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Richard David Precht wird den BVB-Fans nie verzeihen

Richard David Precht wird den BVB-Fans nie verzeihen

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Köln. 

Nach „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ ist auch sein neues Werk „Liebe. Ein unordentliches Gefühl“ wieder ein Bestseller. Das Wort Fußball kommt darin zwar nicht vor. Frank Lamers sprach mit Richard David Precht aber dennoch über den Fußball.

Herr Precht, ich würde Ihnen gerne einen gut abgehangenen Witz erzählen.

Richard David Precht:Fangen Sie mal an.

Sitzen zwei Fans zusammen, sagt der eine: Meine Frau will sich von mir scheiden lassen, wenn ich weiter zum Fußball renne. Sagt der andere: Das ist ja furchtbar. Antwortet der erste: Ja, ich werde sie sehr vermissen.

Precht:Ich glaube tatsächlich, dass die Treue zum Lieblingsverein normalerweise fester verankert ist im Gehirn als die Treue zur Ehefrau.

Könnte das daran liegen, dass die Liebe zum Lieblingsverein sehr früh gestiftet wird, normalerweise?

Precht:In unserer heutigen Kultur hat Liebe eine sinnstiftende Funktion. Das hatte sie in früheren Zeiten nicht, zumindest bei weitem nicht in diesem Ausmaß. Die Liebe ist zum Teil Religionsersatz, und der Fußball ist auch zum Teil Religionsersatz. Und die Liebe zum Fußball hat einen großen Vorteil. Sie hat im Vergleich zum tagtäglichen Umgang mit einem Lebenspartner nicht so viele Reibungsverluste. Der Lieblingsverein mag noch so schlecht spielen, den hat man nicht zu Hause, der riecht nicht schlecht, dessen dreckigen Socken wäscht man nicht.

In der Liebe widersprechen Sie der Biologen-These, dass als Partner der Fitteste gesucht werde. Im Fall Fußball wird ganz sicher selten der Fitteste ausgewählt.

Precht:Ich gehe davon aus, dass Liebesmuster, nicht sexuelle Muster, sehr früh festgelegt werden durch starke Erfahrungen, die wir in der Kindheit machen. Das, was wir als positiv oder als negativ beim anderen Geschlecht erleben, prägt sich ganz stark ein, und davon ist nachher abhängig, in wen wir uns verlieben. Beim Fußball ist das ähnlich. Der normale Fan bleibt seinem Verein ewig treu. Das sind Prägungen, die ja auch häufig kulturell vererbt werden, vom Vater auf die Söhne, gelegentlich auch auf die Töchter.

Der Fußball kann also Bindungen stiften.

Precht:Ich glaube, dass der Fußball unter Bindungsgesichtspunkten tatsächlich sehr wichtig ist, weil er Menschen eine innere Heimat geben kann. Das, was früher den sozialen Kick ausgemacht hat, das funktioniert heute nicht mehr. Die Religion hat gewaltig an Bedeutung verloren, aber auch die Milieus, aus denen man kommt, und erst recht die Weltanschauungen. Die SPD ist keine Arbeiterpartei mehr, die CDU keine christliche. Diese Dinge spielen heute keine große Rolle mehr. Da kann man mit dem Fußball was finden, woran man sein Herz weiterhin hängen kann. Wobei man dafür den Verstand auch zu 99 Prozent ausblenden muss.

Das klingt hart.

Precht:Was ich bis heute zum Beispiel nicht wirklich verstehen kann, ist, wieso man als Fan aus dem Ruhrgebiet einer Mannschaft zujubeln kann, in der kein einziger Spieler aus dem Ruhrgebiet spielt.

Man jubelt dem Verein zu.

Precht:Aber der Verein ist doch ein Abstraktum. Borussia Dortmund zum Beispiel war für mich eine seltsame Angelegenheit. Vor 15, 20 Jahren hat sich dieser Verein zu einem neureichen Schickeria-Klub entwickelt und von den Fans völlig entfernt. Da waren Leute am Werk, die kamen sich vor, als würden sie die Deutsche Bank leiten. Dass da keine Revolution in Dortmund ausgebrochen ist, werde ich den Borussen-Fans nie verzeihen.

In einem Interview haben Sie behauptet: Wenn der Wohlstand wegbricht, wird Geborgenheit wichtiger.

Precht:Noch ist der Wohlstand nicht weggebrochen, aber wir sollten mal nicht davon ausgehen, dass wir immer reicher und reicher werden. Und wenn die Ausrichtung auf das Immer-mehr zwangsläufig zurückgeht, stelle ich mir vor, dass man sich dann auf das besinnt, was man hat. Und das ist das soziale Umfeld, die Frau, der Mann, die Kinder, die Freunde.

Und der Verein, der sichert immer Geborgenheit. Wer Schalker ist, ist Schalker.

Precht:Das ist etwas Wunderbares, dass das funktioniert. Früher war es ja so, dass es Bedeutung hatte, wenn man verkündete, man sei Katholik oder Protestant. Das hat heute nahezu keine Bedeutung mehr.

Erkennen Sie darin nicht auch eine Gefahr der Trivialisierung von weltanschaulichen Vorstellungen?

Precht:Schwierige Frage. Ich glaube, dass das Elend, das durch religiösen Fanatismus in die Welt

gekommen ist, sehr groß war. Durch den Niedergang der Kirchen haben wir deshalb einen Gewinn und einen Verlust. Der Gewinn ist, dass Intoleranz und Fanatismus geringer geworden sind. Das hatte tolle Folgen für das freiheitliche Grundgefühl in unserem Land. Das Negative ist, dass niemand in den Raum vorstößt, den die Kirchen offen zurückgelassen haben. Nämlich für Moral zuständig zu sein in dieser Gesellschaft. Aber ich glaube auch, dass die meisten Stoffe, aus denen wir unsere Identität zusammensetzen, einfach trivial sind. Warum dann nicht Fußball?

Über die Rolle der Frauen im Fußball

Warum ist der Fußball immer größer geworden? Sie haben geschrieben, die Idee der Liebe sei durch Werbung verstärkt worden.

Precht:Das spielt eine Rolle. Und gleichzeitig haben wir eine Gesellschaft der Virtualisierung, in der sich ganz viele Bedürfnisse ins Internet verlagert haben. Und gerade weil vieles in der Lebenswelt vor allem junger Menschen virtuell geworden ist, spielen Events eine große Rolle. Sepp Herberger hat ja gesagt, die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht. Damit ist dem Fußball dieser Eventcharakter implementiert. Ein weiterer Punkt, der hinzukommt, ist, dass Frauen mitmachen. So ist Fußball vor allem auf Nationalelfebene weniger patriotisch geworden. Aus Patriotismus ist Partyotismus geworden.

Was nicht immer positiv gesehen wird.

Precht: Ich habe das WM-Endspiel 1990 in einer Kneipe in Köln erlebt. Ich musste rausgehen. Bei jedem Foul gegen Argentinien wurde gejubelt. Bei der WM 2006 habe ich freudig erlebt, wie international Menschen auftraten. Natürlich fieberte man mit Deutschland, aber man war nicht so aggressiv gegen die anderen Länder. Und ich glaube, dass die Frauen dabei waren, hatte einen wesentlichen Anteil daran.