray ins Auge bekommen hatten.

Aber wo war die Polizei? Das fragten sich neben Stefan Neuhaus wohl auch viele andere: „Es hat mindestens 15 Minuten gedauert, bis die ersten Streifenwagen kamen.“ Die Verstärkung sei sogar noch später da gewesen — lange nach den Krankenwagen.

Die Dortmunder Polizei wies die Vorwürfe am frühen Montagnachmittag zurück. „Gegen 22.10 Uhr wurde die Einsatzleitstelle der Polizei über den Notruf alarmiert“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die ersten Einsatzkräfte der Polizei trafen bereits nach vier Minuten ein. Mit weiteren Unterstützungskräften und unter Einsatz von Pfefferspray und dem Einsatzmehrzweckstock gelang es den Beamten schnell, die beiden Lager vor dem Rathaus zu trennen.“

„Rathaus-Sturm“ der Rechten war lange bekannt

Die Befürchtung eines „rechten Rathaus-Sturms“ war schon lange bekannt. Sie sei auch mehrfach angesprochen worden, so Neuhaus. Die Anwesenden der Wahlparty hätten sich daher in Sicherheit gewähnt. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Polizei Bescheid weiß und im Notfall schnell da ist“, so Neuhaus.

Jetzt wolle die Grünen-Fraktion prüfen lassen, ob Sanktionen gegen „Ratsherr“ Siegfried Borchardt möglich sind. Schließlich könne man auch gewählte Vertreter in bestimmten Umständen aus dem Stadtparlament verbannen.

Sierau kritisiert zu langsamen Einsatz der Polizei 

„Es war verabredet, dass die Polizei schnell kommt, wenn etwas passiert. Das hat wohl nicht so schnell geklappt“, stellte Oberbürgermeister Ullrich Sierau in einer ersten Reaktion fest. „Nazis haben versucht, sich mit gewalttätigen Mitteln wichtig zu tun“, so Sierau weiter.

Die Polizei habe schließlich zahlreiche Kräfte am Rathaus zusammengezogen. Die Rechten seien schließlich unter Polizeibegleitung abgezogen. Die Polizei stand zeitweise zwischen 25 rechtsradikalen Angreifern und etwa 150 Bürgern. Der gesamte Friedensplatz war mit Polizeiwagen und Feuerwehr-Fahrzeugen gefüllt.

Kämmerer Jörg Stüdemann hatte die Wahlparty zuvor zur geschlossenen Veranstaltung erklärt und von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht, damit die Neonazis keinen Zutritt zum Rathaus bekommen.

Bei der Kommunalwahl in Dortmund erreichte die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei Die Rechte 1,0 Prozent der Stimmen. Die Partei gilt als Auffangbecken für Mitglieder verbotener Neonazi-Kameradschaften und Dortmund als Hochburg der Rechtsextremen in NRW.

OB Ullrich Sierau muss in die Stichwahl 

In Dortmund muss sich Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) einer Stichwahl gegen CDU-Kandidatin Annette Littmann stellen. Sierau erhielt am Sonntag nach vorläufigem Endergebnis 43,7 Prozent der Stimmen, Littmann kam auf 32 Prozent. Daniela Schneckenburger von den Grünen lag bei 11,2 Prozent.

Bei der Wahl des Stadtrats wurde die SPD mit 38,2 Prozent stärkste Partei. Sie erreichte 36 Sitze. Die weiteren Sitze gingen an CDU (26), Grüne (15), FDP (2), Linke (6), NPD (1), Piraten (2), AfD (3), Die Rechte (1) und Wählergruppen (2). Die Wahlbeteiligung betrug 44,9 Prozent.

(mit dpa)