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Schauspielhaus Bochum ludt zum Singen üben fürs Fest

Das Schauspielhaus bittet zum Probesingen fürs Fest

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Schauspielhaus Bochum gibt Nachhilfe beim Weihnachtsliedersingen in Bochum Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool
Misstöne im Engelschor, Ende der weihnachtlichen Harmonie! Auf dass künftig keine Stimme die Stimmung mehr kippt, eilte das Schauspielhaus Bochum zu Hilfe: mit einem „Weihnachtsliederauffrischungsseminar“.

Bochum. 

„Last Christmas“ ist es wieder passiert: „Alle Jahre wieder“ singt Tante Trude falsch, Onkel Otto vergisst den Text, und spätestens am Ende der ersten Strophe steigen die Letzten aus. Misstöne im Engelschor, Ende der weihnachtlichen Harmonie! Auf dass künftig keine Stimme die Stimmung mehr kippt, eilte das Schauspielhaus Bochum am Samstag zu Hilfe: mit einem „Weihnachtsliederauffrischungsseminar“.

Aber ach, am Anfang ist es Frontalunterricht: in den Rängen der Kammerspiele die Singklasse, mehr Frauen als in jedem Chor (Männergesangvereine ausgenommen), eine Oma mit Enkeln, ein Mädchen im Weihnachtskleid, ein Junge mit Skateboard. Angeblich alles Leute, die sonst nur unter der Dusche singen, nun aber umsteigen wollen auf „unterm Weihnachtsbaum“. Der steht auf der Bühne im Schnee, assistiert von einer „wüsten Mischung“ williger Mitglieder des Ensembles, so Dramaturg Olaf Kröck, der heute Dirigent ist und munter motiviert: „Stehen Sie zu Ihrem Defizit!“ Zusammen sind sie mehr als 200, zuviel für das Foyer. Im Vorjahr gab es dort Glühwein, aber den vertragen die Theatersessel nicht.

„Karaoke für Überforderte“

Mit einem tief empfundenen „Gott sei Dank“ hat eine Frau nach den Arbeitsblättern gegriffen, „ich dachte schon, ich muss ohne Text da rein“. Seite 4, „Tochter Zion“, findet eine Grauhaarige „geil“ und trinkt einen Sekt darauf. Hosianna! Ein Herr in mittleren Jahren bläst zum Angriff. „Ich will jetzt singen!“ Zunächst mit Vollplayback: „Karaoke für Überforderte“, sagt Kröck und muss den Chor bei „White Christmas“ bremsen. Hat man je gehört, wie sich Bing Crosby hinter dem Takt herschleppt?

Die ersten Lieder erledigen die Teilnehmer mit den Nasen tief in den Texten, dann schreckt ein Moment allgemeiner Erschütterung sie auf: Auf dem Notenblatt steht ein falscher Ton! Nur, wer kann das schon lesen: Man singt die Töne, „wie sie sich bewegen“, es wird ein Kanon, der von Frieden handelt. Doch werden Familien dafür brutal getrennt, sie müssen verschiedene Stimmen singen – „sonst können sie das doch Weihnachten nicht“! Inzwischen steht der Saal, das Team ist zur Rampe vorgerückt, von der Hauptbühne ist Roland Riebeling herbeigeeilt, „von drauß’ vom Walde“, behauptet er, dabei gibt er drüben gerade Heinrich VI.

„Allein für die Gesichter lohnt sich das“

Von der Stimmbildnerin haben sie zu Beginn gelernt, wie man hohe Töne kriegt: schielen oder an den Ohren ziehen, hat sie empfohlen, das sähe nun lustig aus daheim unterm Baum. „So hoch bin ich schon Jahre nicht mehr gekommen“, jubelt eine Frau, ein junger Mann plant seinen Heiligabend-Einsatz: „Ich mach dann mal die dritte Stimme“, wird er sagen, „allein für die Gesichter lohnt sich das schon.“ Allerdings nicht bei John Lennons „War is over“. „Das“, ahnt eine ältere Dame, „wird die Oma nicht singen wollen.“

Überhaupt fällt auf: je englischer der Song, desto lautstärker der Chor. Und: Hier singen gar nicht die, die Singen nicht können. „Super-Pipifax“ nennt Dramaturg-Dirigent Kröck die zweite Stimme von „Oh du fröhliche“ übermütig. Denn flugs haben seine Schüler sogar vierstimmige Sätze drauf. Und lachen dabei: „Singen macht glücklich“, glaubt Ursula, kann man sehen, sagt Monika: „Wenn man den Leuten in die Augen schaut.“ Tatsächlich: „Frohlocket und jauchzet mit fröhlichem Singen, (…), mit mächtigem Klingen.“ So war das in Bochum, wie in dem alten Weihnachtslied, zu dem das „Seminar“ stampft und schunkelt.

Schnee aus der Requisite

Und so kommt es, dass zu vorgerückter Stunde, es geht auf halb elf, die Schauspieler am Bühnenrand mit den Beinen baumeln und in den Rängen 200 Sänger stehend mit den Armen wedeln, die Noten hoch über dem Kopf. Man singt „Last Christmas“, oder soll man das schon Grölen nennen? Jedenfalls war noch kein Lied so laut; aus der Requisite schneit’s, und aus dem Mund des Dramaturgen klingt es heiser, aber hörbar erleichtert: „Weihnachten kann kommen.“