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Essener Familie gerät auf Norderney in Seenot

Essener Familie gerät auf Norderney in Seenot

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Ein Spaziergang auf der Nordseeinsel Norderney wurde für eine Essener Familie fast zum Verhängnis. Die Kinder und der Vater mussten ausgeflogen werden. Die Mutter schwamm mit den Hunden an Land. Sie hatten die Gefahr unterschätzt.

Essen. 

„Mir geht es gut“, sagt Kirstin Weißmüller etwas atemlos am Tag eins nach ihrer spektakulären Rettung. „Die Hunde wollen kein Wasser mehr sehen.“ Nur kurz traut sich die 38-jährige Essenerin am Freitag an den noch immer tosenden Nordsee-Rand. Heim, heißt die Devise an diesem Tag, heim in die Ferienwohnung auf Norderney, um in Ruhe „zu reflektieren, was da genau passiert ist, oder noch schlimmer: was hätte passieren können“ am Tag zuvor.

Rückblende: Eigentlich soll es nur ein kleines Abenteuer werden, als sich Frank und Kirstin Weißmüller mit Sohn Marlon (11), Neffe Denis (12) und den beiden Rhodesian Ridgebacks am Donnerstagmorgen auf den Weg machen. Im Nordosten der Insel, an der Spitze einer scheinbar sicheren Dünenlandschaft, liegt seit 40 Jahren ein altes Schiffswrack. Acht Kilometer vom letzten Parkplatz entfernt. Dort lassen die Weißmüllers auch ihr Auto zurück. Der Regen? Der peitschende Wind? Kein Thema für die Weißmüllers.

„Die Idee, an diesem Tag dort rauszugehen, war nicht gut“, sagt der Norderneyer Polizeichef Von der Osten. „Wir hatten eine Sturmflutwarnung“, erklärt Jörg Kampfer von der DLRG der Insel. Und: „Das Wasser war am Donnerstag etwa eineinhalb Meter über dem normalen Flutpegel.“ Alarmzeichen, die ein Inselbewohner vielleicht erkannt hätte.

Gefahr nicht erkannt

„Das Meer ist ein dynamischer Lebensraum, der sich ständig verändert“, erklärt der staatlich geprüfte Wattenmeer-Führer Johann. „Die Leute haben die Gefahr nicht erkannt“, ist er sicher. Johann meint das nicht vorwurfsvoll. Ganz natürlich nennt er diese Unkenntnis. Er, der erfahrene Wattwanderer stellt klar: „Bei meinen Führungen gehe ich nur in Gebiete, die ich in den Tagen vorher beobachtet habe.

Weißmüllers kannten das Gebiet nicht. Die ausgewiesenen Norderney-Fans, die seit Jahren zu Silvester – „Wir flüchten vor der Knallerei“ – aus dem Ruhrgebiet Richtung Nordsee reisen, waren noch nie zuvor an dem Wrack. Es sollte ja nur ein kleines Abenteuer für die Jungen werden. Es wurde ein großes für die gesamte Familie.

Wasser versperrt den Rückweg

Irgendwann auf ihrem Marsch stellen sie fest, dass Wasser ihren Rückweg versperrt. „Alle Wanderwege waren plötzlich überflutet, die Priels vollgelaufen“, berichtet Frank Weißmüller. Die Familie kämpft sich zurück, auf einer Sandbank, etwa 40 Meter vor dem sicheren Land, bleiben sie hängen. „Das ist ein beengendes Gefühl“, beschreibt Frank Weißmüller die Situation. „Die Gefahr des Wassers wird dir urplötzlich klar. Du erkennst, dass Wasser mehr Kraft hat als du selbst. Sorgst dich um die Kinder, um die Tiere. Mehr als um dich selbst.“

Weißmüllers alarmieren über das Handy die Polizei. Einige Beamte fahren raus, Feuerwehrleute und DLRG werden benachrichtigt. Der ADAC schickt den Rettungshubschrauber Christoph 26. Zunächst werden die Kinder an Bord gebracht, anschließend Frank Weißmüller. Da die Hunde nicht hochgezogen werden können, bleibt Kirstin Weißmüller mit den Tieren zunächst alleine auf der Sandbank zurück. Allerdings kommt auch hier schnelle Hilfe: Ein Rettungstaucher der DLRG Norderney holt die Frau samt Hunde ab, durchschwimmt mit ihr den Priel. „Das war beeindruckend“, sagt Frank Weißmüller. „Da waren 38 Leute für unsere Rettung im Einsatz“.

Wer den Einsatz bezahlt, ist unklar

Am Freitag ist die Welt für die Essener fast wieder in Ordnung. Die Kinder, die kurz wegen einer Unterkühlung im Krankenhhaus behandelt werden mussten, sind wieder fit, buchen den Ausflug als ganz großes Abenteuer ab. Den Ridgebacks geht’s gut, bis auf die kleine – wahrscheinlich kurzfristige – Wasserallergie. Und die Eltern? Die wünschen sich ein besinnliches, ruhiges Silvester und kein böses Erwachen im neuen Jahr: Denn bislang war noch nicht geklärt, wer die spektakuläre Heimholung der Familie bezahlen muss und was sie kostet.