Veröffentlicht inPolitik

Warum Kraft nicht nach Berlin will

Warum Kraft nicht nach Berlin will

Düsseldorf. 

Auch in Bubenreuth wissen sie jetzt Bescheid: Sie will nicht. Hannelore Kraft hat in dem mittelfränkischen Kaff gerade Wahlkampf gemacht, und es kam wie so oft. Ob sie es „angesichts mieser Umfragewerte“ der SPD nicht längst bereue, dass sie sich nicht als Kanzlerkandidatin beworben hat, wollte die örtliche Zeitung von ihr wissen. „Darüber habe ich nicht eine Sekunde nachgedacht“, hat Kraft geantwortet. Vermutlich hat sie den Fragesteller dabei verständnislos angesehen.

Bubenreuth ist überall. Die Frage, ob sie „nach Berlin“ geht, verfolgt die NRW-Regierungschefin, wo sie auftritt. Nun wird sie für den SPD-Parteivorsitz gehandelt, der mehr als ein erster Schritt wäre zur Kanzlerkandidatur 2017. Was unterschwellig geredet wird, könnte Kraft schon am Wahlabend des 22. September in Bedrängnis bringen, falls die SPD unter Sigmar Gabriel ein ähnlich vernichtendes Ergebnis einfährt wie das 23-Prozent-Desaster von 2009. Nur ein Szenario. Bisher.

Krafts Düsseldorfer Umfeld ist vorsorglich dabei, eine „Brandmauer“ um die Chefin zu ziehen. Denn sie will nicht. Alle sagen es. Sie lässt es alle sagen. „Frau Nö“ hat die „Zeit“ sie genannt. „Sie bleibt hier“, stellt Norbert Römer fest, als verkünde er einen einstimmigen Parteitagsbeschluss, „weil wir sie als Ministerpräsidentin in NRW brauchen.“ Das ist nicht irgendeine Worthülse. Römer ist Chef der SPD-Landtagsfraktion, zählt zu ihren engsten Vertrauten.

Fragt man Kraft, so verweist sie auf ihr Projekt der vorsorgenden Politik. Es ist ihre Regierungsbotschaft. Der Plan ist nicht unumstritten, sie muss beweisen, dass er funktioniert. Die Euro-Milliarden, die Rot-Grün heute schuldenfinanziert in Kinder und Bildung investiert, sollen sich morgen auszahlen. Das lasse sich nur hier in NRW umsetzen, beteuert sie, mit den Kommunen. Bisher steht die „Präventionsrendite“ nur auf dem Papier.

Es gibt weitere Gründe für ihr Sträuben. Kraft hat miterlebt, wie Länder-Kollegen zum SPD-Vorsitz gedrängt wurden – und scheiterten: Kurt Beck, Matthias Platzeck. 2008 war sie dabei, als Beck von den eigenen Genossen politisch gemeuchelt wurde. Es hat sie geprägt.

Kraft hat Politik einmal mit einem „Haifischbecken“ verglichen. Im Berliner Gewässer lauern besonders viele Haie. Als Gabriels Vize und Koordinatorin der SPD-geführten Länder im Bundesrat hat sie ihren Einfluss in der Hauptstadt gemehrt. Doch der Machtzuwachs hat ihr Misstrauen nicht beseitigt. „Wenn sie dienstags ins Kabinett kommt“, erzählt ein SPD-Minister, „hat sie manchmal noch schlechte Laune von den Berliner Gremiensitzungen am Vortag.“

Römer spricht Kraft wohl aus der Seele, wenn er sagt: „Ich fahre gern nach Berlin, aber ich fahre auch gern wieder zurück.“ Die mächtigste Frau der SPD lebt in Mülheim-Dümpten und hält die Hauptstadt mit ihrem Polit-Betrieb nicht für den Nabel der Welt, sondern für einen Ort unter der Käseglocke. „Mein Platz ist in NRW“, wird sie nicht müde zu betonen. Daraus spricht nicht zuletzt ihre Sorge, bei einem Dauereinsatz an der Spree abzuheben und den Bezug zur Realität verlieren zu können.

Für die 52-Jährige, die ihr privates Leben bei aller Popularität abzusichern versucht, käme das einer Kernschmelze gleich. „Normal“ zu sein ist ein wichtiger Teil ihrer politischen Identität. Kraft pflegt ihren Freundeskreis, den es lange vor der Politik gab, verabredet sich im Sommer zur Sportfreizeit im Sauerland. Ihre Mutter wohnt in ihrem Reihenhaus. Als Kraft und ihr Mann Udo vor einem Jahr in Namibia heirateten, waren nur Familie und Freunde eingeladen. Politiker nicht.

Die Bundestagswahl kann das rot-grüne Gefüge in NRW verändern. Wenn im Bund eine Große Koalition oder Schwarz-Grün die Geschäfte übernimmt, verschiebt sich auch das Machtgefüge zwischen Berlin und Düsseldorf. Kraft wäre stärker gefordert, den Laden zusammenzuhalten. „CDU-Chef Laschet würde vom ersten Tag an sagen, dass NRW nur von einer Teilzeit-Ministerpräsidentin regiert wird“, warnt einer. Auch deshalb will Kraft nicht. Ihr Terminplan für den 23. September, den Tag nach der Wahl, steht: morgens SPD-Gremien in Berlin, nachmittags Landesvorstand in Düsseldorf. Tags darauf rot-grüne Koalitionsrunde und Kabinett. Sitzungsroutine, wie es aussieht. Was aber, wenn ihre Partei ihr klarmacht, dass sie wollen muss?