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Der Thüringer Neonazi André K. belastet Beate Zschäpe

Der Thüringer Neonazi André K. belastet Beate Zschäpe

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NSU-PROZESS 58. VERHANDLUNGSTAG Foto: Sascha Fromm
Der Thüringer Neonazi André K. hat die Hauptangeklagte Beate Zschäpe mit vagen Aussagen leicht belastet. Der 38-Jährige, der mit den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern gemeinsam in der „Jenaer Kameradschaft“ aktiv war, sagte unter anderem, Zschäpe sei immer dabei gewesen und habe „ganz normal“ mitgemacht.

München. 

Fast alle, die auf der Anklagebank sitzen, waren seine Freunde; auch die beiden, die immer im Gerichtssaal präsent sind, obwohl sie vor zwei Jahren in einem Wohnwagen in Eisenach starben. André K. feierte, grillte, zeltete mit Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S. und Holger G. – und mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Er fuhr mit ihnen zu Skinhead-Konzerten und NPD-Demonstrationen, verteilte ausländerfeindliche Flugblätter und prügelte sich mit Polizei und Linksautonomen.

Sie alle waren damals, in den 1990er Jahren, gemeinsam in der „Jenaer Kameradschaft“ oder im „Nationalen Widerstand Jena“, also jenen Organisationen, die als Vorläufer des NSU, des „Nationalsozialistischen Untergrund“ gelten, um dessen mutmaßliche Verbrechen es seit Mai vor dem Oberlandesgericht in München geht.

Als Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos im Januar 1998 aus Jena flüchteten, war es neben Wohlleben insbesondere dessen engster Freund K., der die Hilfe für die Untergetauchten organisierte. Dies hatte er schon Ende 2011 dem Bundeskriminalamt erzählt, nachdem er sich freiwillig dort gemeldet hatte. Die Generalbundesanwaltschaft leitete dennoch später gegen ihn Ermittlungen ein.

K. darf mit Milde rechnen

Am Donnerstagmorgen ist André K., 38, als einziger Zeuge des 59. Verhandlungstages geladen. Der stämmige Mann, der sich als selbstständiger Bauunternehmer bezeichnet und als Wohnsitz eine Kleinstadt bei Weimar angibt, hat sich in Jeans, rosa Hemd und blauen Westover gekleidet und das dünne Haupthaar säuberlich gekämmt.

Er ist mit einem Anwalt gekommen, einem ebenso stämmigen Mann mit Glatze, Stiernacken und großer, goldgerahmter Brille. Es handelt sich um Dirk Waldschmidt, einen vormaligen NPD-Funktionär, der schon viele Neonazis vor Gericht vertreten hat. Der Jurist, sagt K., solle darauf achten, dass er sich nicht bei seiner Zeugenaussage selbst belaste.

Eigentlich steht K., der offenkundig noch in der Szene aktiv ist, als Beschuldigtem sogar ein volles Auskunftsverweigerungsrecht zu. Doch er nutzt dieses Recht nicht, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren gegen ihn als „einstellungsreif“ bezeichnet hat. Bestätigt K. hier in München die Aussagen aus den Verhören, so darf er wohl mit mehr Milde rechnen.

Und so redet K., schnell, nuschelnd, und immer wieder von nervösem Lachen unterbrochen. Und er erzählt, wie er seine späteren Freunde kennen lernte und wie die „politischen Aktivitäten“ aus „nationaler Sicht“ begannen. „Es ging um die Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen“, sagt der Zeuge. Man habe dagegen gestritten, „dass man alles Nationale verteufelt hat, dass eine Politik gegen des Volk lief.“

Opfer von Polizei und Linksradikalen

Auch Zschäpe, antwortet K. auf Nachfrage, habe „ganz normal“ mitgemacht. „Sie war immer dabei“, wenn man mal wieder zu rechtsextremistischen Demonstrationen fuhr oder Flugblätter verteilte. „Es gab Schnittmengen, sonst wäre sie ja nicht mitgekommen. Sie hatte schon ihre Meinungen und konnte sie in einer gewissen Art kund tun.“ Aber, das sagt K. auch: „Ich kann nicht behaupten, dass sie ein maßgeblicher Faktor war.“

Der Zeuge bleibt an dieser Stelle auch nach Ermahnungen des Vorsitzenden Richter Manfred Götzl vage. Er könne sich, sagt er mehrfach, nach den vielen Jahren einfach nicht mehr konkret erinnern, auch nicht daran, was man genau politisch vertrat. „Die Grundstimmung war schon gegen Ausländer, aber Genaues kann ich nicht sagen.“

Als André K. nach dem Thema Gewalt gefragt wird, schildert er sich und seine Freunde ausschließlich als Opfer von Polizei und Linksradikalen. Man sei „Angriffen“ aus der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte ausgesetzt gewesen, Beamte hätten sie des Öfteren geschlagen und misshandelt.

Faible für Waffengeschichten als „jugendliche Spinnerei“ abgetan

Die eigenen Freunde schildert K. als durchweg harmlos. Uwe Mundlos etwa sei „sehr angenehm“ gewesen, „ein freundlicher, lustiger Mensch, nicht groß aggressiv, sehr intelligent, relativ charakterstark.“ Auch Beate erinnert er als „sehr nett“ und „angenehm“. Selbst Böhnhardt war laut dem Zeugen jemand, mit dem man „gut lachen konnte“. Ja, richtig, „er hatte ein Faible für Waffengeschichten, das kann man nicht leugnen“, besaß Schreckschusspistolen, eine Armbrust. Aber er, K., habe das als „jugendliche Spinnerei“ abgetan – genauso wie später die Bombenattrappen in Jena von Böhnhardt und Mundlos in Zschäpes Garage.

Deshalb, sagt K., habe er das mit der Flucht der Drei, nachdem ihre „angebliche Bombenwerkstatt“ im Januar 1998 aufgeflogen war, „nicht so eng gesehen“ und als „Kasperei abgetan“. Den Kontakt, den er hielt, die Hilfe, die er organisierte, dies alles sei aus dieser damaligen Sicht zu erklären. „Ich habe denen nicht zugetraut, scharfe Bomben zu bauen, ich habe das nicht für voll genommen“. „Das Bild, was ich von ihnen hab, ist nicht das, was sich jetzt von ihnen aufzeigt.“

Wie genau die Gespräche in den Telefonzellen mit den Flüchtigen zu Stande kamen, was mit wem beredet wurde, daran will sich K. nicht mehr erinnern können. Er räumt nur ein, was bereits öffentlich bekannt ist, zum Beispiel, dass ihm der Nazi-Funktionär – und Verfassungsschutzspitzel – Tino Brandt Geld und Informationen gab, um drei falsche Pässe zu besorgen und ihn zum damaligen NPD-Bundesvize Frank Schwerdt schickte, um dessen Auslandskontakte zu nutzen. Auch gibt er zu, dass er nach Südafrika flog, um sich dort bei bekannten Rechtsextremisten nach einem Unterschlupf zu erkundigen.

André K. muss noch einmal vor Gericht erscheinen

Auch hier bleibt K. allerdings im Ungefähren, selbst auf intensives Nachfragen von Götzl. So kann sich der Zeuge angeblich nicht mehr daran erinnern, was tags zuvor die Mutter von Uwe Böhnhardt berichtet hatte, nämlich dass sie André K. Geld für die Drei übergeben hatte.

Vor allem zu Wohlleben, der zwei Jahrzehnte sein enger Freund war, fällt ihm nur noch sehr wenig ein. Natürlich sei der Angeklagte in die Hilfsaktionen für die Flüchtigen „eingebunden“ gewesen, aber wie, daran habe er kaum noch Erinnerungen mehr. „Ich meine, dass ich über Ralf Passbilder (für die Pässe – Red.) bekommen habe von den Dreien“, ist noch der konkreteste Satz, den der Vorsitzende Richter aus K. heraus bekommen kann. Es könne auch „durchaus sein“, dass er Wohlleben Geld für das Trio gegeben habe.

Nach fünf Stunden Vernehmung, die von mehreren Pausen unterbrochen wurde, vertagt Götzl am späten Donnerstagnachmittag die Verhandlung. André K. muss noch einmal vor Gericht erscheinen. Der geplante Termin ist der Freitag vor dem vierten Advent.