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Geist statt Krawall – wie di Lorenzo „3 nach 9“ prägt

Geist statt Krawall – wie di Lorenzo „3 nach 9“ prägt

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Foto: Radio Bremen
Talkshows kamen und gingen. „3 nach 9“ ist geblieben. Inzwischen ist der Talk von Radio Bremen der älteste seiner Art. Der Charakter der Plauderrunde hat sich gewandelt. Statt Krawall gibt’s heute Geist und Witz. Dafür steht der Moderator: Giovanni di Lorenzo.

Essen. 

Er ist nicht der Jubilar, aber vielleicht könnten sie ohne ihn gar nicht feiern heute Abend in Bremen. Seit 40 Jahren gibt es „3 nach 9“, die mittlerweile älteste Talk-Show im deutschen Fernsehen, und mehr als die Hälfte dieser Zeit ist Giovanni di Lorenzo das Gesicht dieser Sendung, die Konstante am Mikrofon. Eine lange Zeit, aber er sei, versichert der 55-Jährige, noch immer „mit Leidenschaft und Begeisterung dabei“.

Als er sein Debüt feiert im Mai 1989, da steht die Mauer noch und Franz Beckenbauer trainiert die Fußball-Nationalmannschaft. Di Lorenzo ist gerade 30 geworden, trägt die Haare lang und die Kleidung leger. Ein junger Journalist mit deutsch-italienischen Wurzeln, der im Jugendmagazin des Bayerischen Rundfunks „Live aus dem Alabama“ aufgefallen war und nun zum Talker befördert wird – obwohl er bis heute hin und wieder zum Nuscheln neigt.

Di Lorenzo lässt alles leicht und unbeschwert aussehen

Doch das stört nicht weiter. Nicht nur, weil der Mann Schlag bei Frauen hat mit seinem charmanten Lächeln, das manch unangenehmer Frage, die er stellt, die Schärfe nimmt. Di Lorenzo hat – ebenfalls bis heute – was die Italiener Spezzatura nennen, diese angeborene Fähigkeit, alles leicht und unbeschwert aussehen lassen. Und er mischt sie mit preußischer Disziplin, die sich unter anderem darin zeigt, dass er bisher noch keine Sendung verpasst hat.

Über 2000 Gäste hat er darin empfangen und mit ihnen gesprochen. Witzig, aber souverän, geduldig, aber beharrlich, taktvoll, aber auch frech – und immer ruhig, auch wenn der Gast mal lauter wird. Auf diese Weise erreicht er immer wieder die Momente, die er so liebt und die er so beschreibt: „Wenn etwas passiert, was den Moderator, die Gäste und die Fernsehzuschauer überrascht.“

Anfangs war der Ton schnoddrig

So hat der den freitäglichen Talk aus den Flegeljahren geführt. Denn in den Anfangsjahren gilt „3 nach 9“ als pure Provokation. Der Ton ist schnoddrig, die Fragen sind respektlos. „Das Ganze war ziemliches Chaos. Man konnte einfach tun, was man wollte“, hat sich Marianne Koch, Moderatorin der ersten Stunde, neulich erinnert. So gibt es Moderatoren, die nackt auftreten, und Gäste, die von anderen Gästen mit Getränken überschüttet werden. Den Grimme-Preis gibt es schon 1976, später aber auch die „Saure Gurke“ für die frauenfeindlichste Sendung des Jahres.

Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU) wird gefragt, ob sein Schäferhund tatsächlich belle, wenn er die Namen von SPD-Politikern höre, Wolfgang Menge lässt sich von Beate Uhse einen Dildo erklären, und Ex-Kommunarde Fritz Teufel sorgt für Aufregung, als er eine Wasserpistole zückt und mit Zaubertinte auf den Bundesminister Hans Matthöfer schießt. Eine Geschichte, die Giovanni di Lorenzo nicht mehr hören kann, denn so sehr er die Kollegen vor ihm auch respektiere: „Wo lag da die Moderatorenleistung? Das war Zeitgeist.“

Rückblick mit Kerner

Der ist mittlerweile ein anderer. „Gäste, die reinkommen und sagen, es ist mir völlig egal, ob ich die Leute vor den Kopf stoße oder für mich gewinne, sind seltener geworden.“, weiß di Lorenzo, der seit 25 Jahren einer der Gastgeber ist. Es wird kaum noch Alkohol getrunken und erst recht nicht geraucht. „Früher hast du die Gäste vor lauter Zigarettenqualm kaum noch erkannt.“

Am Freitagabend um 22 Uhr bei Radio Bremen/NDR blicken Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers, die seit vier Jahren dabei ist, zurück. Zusammen mit Gästen wie Kurt Krömer, Johannes B. Kerner, Jan Delay und Harald Glöckler. Aber di Lorenzo, zugleich Chefredakteur der „Zeit“, schaut auch nach vorn. Er denke nicht ans Aufhören, sagt er und erklärt, warum: Das Schöne an einer Talkshow wie „3 nach 9“ sei, „dass man die Chance hat, neue Leute kennen zu lernen, die einen manchmal auch mir ganz unerwarteten Dingen konfrontieren“.