Veröffentlicht inPolitik

Industrieller Berthold Beitz war der andere Oskar Schindler

Industrieller Berthold Beitz war der andere Oskar Schindler

1426015126615146.jpg
Berthold Beitz und Jurek Rotenberg Foto: Felix Heyder
Berthold Beitz war ein Industrieller und Patriarch, aber auch ein „Gerechter unter den Völkern“. Die Holocaust-Gedächtnisstätte Yad Vashem in Jerusalem ehrte ihn 1973, weil er im 2. Weltkrieg Hunderte jüdische Zwangsarbeiter vor dem sicheren Tod gerettet hat. Er riskierte dabei auch sein Leben.

Essen. 

Es ist eine Geschichte über Mut und Untadeligkeit in einer Zeit, in der die meisten einfach wegschauten und viel zu viele zu Tätern wurden: Berthold Beitz hat Hunderte jüdische Zwangsarbeiter vor dem sicheren Tod in den NS-Vernichtungslagern gerettet und dabei mehr als einmal sein Leben riskiert – ein seltener Lichtblick im dunkelsten aller deutschen Kapitel.

Wer sich anschickt, diese ­Geschichte zu erzählen, verspürt dennoch ein leichtes Zögern, ­obwohl die Faktenlage so klar ist wie die moralische Tragweite außer Frage steht. Es ist ein Zögern aus Respekt. Denn Berthold Beitz, dem Rückblicke auf sein Leben stets ­lästig waren, hat nie ein Aufheben um seinen Einsatz für die Juden in Galizien gemacht.

Lange war nur wenigen Ein­geweihten bekannt, was zwischen 1941 und 1943 in Boryslaw geschah, jenem ostpolnischen Erdölgebiet, das heute zur Ukraine gehört und damals dem berüchtigten Generalgouvernement einverleibt war, einer Region außerhalb des Reichsgebietes, in dem der nationalsozialistische Rassenwahn noch hemmungsloser wütete als anderswo.

„Ich habe einfach als Mensch gehandelt“

Die Deutschen hatten das Gebiet nach dem Überfall auf die Sowjetunion besetzt, um mit dem dort geförderten Öl ihre Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten. Der Nazi-Kriegswirtschaft galt Beitz, der ­junge Verwaltungsfachmann aus der Hamburger Mineralölbranche, als unabkömmlich.

Er muss nicht an die Front. Stattdessen schickt man ihn in die Kleinstadt Boryslaw ins Kerngebiet der Ölfelder. Beitz soll hier die Förderung organisieren. Als Verwaltungsdirektor ist der nicht einmal 30-Jährige verantwortlich für 13.000 Arbeiter.

Beitz erkennt schnell, was die Nazi-Schergen in diesem traditionellen jüdischen Siedlungsgebiet anrichten. Er wird Zeuge unvorstellbarer Szenen: Massaker, Menschenjagd, Erschießungen. Und er beschließt, den ­Opfern zu helfen, wo er nur kann. Warum er das tat, schildert er später so: „Ich war kein Held, ich habe einfach als Mensch gehandelt.“

Davon erfahren hat die Öffentlichkeit erstmals Mitte der 1960er-Jahre. Beitz trat damals in Bremen als Zeuge in einem Prozess gegen einen ehemaligen SS-Lagerkommandanten auf und mit ihm einige der überlebenden Juden – Menschen, die Beitz entweder selbst ­gerettet hatte oder die miterlebten, wie er andere vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrte.

Berthold und Else Beitz als „Gerechte unter den Völkern“

1973 dann die große Ehre: Die Holocaust-Gedächtnisstätte Yad Vashem in Jerusalem ernennt Berthold Beitz (und 2006 auch seine Frau Else) zum „Gerechten unter den Völkern“, die höchste Auszeichnung für Nicht-Juden, die während der Nazi-Diktatur persönliche Risiken auf sich nahmen, um Juden vor der Deportation in Arbeits- und Vernichtungslager zu schützen.

Ein filmisches Denkmal wie „Schindlers Liste“, das die Juden­rettung durch den deutschen Fabrikanten Oskar Schindler gleichsam ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation einbrannte, wurde Berthold Beitz bisher nicht gesetzt. Der „Judenretter“ Beitz stand immer im Schatten des Krupp-Mannes Beitz.

Glück rettete Beitz selbst das Leben

Dabei sind es die Bilder aus Steven Spielbergs oscarprämierten Holocaust-Film, die sich sofort einstellen, wenn man den Erzählungen und Berichten folgt, die die Israelis recherchieren ließen: Güterwaggons, in die Menschen gepfercht sind wie Vieh, bereit für den Abtransport in die Vernichtungslager; Bahnsteige mit brüllenden SS-Leuten; eine Lagerhalle als Vorhof zur Hölle.

Dazwischen ein hochgewachsener Mann, gut gekleidet in Zivil, der bereits verplombte Waggontüren aufreißt, sich mit den brutalen Nazi-Schergen streitet und die Rückgabe „seiner“ Arbeiter verlangt, die er kurzerhand als kriegswichtige Erdölfachleute einstuft, obwohl sie Friseure waren oder Gärtner. Hunderte hat Berthold Beitz auf diese Weise gerettet, auch Menschen, die er nicht mal kannte.

Einmal hatte Beitz selber Glück: Sein Schicksal schien besiegelt, als er denunziert wurde. Doch der Gestapo-Mann, der ihn verhören sollte, entpuppte sich als Jugendfreund aus Greifswald. Der ließ ihn drei Tage in einer Arrestzelle schmoren und schickte ihn wieder nach Hause.