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Schalkes Yves Eigenrauch stellte Weltstar Ronaldo kalt

Schalkes Yves Eigenrauch stellte Weltstar Ronaldo kalt

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FUSSBALL: UEFA POKAL 97/98, 17.03.98 Foto: Getty
Der Schalker Yves Eigenrauch galt als alternativer Fußballprofi. Er war kritisch, bunt, belesen, und er konnte große Emotionen im Sport nie nachempfinden. Aber die Fans mochten seine Spielweise. In der Saison 1997/98 hatte er auf dem Platz eine besondere Begegnung.

Herne. 

Mit dem Roller kommt Yves Eigenrauch zum Gespräch in einem Café in Herne. Das passt, in einem Ferrari wäre er ähnlich vorstellbar wie Schalke 04 in kräftigem Rot. Heutzutage wohnen Schalker Profis gerne in Düsseldorf, wo die Currywurst in Blattgold serviert wird, Yves Eigenrauch dagegen wirbt in einem WDR-Spot für das Ruhrgebiet und speziell für seinen Wohnort Wanne-Eickel: Er rollert vorbei an den längst geschmackvoll renovierten alten Zechenhäusern im Ortsteil Röhlinghausen, auch am Kanal entlang, über den die Transportschiffe tuckern. Revier-Idylle, und Yves Eigenrauch sagt dazu: „Ich fühle mich als Wanne-Eickeler. Das Ruhrgebiet ist meine Heimat.“

Dabei stammt er aus Ostwestfalen, als der gebürtige Mindener 1990 mit 19 Jahren von Arminia Bielefeld zu Schalke 04 kam, begleitete ihn Skepsis. Heute, mit 42, sagt er: „Ich mag die Leute hier, auch deren Direktheit. Man kann über das Ruhrgebiet streiten. Aber es entspricht einfach nicht dem Bild, das vielerorts noch immer von ihm gezeichnet wird.“ Der zwischenzeitlich mal aufgekommene Gedanke, mit der Familie nach Berlin umzuziehen, ist verworfen worden. „Weil ich überlegt habe, was ich vermissen würde.“ Neben den Menschen können das auch Momente sein, die ihm andere Regionen nicht zu bieten hätten. „Ich mag es zum Beispiel sehr, auf den Halden zu stehen und die Geräusche wirken zu lassen.“

Zwölf Jahre lang hat Yves Eigenrauch für Schalke gespielt. Im Rückblick nennt er seine Zeit als Profi „interessant, spannend, aufregend – trotz der Schwierigkeiten“. Er hatte es manchmal nicht leicht, weil er es auch nicht leicht haben wollte. Yves Eigenrauch kam mit dem Fahrrad zum Training, brachte einen Rucksack mit, trug bunte Kleidung und las im Mannschaftsbus, wenn die anderen zockten. Das galt schon als außergewöhnlich in einem Kreis „mit häufig sehr überschaubaren Gesprächsthemen: Frauen, Autos, Sportwetten“. In der erschreckend genormten Fußballbranche ging Yves Eigenrauch als komischer Kauz durch, nicht selten rümpften auch Mitspieler die Nase.

Und doch lernten sie, ihn zu akzeptieren. Vermutlich, weil auch sie erkennen mussten, dass seine Einstellung zum Job keinen Tadel zuließ. Das Trikot konnte der Defensivspezialist nach den Spielen nie mit Bügelfalte zurück in den Schrank legen, Yves Eigenrauch arbeitete Fußball. Eine solche Haltung wird überall geschätzt, im Ruhrgebiet aber eben immer noch ein bisschen mehr: Die Fans bekundeten ihre Zufriedenheit und Zuneigung oft mit einem langgezogenen „Yyyyves“. Er sei so, wie er gespielt habe, meint er heute: „Ich sehe mich als einfach, geradlinig und engagiert.“ Dass er sich damit über die Jahre hinweg „relativ konstant“ in der Bundesliga halten konnte, erstaunt ihn: „Ich selbst dachte immer, dass man mehr können müsste, als engagiert zu sein.“

Der Weltstar wurde ausgewechselt

Ehrgeiz trieb ihn an, Verbissenheit aber war ihm fremd. „Sportlicher Erfolg ist für mich irgendwie nett“, erklärt er, „aber nicht das Wichtigste. Ich konnte es nicht nachempfinden, wenn die Leute nach verlorenen Spielen richtig sauer waren.“ Auch das andere emotionale Exeurofightertrem, der Rausch des Sieges, ließ ihn unberührt. Man könne das auf dem Mannschaftsbild nach dem Uefa-Cup-Sieg 1997 gut erkennen, meint er: „Die anderen kreischen, und ich lächele eher ein bisschen bemüht, weil ich dachte, mitmachen zu müssen.“ Schon nach der Entscheidung im Elfmeterschießen an jenem legendären Abend in Mailand hatte er die ekstatischen Gefühlsausbrüche der Kollegen nur nachgeahmt: „Das war eine vollkommen absurde Situation für mich.“ Er ahnte damals nicht, welche Bedeutung dieser Erfolg für den Klub erhalten würde. Und dass die Spieler bis zum heutigen Tag von den Fans als „Eurofighter“ verehrt werden würden.

In der Saison 1997/98 pendelte sich Schalke in der Bundesliga auf Platz fünf ein, im Uefa-Cup aber kam es im Viertelfinale erneut zu zwei hochspannenden Duellen mit Inter Mailand. Das Hinspiel ging mit 1:0 an die Italiener, im Rückspiel fehlten die gesperrten Thomas Linke und Johan de Kock, so dass Yves Eigenrauch, der zuvor nach einer Knieoperation neun Monate lang gefehlt hatte, Weltstar Ronaldo an der Entfaltung seiner Spielkunst hindern sollte. Dies gelang dem Schalker mit Bravour. Sieben Minuten vor Schluss wurde der entnervte Brasilianer ausgewechselt, höhnische Grüße aus der Nordkurve des Parkstadions eskortierten ihn auf dem Weg in die Kabine: „Gegen Yves hast du keine Chance!“ Yves Eigenrauch erzählte anschließend, Ronaldo vorher kaum gekannt zu haben. „Das stimmte“, beteuert er.

Obwohl Schalke in der Verlängerung das 1:1 kassierte und damit ausschied, würden viele Profis eine solche Partie als Spiel ihres Lebens etikettieren. Yves Eigenrauch aber, der Personenkult so angenehm findet wie Nesselfieber, schüttelt nur den Kopf. „Ich habe auch andere gute Spiele gemacht“, sagt er.

Distanz zum ausgeuferten Fußballgeschäft

Dass er von Bundestrainer Berti Vogts umgehend zum Länderspiel eine Woche später gegen Brasilien in Stuttgart eingeladen wurde, nennt Yves Eigenrauch „angesichts der Umstände grotesk“. Eingesetzt wurde er aber nicht – und er ist tatsächlich froh darüber: „Das wäre ja grauenhaft, ein oder zwei Länderspiele zu haben. Entweder richtig oder gar nicht. Für mich war es ohnehin nie erstrebenswert, in der Nationalmannschaft zu spielen. Ich war nie der Meinung, dass meine Qualität dafür ausreichen könnte.“

Zum ausgeuferten Fußballgeschäft hält Yves Eigenrauch mittlerweile noch mehr Distanz. „Fußballer sind heute stilisierte Figuren, Popstars“, meint er. „Natürlichkeit und Ehrlichkeit bleiben schon bei jungen Spielern auf der Strecke, die Persönlichkeit wird nicht geschult. Sie denken, es sei cool, wenn sie sich alles leisten können und ihnen auf die Schultern geklopft wird.“

Ins Stadion geht er nur noch sehr selten – „und wenn, dann um die Atmosphäre zu spüren“. Beruflich befindet er sich wieder auf der Suche, nachdem er unter anderem für die Betriebsgesellschaft der Schalker Arena als Veranstaltungsleiter arbeitete („Dem Uefa-Cup-Sieg zum Trotz: Die meiste Freude im Beruflichen hat mir das Robbie-Williams-Doppelkonzert 2003 bereitet“). Für die Fußballanhänger im Ruhrgebiet bleibt er aber Yves, der leidenschaftliche Kämpfer. In Dortmund, ausgerechnet, ist es ihm schon zweimal passiert, dass BVB-Fans ihn nett ansprachen und ihm versicherten, er sei „ein Guter“ gewesen, obwohl er doch für Schalke gespielt habe. „Sie haben mich als Fußballer neutral bewertet“, sagt Yves Eigenrauch. „Das fand ich schön.“