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Wie Politiker im Netz mit falschen Zitaten verleumdet werden

Wie Politiker im Netz mit falschen Zitaten verleumdet werden

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Foto: dpa
„Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Dieser Satz stammt angeblich von Cem Özdemir und sorgt im Netz für Ärger. Bloß hat er das nie gesagt.

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Das Internet ist seit jeher auch ein Instrument für Propaganda jeder Art. Hier können Agitatoren ohne große Kosten ein großes Publikum erreichen und ihre Ideen verbreiten. Und was ist einfacher, als zu diesem Zweck einem Politiker ein paar unangenehme Worte in den Mund zu legen?

DenkverboteSo kursieren auf rechten Blogs oder in sozialen Netzwerken seit Jahren angebliche Zitate von Politikern, die teilweise aus dem Kontext gerissen wurden, teilweise aber auch frei erfunden sind. Der Grünen-Politikerin Claudia Roth wird etwa folgendes Zitat zugeschrieben: „Am Nationalfeiertag der Deutschen ertrinken die Straßen in einem Meer aus roten Türkenflaggen und ein paar schwarzrotgoldenen Fahnen.“

Grünen-Poltiker Özdemir wird besonders Häufig Opfer

In Wahrheit hat Roth das aber nie gesagt. Das angebliche Zitat ist nur der Ausschnitt aus einem Text der „Welt am Sonntag“. Roth hatte vorgeschlagen, am 3. Oktober neben dem Tag der deutschen Einheit auch den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu feiern. Daraufhin interpretierte der Autor: Ihre Vision: Am Nationalfeiertag der Deutschen ertrinken die Straßen in einem Meer aus roten Türkenflaggen und ein paar schwarzrotgoldenen Fahnen.

Besonders häufig wird allerdings der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir Opfer von Verleumdung. Über ein halbes Dutzend merkwürdige Zitate werden dem 50-Jährigen in der rechten Szene zugeschrieben. Am bekanntesteten dürfte jedoch folgendes sein: „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Dieses Zitat verbreitete sich im Netz mittlerweile so sehr, dass Focus Online es in ein Quiz mit dem Titel „Kritische Zitate: Welcher Politiker hat’s gesagt?“ eingebaut hatte – als richtige Antwort (Update: Focus Online hat die entsprechende Umfrage inzwischen gelöscht, d. Red.)

Angebliche Zitate lassen sich nicht mit Quellen belegen

„Desinformation ist ein klassisches Propaganda-Instrument. Man legt seinem politischen Gegner bewusst falsche Aussagen in den Mund und hofft, dass sie hängen bleiben“, sagt Özdemir. „Jeder, der sich auch nur kurz mit den Idealen der Grünen und meinen Überzeugungen auseinandergesetzt hat, weiß, dass solche Zitate entweder erfunden sind oder absichtlich komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Es gibt auch keine einzige seriöse direkte Quelle dazu.“

Die einzige Quelle, die Özdemirs Aussage belegen soll, ist ein Videointerview mit Susanne Zeller-Hirzel, einem ehemaligen Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, aus dem Jahr 2010. Das Interview führte Rechtspopulist Michael Stürzenberger, der auch als Blogger bei der Anti-islamischen Hetzseite „PI News“ aktiv ist. In dem Interview behauptet Zeller-Hirzel, dass Özdemir ihr gegenüber gesagt habe: „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Davon abgesehen, dass dies keine seriöse Quelle ist, nahm die 2012 verstorbene Zeller-Hirzl in ihren letzten Lebensjahren zunehmend rechtspopulistische Positionen ein und äußerte diese 2002 auch in einem Interview mit der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Sie kann also kaum als neutrale Beobachterin bezeichnet werden.

Auch weitere angebliche Özdemir-Zitate wie „Wir sind hier, um Deutschland und Europa für Allah zu gewinnen“ oder „Was unsere Urväter vor den Toren Wiens nicht geschafft haben, werden wir mit unserem Verstand schaffen“, sind frei erfunden und lassen sich durch keine Quelle belegen. Trotzdem wird Özdemir diese Gerüchte wohl nie stoppen können.

Rechtliches Vorgehen ist „vergebene Liebesmüh“

„Rechtlich kann man natürlich gegen falsche Tatsachenbehauptungen vorgehen, wir machen das auch. Aber bei der großen Anzahl an rechten Blogs oder Facebook-Usern, die so etwas weiterverbreiten, ist das leider oft verlorene Liebesmüh“, so Özdemir. Inzwischen fragen Bürger so häufig nach den angeblichen Äußerungen, dass die Grünen recht ausführliche Stellungnahmen zu den gängigsten Zitaten erarbeitet haben.

Das Grundproblem seien aber nicht die rechten Blogs, glaubt Özdemir: „Das eigentliche Problem sind nicht die paar Idioten, die Lügen erfinden, sondern dass viele Menschen nicht unterscheiden können zwischen seriösen journalistischen Quellen und abstrusen Webseiten, die Verschwörungstheorien oder rechte Hetze verbreiten.“