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Berliner Integrations-Nothilfe fließt an NRW-Städten vorbei

Berliner Integrations-Nothilfe fließt an NRW-Städten vorbei

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Stadtkuliise im Abendrot Foto: Knut Vahlensieck, WAZ Foto-Pool
Nur Duisburg bekommt Geld vom Bund, um die Integration von Armutseinwanderern besser zu bewältigen. Dortmund, Gelsenkirchen und Herne dagegen gehen leer aus. Der Grund ist eine umstrittene Berechnungsgrundlage im Haus von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Berlin/Dortmund. 

Über die „Soforthilfe“ für Kommunen, die besonders von der Armutszuwanderung betroffen sind, ist ein Streit entbrannt. Es geht um 25 Millionen Euro. Für dieses Geld hat der Bund einen Verteilungsschlüssel für 15 deutsche Städte vorgelegt. Aber ausgerechnet Revierstädte wie Herne, Gelsenkirchen und Dortmund, , die besonders viele arme Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien haben, fallen bei diesem Verteilungssystem durchs Raster. Entsprechend groß ist das Entsetzen in den Rathäusern dort.

Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner ist „äußerst unzufrieden“. Es komme zu einer „Ungleichverteilung zuungunsten von Städten, die das Geld am dringendsten benötigten. Die Herner Bildungsdezernentin Gudrun Thierhoff findet dieses Verteil-System der Soforthilfe „bitter und außerordentlich unglücklich“.

NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD) machte am Freitag auf Anfrage der WAZ klar, dass er sich damit nicht abfinden will. Er sei in ernsthafen Gesprächen mit der Bundesregierung, „um einen Schlüssel auf den Weg zu bringen, der auch den Interessen von Nordrhein-Westfalen entspricht“. Auf der 15er Liste stehen aus NRW nur Köln, Duisburg und Hamm. Auf sie entfallen schätzungsweise 5,7 Millionen Euro.

Nur 15 Städte stehen auf der Liste

Es ist ein zäher Verteilungskonflikt im Bundesrat unter großem Zeitdruck. Die Soforthilfe kann nur dieses Jahr abfließen. Wenn bis Ende November keine Einigung gelingt, ist das Geld weg. Der Bund hilft den Kommunen bei den Kosten der Unterkunft, und darauf legt Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) 25 Millionen Euro für jene Städte obenauf, die den stärksten Zuwachs von Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien zwischen 2012 und 2013 in die Sozialsysteme haben.

Um auf relevante Beträge zu kommen, will Nahles die Millionen auf 15 Städte begrenzen. Dazu wurden die Daten der Jobcenter abgefragt. Die Liste wird von Frankfurt am Main (mit einem Zuwachs von 489 Prozent) angeführt, dicht gefolgt von Berlin-Neukölln, Köln-Stadt, Berlin-Mitte, Duisburg-Stadt, Bremerhaven, Mannheim, Bremen, Ludwigshafen, München, Hamm, Offenbach, Hamburg, Region Hannover und Groß-Gerau. Dortmund landete auf Platz 26, Gelsenkirchen taucht unter den Top-30 gar nicht erst auf. Beide Städte hatten über die Belastung durch Zuwanderung geklagt.

Hessen soll fast so viel Geld bekommen wie NRW 

Es klingt wie ein schlechter Schwerz: Da möchte die Bundesregierung „Soforthilfe“ für Städte ausschütten, die viele Armutszuwanderer aus Südosteuropa haben, und ausgerechnet Dortmund taucht nicht auf der Liste der Hilfebedürftigen auf. Eine Stadt also, in der Ende August rund 6800 Bürger aus Rumänien und Bulgarien gemeldet waren. Gelsenkirchen und Herne bleiben ebenfalls außen vor.

Gut weg kommen die Stadtstaaten und Hessen. Allein Hessen würden 4,6 Millionen von den 25 Millionen Euro Soforthilfe zustehen. NRW, das Land, das am lautesten in Berlin um Hilfe gerufen hat, bekommt den Plänen nach nur rund 5,7 Millionen Euro. Auch Bayern und Baden-Württemberg sind dem Vernehmen nach unzufrieden – und damit potenzielle Verbündete für NRW im Bundesrat.

Sie alle glauben: Der Fehler liegt im Verteilsystem. Berücksichtigt wird nämlich der Zuwachs zwischen 2012 und 2013 von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien, für die die Kommunen Sozialleistungen wie die „Kosten der Unterkunft“ zahlen. Städte wie Dortmund, die einen hohen Bestand an Zuwanderern mit Hartz IV-Bezug, aber nur geringe Zuwachs-Zahlen haben, fallen im Vergleich zurück. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus 2013 sind die meisten Zuwanderer aus Südosteuropa im erwerbsfähigen Alter. berufstätig und leben nicht von Sozialleistungen. Das ist auch im Ruhrgebiet so.

NRW droht ein Verteilungs-Konflikt 

Das Geld aus der „Soforthilfe“ fließt vom Bund an die Länder. Nur sie dürfen es formal an die Kommunen verteilen. Wenn es NRW nicht gelingt, mehr Bundeshilfe auszuhandeln, könnte NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD) trotzdem Dortmund oder Gelsenkirchen aus dem 5,7-Millionen-Euro-Topf Geld geben. Dann aber droht im Land der gleiche Verteilungskonflikt – diesmal zwischen den Kommunen. Was Dortmund oder Gelsenkirchen bekämen, würde Köln, Hamm oder Duisburg fehlen, obwohl sie nach der Bundesliste die Begünstigten sind.

In den Rathäusern in Dortmund, Gelsenkirchen und Herne hält man diese Verteilung von „Soforthilfe“ für ungerecht. Aus Gelsenkirchen hieß es: „Für uns ist die Messe noch nicht gelesen.“

Herne hat schon S.O.S. gefunkt

Gudrun Thierhoff, Bildungsdezernentin in Herne, sagte: „Man sollte bei der Verteilung der Soforthilfe genau analysieren, welche Zuwanderer aus Südosteuropa in ein Land und in eine Stadt kommen. Viele Städte in Süddeutschland verzeichnen große Zuzüge von Fachkräften, zum Beispiel für Pflege. Wir im Ruhrgebiet haben es oft mit Menschen zu tun, die aus sehr prekären Verhältnissen kommen. Die Städte hier sind arm. Unsere Meinung wird aber kaum gehört.“

Erst vor wenigen Tagen hatte die Herner Verwaltung „S.O.S.“ gefunkt und die örtliche Politik um 440 000 Euro zusätzliche Haushaltsmittel gebeten, um auf die Zuwanderung reagieren zu können.

„Der Verteil-Schlüssel bildet die Problemlage nicht ab. Wir sind äußerst unzufrieden“, sagte die Dortmunder Sozialdezernentin Birgit Zoerner dieser Zeitung. „Wir Vertreter der Städte werden dem Bund Indikatoren vorschlagen, die die Problemlage besser wiedergeben.“ Es sei zwar schon ein Erfolg, dass der Bund überhaupt den Betroffenen eine pauschale Entlastung zahlen will. „Aber einmal 25 Millionen Euro für alle, das deckt nicht annähernd die Kosten“, so Birgit Zoerner.

Das Gesetz zur „Soforthilfe“ ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die Länder können den Schlüssel, den der Bund vorschlägt, noch ändern.