Veröffentlicht inVFL

Bochumer Ehrenpräsident Ottokar Wüst – Ein feiner Mensch

Ottokar Wüst – Ein feiner Mensch

imago07607655m.jpg
Ottokar Wüst, der Ehrenpräsident des VfL Bochum, ist mit 85 gestorben. Er führte den VfL Bochum 1971 in die Bundesliga und hat den Bau des Stadions durchgesetzt. Ein Nachruf.

Bochum. 

Sein Name wird für immer mit dem des VfL Bochum verbunden bleiben, weit über seinen Tod hinaus: Am Samstag verstarb Ottokar Wüst nach langer, schwerer Krankheit. Wüst, der den VfL 1971 in die Bundesliga geführt und dort ununterbrochen bis 1993 gehalten hatte, wurde 85 Jahre alt. Der Klub hat allen Grund ihn zu betrauern.

Von Zeit zu Zeit hat sich Ottokar Wüst telefonisch gemeldet in der WAZ-Redaktion, meistens dann, wenn ihm ein Artikel gefallen hatte. Auch und gerade kritische Beiträge weckten sein Interesse und ließen ihn zum Hörer greifen – nicht um zu meckern, sondern um zu loben. Ein fast einmaliger, ja unerhörter Vorgang im Leben eines Journalisten. Und wenn er sich denn selbst mal nicht ganz gerecht behandelt fühlte von uns, wie nach seinem aus unserer Sicht überflüssigen und etwas peinlichen Auftritt bei der Mitgliederversammlung zum Jahresende, die zum Sturz des Aufsichtsrates führte, dann teilte Wüst das gänzlich unaufgeregt mit, ohne Schaum vor dem Mund, ohne bittere Anklage. Immer verbindlich im Ton, niemals geifernd – Ottokar Wüst war, jenseits seiner unbestrittenen Verdienste in einer längst untergegangenen Zeit: ein feiner Mann und ein feiner Mensch.

Der Autor dieser Zeilen hat nicht die Nähe gesucht zum Ehrenpräsidenten dieses Klubs, weil er sich in der öffentlichen Betrachtung nicht auf eine Seite schlagen wollte, denn die Rollen waren ja nun einmal verteilt. Hier der gute Hirte Wüst, dort der böse Wolf Altegoer, garniert mit allerlei Legenden- und Mythenbildung und obendrauf eine Extraportion Nostalgie – das war dann doch viel zu viel Schwarz-Weiß für jemanden, der weiß, dass die Zeit nicht still steht; auch wenn wir uns das noch so sehr wünschen würden.

Wüst erhob den Fußball eines mittelgroßen Klubs zum gesellschaftlichen Großereignis

Was richtig ist: Unter Ottokar Wüst war der VfL Bochum eine Marke, lange bevor das überhaupt zu einem öffentlich diskutierten Thema und Goldenen Kalb wurde. Während heutzutage Leitbilder entworfen werden müssen und sich Marketing-Experten ihre Köpfe darüber zerbrechen, wo denn nun das ultimative Alleinstellungsmerkmal zu finden sein könnte, waren „die Unabsteigbaren“ geboren, die es meisterlich verstanden scheinbar Unvereinbares vorzuleben: Hier, auf dem Rasen, der geradezu proletarische Geruch von gemeinsamer Maloche bis zum Erbrechen, dort, auf der Bühne, der so schön redende und stets gut und korrekt gekleidete Herr, der den profanen Fußball eines mittelgroßen Klubs zu einem gesellschaftlichen Großereignis erhob. Den sagenumwobenen Winterbällen trauerten, als es Ottokar Wüst in leitender Funktion nicht mehr gab, viele alte Weggefährten des VfL Bochum lange nach. Auf den ersten Blick irrational, wirkt diese Melange in der Rückschau wie eine mysteriöse, gleichwohl wunderbare Allianz, aus sich selbst heraus geschaffen, und wie Werbung, wie sie kein Werbefachmann jemals hätte zustande bringen können.

Wüst: Ein Mann von Konstanz und Beharrlichkeit

Die Macht des Geldes und der Zahlen freilich war letztlich stärker. „Hans, wir müssen Sie verkaufen“, sagte Wüst anno 1974 zu Hans Walitza, der nur einer von vielen Spielern war, deren Transfers das ewig schwarze Loch namens Kasse notdürftig füllten. Ähnlich wie in Essen, wo die Rot-Weißen regelmäßig ihre Mittelstürmer feilbieten mussten, verlor auch der VfL Bochum seine besten Spieler stets an die finanzkräftigere Konkurrenz. Immerhin hielten die Bochumer mit diesem aufgezwungenen Konzept wesentlich länger durch als die Nachbarn im Westen, bei denen es nach glorreichen Nachkriegsjahren drunter und drüber ging.

Ottokar Wüst war sicher kein Kaufmann mit Fortune, aber er war ein Mann von Konstanz und Beharrlichkeit. Den Bau des Stadions hat er durchgesetzt, gegen die ursprüngliche Skepsis des damaligen Oberbürgermeisters Heinz Eikelbeck, der ja auch erst kürzlich zu Grabe getragen wurde. Und von der Castroper Straße als passendem, weil der Historie gerecht werdenden Ort ließ er sich nicht abbringen. Man stelle sich mal vor, man müsse nach Höntrop fahren, um den VfL zu sehen.

„Bochum darf nie sein Niveau und seine faire Haltung verlieren“, hat Ottokar Wüst 1991 gesagt. Das ist ein hoher Anspruch, aber vielleicht am Ende das Einzige, das wirklich wichtig ist in diesem so oft so unwürdigen Geschachere und Gebelle.